Pläne für neue Stromtrassen: „Der Ausbau geht zu langsam“

Jochen Homann, Chef der Bundesnetzagentur, fordert die Bundesbürger zur Beteiligung an der Trassendiskussion auf. Wer nicht mitmacht, verpasst seine Chance.

„Nur 100 Kilometer in Betrieb genommen“. Zum gemütlichen Sitzen reicht es. Bild: Uarewhatulove / photocase.com

taz: Herr Homann, wenn die Energiewende ein Marathonlauf wäre, welche Strecke hätten wir dann bisher zurückgelegt?

Jochen Homann: Wir sind auf den ersten fünf Kilometern. Da, wo die ersten Läufer anfangen zu schwitzen. Es fehlen noch 37,195 Kilometer.

Sie kennen sich ja aus bei diesem Sport.

Ja, früher war ich selbst Marathonläufer. Jetzt laufe ich nur noch zwischen Bürotür und Fahrstuhl. Das bringen Führungspositionen in der Verwaltung so mit sich. Aber später hoffe ich das Marathonlaufen wieder aufnehmen zu können.

Versetzen Sie sich in die Lage eines aktiven Läufers. Was würden Sie sagen, wenn entlang ihrer Trainingsstrecke eine neue Hochspannungsleitung errichtet würde?

Der 1953 geborene Netzagenturchef ist studierter Volkswirt, steht der FDP nahe, ist aber kein Mitglied. Bis Anfang dieses Jahres war er beamteter Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und pflegte gute Kontakte zu den Umweltverbänden.

Homann ist kein Marktideologe, sondern befürwortet Mischformen öffentlicher und privater Wirtschaftstätigkeit. Früher arbeitete er im Bundeskanzleramt und war in den 1980ern Redenschreiber der FDP-Wirtschaftsminister Bangemann und Haussmann.

Ich bin ein vernünftiger Mensch und weiß um die Notwendigkeit solcher Leitungen. Wir brauchen sie beispielsweise, um Windstrom von der Nordsee nach Baden-Württemberg und Bayern zu transportieren. Ohne neue Leitungen gibt es keine Energiewende. Deshalb haben wir 2011 ein Gesetz beschlossen, das den Ausbau des Netzes beschleunigen soll. Es sieht vor, dass alle Betroffenen vom ersten Tag an über die zusätzlichen Trassen mitdiskutieren können.

Im ersten Schritt hat die Bundesnetzagentur Szenarien dazu entworfen, wie viele Kraftwerke künftig gebraucht werden. Da gingen nur 76 Stellungnahmen von Kommunen, Verbänden und Bürgerinitiativen bei Ihnen ein. Wieso interessiert sich kaum jemand für Ihre Bürgerbeteiligung?

Am Anfang ist naturgemäß vieles noch recht abstrakt, sodass noch nicht alle die Notwendigkeit sehen, ihre Chance zur Partizipation wahrzunehmen. Zur Ermittlung der Entwicklungsszenarien, die Sie erwähnten, hätte jeder Bundesbürger einen Brief an die Bundesnetzagentur schicken können. Wir hätten alle Argumente in unserer Abwägung berücksichtigt.

Machen die Bundesnetzagentur und die Politik die neuen Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung zu wenig bekannt, weil vielleicht auch kein Interesse daran besteht, dass sich zu viele Leute einschalten?

Dieser Vorwurf ist grundfalsch. Im Gegenteil: Ich war bis Anfang dieses Jahres als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium tätig, daher weiß ich, dass es dieser Regierung sehr wichtig ist, Akzeptanz für die Energiewende und den Netzausbau in der Bevölkerung zu schaffen. Dafür sind eingehende Diskussionen notwendig und gewünscht. Dieses Angebot machen wir. Wenn die Bürger das nicht nutzen, kann man der Politik oder der Netzagentur keinen Vorwurf machen. Am Ende werden sich vielleicht einige ärgern. Aber dann werden wir darauf hinweisen, dass sie ihre Chance verpasst haben, von Anfang an mitzureden. Es gibt aber noch genug Gelegenheit dazu. Wenn die Planungen konkreter werden, wird sicherlich auch das Interesse steigen.

Schafft das dann mehr Akzeptanz?

Ich bin davon überzeugt, dass wir mit dem transparenten Verfahren mehr Zustimmung schaffen können. Ob wir jeden mitnehmen werden, weiß ich nicht. Es wird immer Bürger geben, die sich so stark betroffen fühlen, dass sie unzufrieden bleiben.

Viele Bürgerinitiativen, etwa in den Bundesländern Hessen oder Niedersachsen, sind doch gesprächsbereit. Warum kommen Sie diesen Gruppen von Bürgern nicht entgegen, indem Sie mehr Stromleitungen unterirdisch verlegen?

