Plädoyer einer Schreiblehrerin: Die Handschrift ist unersetzbar

Kinder sollen die Buchstaben vor der Schule lernen, findet Schreiblehrerin Ute Andresen: Mit einer plausiblen Druckschrift, die einen bruchlosen Übergang zur Schreibschrift erlaubt.

Wäre Druckschrift besser? Bild: complize/photocase

Am Ende der vierten Klasse sollen die Kinder unserer Grundschulen "eine gut lesbare Handschrift flüssig schreiben". Das hat die Konferenz der Kultusminister mit den Bildungsstandards 2001 beschlossen. Dieser Auftrag wird weitgehend ignoriert. Dabei behindert eine unbeholfene Schrift das Lernen in fast allen Fächern, auch in Mathematik und Technik. Und Tippen kann das Schreiben nicht ersetzen. Was läuft schief?

Druckschriften sind fürs Drucken gedacht, nicht für das Handschreiben. Man kann sie aus Strichen, Bögen und Kreisen zusammenfügen: zwei Striche ein t, Kreis und Strich ein a, drei Striche ein z: taz. Hoppla! Das a ist ja nicht so gedruckt, wie mit der Hand "gedruckt"! Da braucht man ein anderes Muster. Die hDs als handgeschriebene Druckschrift zeigt mit ihren bewegungsleitenden Punkten und Pfeilen wie t und a und z geschrieben werden müssen. Warum genau so? Damit jeder Buchstabe seine ganz eigene Bewegungsgestalt bekommt! In ihr unterscheiden Augen und Hand im Hirn koordiniert jeden Buchstaben von allen anderen. Kaum noch ein Risiko, d und b zu verwechseln. Auch nicht r/n/h, wenn die kleinen Unterschiede zwischen ihnen genau artikuliert wurden. Die hDs als Handschrift 1 bereitet die Buchstaben darauf vor, sich in der späteren Schreibschrift wie aus einer Schnur zum Wort zu verbinden. Kinder, die die Handschrift 1 sicher schreiben können, lernen eine daran anknüpfende Schreibschrift als Handschrift 2 leicht und rasch. Sie verfügen dann über zwei innerlich ähnliche, aber im Auftritt verschiedene Handschriften.

Zu viel Schwung und Hast

Das Konzept dieser Handschrift 1 nimmt an, dass Anfänger nicht wissen und oft auch nicht erkennen können, worauf es bei den einzelnen Buchstaben ankommt. Mit wohlüberlegter Anleitung lernt zunächst ihr Auge, den Beginn und die Führung der Linien zu erkennen. Ihre Hand lernt ganz bewusst und vom Auge begleitet, dem Bewegungsvorbild genau zu folgen. Bei Ziffern wie bei Buchstaben; so profitiert auch die Mathematik.

Man muss sich nicht quälen, wenn man lernt, schön und leserlich zu schreiben. Aber hastig und ohne gründliche Übung gelingt es nicht. Nur wenn klare Bewegungsmuster sehr oft langsam und gleichförmig wiederholt werden, geraten sie allmählich schlank und elegant, bis sie aus der Hand fließen. Da muss man sich etwas bescheiden, gedulden und zügeln. Das fällt vielen Jungen schwer. Aber dann merken sie: Das macht ja Spaß! Wenn sie ihr Tempo und einen schlüssigen Bewegungsrhythmus gefunden haben. Formtreues, klares Schreiben beginnt immer wieder neu mit "Zeitlupenschreiben". Darf die Grundschule den Kindern Zeit dafür lassen? Will sie das überhaupt?

Der Vorstand des Grundschulverbands will mit seiner "Grundschrift" das Schreibenlernen versimpeln und beschleunigen. Dabei übersieht er Eigengesetzlichkeiten des Schreibens als feinmotorische Fertigkeit. Seine "Grundschrift" soll schnell und nach Kartei gelernt und gleich mit Schwung geschrieben werden. Sie erlaubt schon den Anfängern Eigenwilligkeiten. Ob die in die Irre führen, wird man zu spät erkennen, wenn sich Gewohnheiten verfestigt haben, die das flüssige Schreiben und das Lesen allzu individueller Schriften behindern. Ein Experiment auf Kosten von Kindern und LehrerInnen.

Falsche Gewohnheiten

Die Kinderhandschriften, die der GSV als Ergebnisse präsentiert, bleiben weit unter dem, was Grundschulkindern möglich ist, wenn man ihnen gönnt, was sie für den Anfang brauchen: eine bewegungskluge und verbindliche Schriftvorlage; genaue und geduldige Anleitung durch lebendige LehrerInnen, die wissen, was sie verlangen dürfen; dazu ausreichend Muße. Und vier Jahre lang so viel ausgiebige Schreibaufgaben wie nötig sind, um Handschriften zu stabilisieren. Nicht immerzu Vorgedrucktes zum Ausfüllen.

