Piraten-Prozess: Ganz anders als bei Störtebeker

In Hamburg stehen zehn Somalier vor Gericht. Sie sind angeklagt, den Hamburger Frachter Taipan gekapert zu haben. Ob die Hansestadt der richtige Ort für eine Anklageerhebung ist, daran bestehen Zweifel.

Erwischt: Einer der Piraten, die die Taipan gekapert hatten, wird von einem niederländischen Kriegsschiff geführt. Bild: dpa

Erstmals seit Jahrhunderten kommt es in Hamburg wieder zu einem Strafverfahren gegen mutmaßliche Piraten. "Die Situation ist außergewöhnlich", sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wilhelm Möllers. Wenn am heutigen Montag der Prozess gegen zehn Somalier beginnt, ist der Dritten Großen Strafkammer ein gewaltiger Medienrummel gewiss und die Versuchung groß, das Verfahren mit Hamburger Lokalkolorit zu würzen. Von Stern bis Focus wurden die Angeklagten längst zu "Störtebekers Erben" erkoren.

Der Vorwurf gegen die Beklagten lautet auf "gemeinschaftlich verübten Angriff auf den Seeverkehr" sowie "erpresserischen Menschenraub" - ein Straftatbestand der Piraterie existiert im deutschen Strafrecht nicht. Bei einer Verurteilung drohen den Beschuldigten bis zu fünfzehn Jahren Haft. Bis Ende März hat das Gericht zunächst zehn Verhandlungstage angesetzt. Zwei Oberstaatsanwälte vertreten die 33-seitige Anklageschrift, jedem Angeklagten wurden zwei Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die zehn Somalier sollen am 5. April dieses Jahres den Container-Frachter MV Taipan der Hamburger Reederei Komrowski rund 530 Seemeilen vor der somalischen Küste mit Maschinengewehren und einem Granatwerfer angegriffen und in ihre Gewalt gebracht haben. Die 15-köpfige Besatzung der Taipan hatte sich in einen Sicherheitsraum des Schiffes gerettet und wurde vier Stunden später von Elite-Soldaten des niederländischen Kriegsschiffes Tromp befreit. Dabei wurden die Seeräuber gefangen genommen und zunächst in niederländischen Gefängnissen untergebracht.

Die deutsche Staatsanwaltschaft erwirkte noch im April einen Europäischen Haftbefehl gegen die zehn Piraten. Im Juni wurden sie ausgeliefert, acht von ihnen im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis untergebracht und zwei weitere - die nach Schätzungen des Gerichts noch minderjährig sind - in die Jugendhaftanstalt Hahnöfersand überstellt.

Mit dem Verfahren betritt das Landgericht juristisches Neuland. Schon seine Zuständigkeit ist heftig umstritten. Die von der UNO gestützte somalische Übergangsregierung, die in dem bürgerkriegsgeschüttelten Land faktisch nur Teile der Hauptstadt Mogadischu kontrolliert, ist weder dazu in der Lage, die Piraterie vor seinen Küsten zu bekämpfen, noch die festgesetzten Piraten vor Gericht zu stellen.

Die zehn Angeklagten wurden von einem niederländischen Schiff, das als Teil der europäischen Militäroperation Atalanta im Indischen Ozean patrouillierte, gefangen genommen. Die gefangenen Besatzungsmitglieder der Taipan stammten aus Deutschland, der Ukraine, Russland und Sri Lanka. Aufgrund dieser Ausgangslage kommen verschiedene Kläger in Frage.

"Es ist nicht selbstverständlich, dass dieser Prozess hier in Hamburg geführt wird", betont Andreas Thiel, Anwalt eines der Beschuldigten. Mehrere antirassistische Initiativen haben für die nächsten Tage Protestaktionen gegen die Anklageerhebung und Info-Veranstaltungen zu den politischen Hintergründen in Somalia angekündigt.

Der Hamburger Völkerrechtler Andreas von Arnauld plädiert dafür, dass Piraten-Prozesse grundsätzlich vor einem international zusammengesetzten Gericht in der Nähe des Tatgeschehens geführt werden. "Es würde die Beweisführung erleichtern, wenn man nicht Zeugen quer durch die Welt fliegen muss, und die Verteidigungsrechte der Angeklagten stärken, wenn sie nicht im entferntesten Winkel der Welt verurteilt werden", sagt der Dozent der Helmut-Schmidt-Universität.

Auch Anwalt Thiel weist darauf hin, dass bei der Bemessung des Strafmaßes die politischen Rahmenbedingungen im Seegebiet, "die Lebensumstände der Menschen in Somalia und die persönlichen Lebenssituationen der einzelnen Angeklagten berücksichtigt" werden müssen.

Dies stellt das Hamburger Landgericht vor eine schwierige Aufgabe. Auch Wilhelm Möllers schließt nicht aus, dass der Prozess nicht ohne Sachverständige zur Situation in Somalia auskommt. Für ihn gehört das Verfahren jedoch eindeutig nach Hamburg: "Für die Staatsanwaltschaft gibt es zwei relevante Anknüpfungspunkte: den Heimathafen des Schiffes und den Sitz der Reederei. Damit sind wir glasklar zuständig." Die Ankläger sehen sich für das komplexe Verfahren gut gerüstet. Seit 2008 haben sie in Kooperation mit der Bundespolizei und den Haftrichtern Handlungskonzepte für diesen Fall erarbeitet. "Eine Verhandlung in dieser Sache trifft uns nicht unvorbereitet", sagt Möllers.

Unvorbereitet auf eine Haft und ein Verfahren in Hamburg waren hingegen die Somalier. Die anfängliche - inzwischen aber aufgehobene - strikte Trennung der Gefangenen voneinander, sowie die Unmöglichkeit, sich auf Deutsch zu verständigen, habe die Angeklagten "schwer belastet", berichtet Thiel.

Seit Anfang 2009 hat die Hamburger Staatsanwaltschaft rund 60 Ermittlungsverfahren wegen Piraterie eingeleitet. Gut möglich also, dass der erste Piratenprozess in Hamburg nicht der letzte gewesen sein wird.

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