Wir müssen zunächst viel mehr Erfahrung mit Erdkabeln sammeln. Zudem sind die wesentlich teurer als Hochspannungsleitungen. Die Planung in Hessen und Niedersachsen basiert auf dem Energieleitungsausbaugesetz von 2009, dem sogenannten EnLAG, das nur vier Pilotprojekte erlaubt. Später, wenn wir mehr Erfahrung haben, könnten Erdkabel eine größere Rolle spielen.

Kommt der Ausbau des Stromnetzes schnell genug voran?

Auf der Basis des EnLAG wurden seit 2009 rund 1.800 Kilometer Leitungstrassen geplant. Davon sind bisher erst 214 gebaut und nur 100 Kilometer in Betrieb genommen worden. Daraus kann man schließen: Der Ausbau geht zu langsam.

Der Netzbetreiber Tennet hat kürzlich eingeräumt, mit dem Anschluss von Windparks auf dem Meer überfordert zu sein. War es politisch falsch, ein einzelnes Unternehmen mit einer so gigantischen Aufgabe zu betrauen?

Als die Entscheidung fiel, das Netz von Eon zu übernehmen, sah sich Tennet durchaus in der Lage, die Anbindung der Offshorewindparks zu bewerkstelligen. Jetzt muss man darüber sprechen, wie man die Schwierigkeiten überwinden kann.

Vielleicht liegt es daran, dass ein Oligopol von nur vier Firmen für die Hochspannungsnetze zuständig ist?

Der Begriff „Oligopol“ ist hier fehl am Platze. Die alte Machtstruktur wurde ja gerade aufgelöst. Früher gehörten die Netze noch den Stromproduzenten, die sie in den letzten Jahren verkauft haben. Weitere Unternehmen einzubeziehen ist im Übrigen schwierig, es gibt kaum Interessenten. Tennet hätte sicher nichts gegen weitere Akteure.

Im Gespräch ist eine staatliche Beteiligung. Besteht die Gefahr, dass die Kosten sozialisiert werden, während die Gewinne in private Kassen fließen?

Keineswegs, das wäre eine Überinterpretation. Es sind schlicht einige Probleme zu lösen, die so früher nicht absehbar waren. Beispielsweise sind Haftungsfragen derzeit nicht geklärt. Unfälle wie beispielsweise die Kollision von Schiffen mit Plattformen für den Bau von Windanlagen sind heute kaum zu tragbaren Preisen zu versichern. Die Übertragungsnetzbetreiber könnten die Versicherungskosten, wenn sie einseitig auf sie abgewälzt werden, nicht allein stemmen. Deshalb ist es notwendig, eine ausgewogene Haftungsregelung zu schaffen. Alle beteiligten Unternehmen und ihre Investoren brauchen die Berechenbarkeit von Risiken. Eine weitere Frage betrifft die Finanzierung weiterer Stromleitungen, etwa zwischen den neuen Windparks und dem Festland.

Müssen Sie eingestehen, dass das bisherige Modell nicht funktioniert: Die Privatwirtschaft baut die Stromnetze, Ihre Behörde reguliert so, dass die Gewinne stimmen?

So grundsätzlich würde ich das nicht sagen. Tennet braucht eine gewisse Unterstützung. Vorstellbar ist, dass sich die öffentliche KfW-Bankengruppe mit Kapital in einer gemeinsamen Netzgesellschaft engagiert. Alternativ könnte auch an eine Offshore-Umlage zum Anschluss von Windparks auf dem Meer gedacht werden. All dies ist Gegenstand laufender Gespräche.

Manche Kommunen versuchen, Stromnetze wieder in eigene Regie zu übernehmen. Was halten Sie von diesen Bestrebungen?

Zu viele kleine Einheiten machen keinen Sinn. Nicht alle Städte und Gemeinden in Deutschland verfügen über das Know-how, ein Netz zu betreiben. Zudem droht mit Hunderten kleiner Netze auch ein hoher Verwaltungsanteil. Dadurch könnten zusätzliche Probleme bei der Finanzierung des Netzausbaus entstehen. Wir erleben ja auch, dass sich viele dieser kleinen Netze wieder zu größeren Einheiten zusammenfinden.

Schauen Sie 30 Jahre voraus. Hat die Energiewende dann geklappt, fahren Sie dann ein Elektroauto?

Dieses Megaprojekt wird von niemandem mehr grundsätzlich infrage gestellt – auch nicht von denen, über die es heißt, sie seien dagegen. Gestritten wird allenfalls über Details. Deshalb wird die Energiewende funktionieren. Und was mich betrifft: In 30 Jahren bin ich 89 Jahre alt. Dann werde ich wohl nicht mehr Auto fahren – sondern vielleicht einen elektrischen Rollator.

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