Es ist höchste Zeit, allerorts nachzusehen, ob die Grundschule ihre Aufgabe erfüllt, die Handschriften zu fundieren. Tut sie das nicht, dann hilft wohl nur eins: Die Kinder müssen vor der Schule lernen, ihre Buchstaben richtig zu schreiben. Daheim, in Kita oder Kurs. In Frankreich lernen Kinder Buchstaben schon in der École maternelle. Und in Japan lernen sie die Zeichen der Hiragana von der Mutter. Kindern aus einer arabischen Schriftwelt würde die deutsche Sprache sicher schneller vertraut, käme sie ihnen früh mit unseren Buchstaben entgegen. Die wären etwas Greifbares aus der deutschen Sprachwelt. - Damit nicht die letzte freie Spielzeit der Kita draufgeht, müsste man allerdings manche Zeitfresser verbannen: Mandalas zum Ausmalen, unwirksame Förderprogramme …

"Drei Viertel meiner Schulanfänger halten den Stift falsch!" Gut, wenn die Lehrerin das in der ersten Schulwoche erkannt hat. Besser wäre es, hielten die Kinder ihre Stifte immer schon richtig. Das würde ihnen später mühsames Umlernen ersparen. Das Gemeine ist nämlich: Soll man eine alte motorische Gewohnheit ändern, fühlt sich das Neue sehr lange falsch an und möchte vermieden werden.

Obama ist Linkshänder. Vielleicht hat ihm keiner gezeigt, wie er den Stift klugerweise halten sollte. Später wars dann zu spät. Er blieb bei seinem Hakengriff und unterschreibt vor den Kameras der Weltpresse mit nach innen gebogener Hand von oben her. Wer so oder anders verdreht und verkrampft nicht nur einzelne Wörter, sondern lange Texte von der Tafel abschreibt, Prüfungsaufsätze verfasst oder im Studium mitschreibt, dem tun bald Finger, Hand, Arm und Schulter weh. Wer das mit dem Tippen in allen Lebenslagen kurieren will, unterschätzt das Potenzial, das im Schreiben steckt. Man lernt mit dem Stift in der Hand sehr viel mehr als nur das Verfertigen von Buchstaben auf dem Papier, wie man auch beim Spielen eines Instruments sehr viel mehr lernt als nur das Erzeugen von Tönen.

Viele Schulanfänger können ihren Namen nicht so schreiben, dass die einzelnen Buchstaben stimmen. Auch deutschsprachige Abc-Schützen sind darunter. Daher bieten Ute Andresen und die taz etwas an, was die Schule vielerorts aus dem Auge verloren hat.

Das Ziel: klare, lesbare, stabile, flüssige, mit eigener Hand geschriebene Buchstaben für zumindest die ganze Schulzeit.

Der Weg dorthin: fürsorgliche, verständliche Anleitung beim Schreibenlernen und ausreichend Zeit und Übung, um Schreibweisen zu automatisieren und die Handschrift langfristig zu pflegen.

Der erste Schritt auf dem Weg: jeden Buchstaben des eigenen Namens so zu schreiben üben, wie es richtig, weil sinnvoll ist. Die Ausrüstung: Ein möglichst raues Papier, auf dem man die Bewegung des Stiftes spürt; ein guter Bleistift für Anfänger, dick, dreieckig, mit weicher Mine, am besten der Staedtler Schreiblernstift; und dann ein Vorbild für die Schreibweise des eigenen Namens, das man ohne Worte verstehen kann.

LehrerInnen, die solche Vorbilder für ihre Schulkinder haben wollen, bekommen sie per Mail über rufname@taz.de. (Bitte Rufnamen als Liste in der Mail schicken, ohne Formatierung!)

Das Angebot gilt auch für Kitas und Eltern. Wie der Stift möglichst von Anfang an zu halten ist, sieht man im Bild. Auch darauf kommt es an.

Verwirrend wird es, wenn Schulanfänger Buchstaben schon gewohnheitsmäßig falsch schreiben. Das gibt es jetzt häufig. Kinder dürfen sich vor der Schule für Buchstaben interessieren, aber man zeigt ihnen nicht die richtige Linienführung. Man merkt nicht, dass sie sich Falsches fest und störend angewöhnen. Eben erkennbare Buchstaben werden kritiklos bestaunt. Das ist nett, aber irreführend! Was spricht gegen: "Toll! - Ich zeig dir, wie du den Buchstaben ganz richtig schreiben kannst!"? Vielleicht, dass Erzieherinnen und Eltern nicht wissen, wie Kinder die Buchstaben am Anfang schreiben sollten. Anders als Erwachsene sie schreiben. Die müssten innehalten und sich umstellen.

Verbummelte Handschrift

Druckbuchstaben kann man abmalen. Viele Kinder tun das lange vor der Schule. Ihren Namen lassen sie sich vorschreiben. Andere Wörter entstehen dadurch, dass sie die Laute, die sie hören, in Buchstaben übersetzen. Das nennen die Fachleute "verschriften". Kinder nehmen aber längst nicht all das in den Wörtern wahr, was die Großen zu hören meinen. So machen die Kleinen Rechtschreibfehler, die eigentlich gar keine sind, weil sie von Rechtschreibung noch nichts ahnen. Und die Erwachsenen sind entsetzt oder entzückt.

Das "Verschriften" von Wörtern, Sätzen und Erzählungen in spontan erfundenen Schreibweisen hat man "freies Schreiben" genannt und in die Schule verlängert. Im Kampf dafür und dagegen wurde die eigentliche Handschrift als Handwerk des Schreibens übersehen. Der "Fortschritt" wollte, dass die Kinder die Buchstaben bei Bedarf aus einer Anlauttabelle abmalen. Grad so gut, dass man erkennt, welcher Buchstabe gemeint sein könnten. So übt man Nachlässigkeit ein und die nötige Schriftsicherheit bleibt aus. Voraussehbare Nebenwirkungen. Vorgedruckte Hefte und Karteien zur selbstständigen Übung können dem Schriftelend auch nicht abhelfen, wenn die sorgsame Grundlegung der Handschrift in einem ganz altmodischen, bedächtigen, kühn frontalen Unterricht durch MeisterInnen der Handschrift versäumt wurde.

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