Plagiatsdebatte beim Leipziger Buchpreis: Flaschengeist des Eigentums

Die Diskussion um Helene Hegemann verfehlt eine Reflexion über das Urheberrecht in Zeiten der Digitalisierung - und beschwört stattdessen ein romantisches Künstlerbild.

Der als Plagiatorin beschuldigten Helene Hegemann blieb der Preis der Leipziger Buchmesse verwehrt. Bild: apn

Die Kultur ging ja dann doch nicht unter und der Leipziger Buchpreis an Georg Klein statt an Helene Hegemann. Drei Tage vor der Preisverleihung hatte sich der Verband deutscher Schriftsteller (VS) zu Wort gemeldet und die "Leipziger Erklärung zum Schutz geistigen Eigentums" veröffentlicht. Zu den Erstunterzeichnern gehörten u. a. Günter Grass, Christa Wolf und Erich Loest. "Wenn ein Plagiat als preiswürdig erachtet wird", belehrt die Erklärung, "wenn geistiger Diebstahl und Verfälschungen als Kunst hingenommen werden, demonstriert diese Einstellung eine fahrlässige Akzeptanz von Rechtsverstößen im etablierten Literaturbetrieb."

Die unterzeichnenden Schriftsteller holten zum Rundumschlag aus: "Kopieren ohne Einwilligung und Nennung des geistigen Schöpfers wird in der jüngeren Generation, auch auf Grund von Unkenntnis über den Wert kreativer Leistungen, gelegentlich als Kavaliersdelikt angesehen." Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Geschäftsführer des VS, erklärte anlässlich der Veröffentlichung, Hegemann stehe zwar im Kontext der Debatte, doch gehe es auch um neue Medien, denn die Downloadmöglichkeiten bei E-Books hätten eine "ganz andere Brisanz" in die Urheberrechtsfrage gebracht.

Der Autor Matthias Mala sah im Plagiatsfall eine kulturelle Grundtendenz und schrieb in einem Kommentar: "Google macht es weltweit vor, 16-jährige ,Autoren' machen es nur nach." Die Mehrheit der Internetnutzer habe sich daran gewöhnt, "von der schöpferischen Leistung anderer zu schmarotzen", die Arbeit der Kreativen sei entwertet, alles in allem sei das "ein kultureller Niedergang, der über eklektizistische Zeiten weit hinausgehe". Die Verknüpfung von Plagiat und Digitalkopie, wie sie die Erklärungen des VS und Malas konstruierten, machte aus dem Fall ein Beleg der allgemeinen Tendenz zum Niedergang.

Das rhetorische Scharnier, das die Plagiatsdebatte mit solchen kulturpessimistischen Verfallsdiagnosen verbindet, ist die Berufung auf das geistige Eigentum. Die lohnt es sich, einmal genauer anzusehen. "Geistiges Eigentum" ist nicht dasselbe wie Urheberrecht, sondern meint eine bestimmte, naturrechtlich-metaphysische Begründung dafür - statt etwa der angelsächsischen Variante, die mit einem Schaffensanreiz argumentiert, um die Kultur voranzubringen.

"Geistiges Eigentum" führt zurück ins 18. Jahrhundert, als der allgegenwärtige Nachdruck von Büchern für Diskussionen sorgte, was am Beginn der Entstehung des Konstrukts steht: Adolph Freiherr Knigge etwa lobte die "höchst wohlfeilen Nachdrucke", da sie die Volksbildung der ärmeren Klassen beförderten. Auf der Seite der Gegner standen Philosophen wie Immanuel Kant und Johann Gottlieb Fichte, die gelehrte Abhandlungen gegen den Nachdruck schrieben.

Fichte veröffentlichte 1793 den "Beweis der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks" und unterschied darin zwischen dem Buchexemplar, den darin enthaltenen Gedanken und ihrer jeweiligen individuellen Formgebung, die allein dem Autor gehöre und unveräußerlich sei. Den Plagiator, der "sich eines Dinges bemächtiget, welches nicht sein ist", hat er darin gleich mitabgehandelt. Die Vorstellung setzte sich durch, dass der Schöpfer durch ein unsichtbares, unveräußerliches Band mit seinem Werk verbunden ist. Eine Handhabe gegen Nachdrucke hatten die Verleger bis dahin nur durch die von den Fürsten gewährten Druckerprivilegien, die aber nur regional gültig waren.

Erst der Geniekult der Romantik und die damit verbundene Vorstellung einer künstlerischen Schöpfung aus dem Nichts lieferten die geeignete "Plausibilitätskulisse" (Jeanette Hofmann) für die Umstellung des Rechts auf die Idee des geistigen Eigentums. Der Vorteil dieser Konstruktion: Sie unterstützte die Emanzipation des Schriftstellers, der nicht mehr nur mittelalterlicher Schreiber oder von der Gunst eines Hofs abhängig war. Der "freie Autor" trat auf den Markt, auch wenn viele weiterhin auf Mäzenatentum angewiesen waren.

Der Geniekult ist heute nur noch ein Kapitel der Ideengeschichte, doch in der Berufung auf das geistige Eigentum klingt er weiterhin nach. Der Vorteil für den, der dieses Register aufruft, liegt dabei darin, sich auf ein höheres Prinzip berufen zu können, statt auf ein Recht. Die Metapher vom Eigentum zieht die vom Diebstahl nach sich - so auch in der Leipziger Erklärung. Das war bei Ideen und Gedanken schon immer falsch (was auch Fichte wusste), und bei der Digitalkopie ist es ebenso, es gibt ja immer nur eine Kopie mehr, ohne dass an anderer Stelle eine fehlte.

In der Leipziger Erklärung heißt es: "Wer die Verletzung der Urheberrechte, u. a. in Form von Plagiaten, als Originalität begreift, gefährdet letztendlich die geistige und materielle Basis allen kreativen Schaffens." Was die geistige Basis angeht, ist das offensichtlich falsch: Wir wissen, dass Schriftsteller keine gottgleichen Schöpfer sind, sondern aus einem kulturellen Vorrat an (nicht schützbaren) Ideen, Motiven und Gedankenfiguren schöpfen. Jonathan Lethem hat das in seinem Aufsatz "The Ecstasy of Influence. A Plagiarism" noch zugespitzt und die Ansicht vertreten, dass alle Kultur im Kern aus Abschreiben und Ideen aus zweiter Hand bestehe.

Daraus könnte man auch mal die Konsequenzen ziehen: Peter Schütt von IBM etwa fordert, das Abschreiben gezielt zu lehren statt zu verurteilen, denn wenn einer das Rad schon einmal erfunden hat, muss man das nicht nochmal tun, aber man kann es weiterentwickeln und abändern. Besonders ärgerlich ist die Anrufung des geistigen Eigentums auch deshalb, weil sie den Kreativen, die von ihrer Arbeit leben wollen, nicht weiterhilft.

Die Digitalisierung bringt einen Strukturwandel in den Kulturindustrien mit sich - wenn man ihn verschläft und dann über Urheberrechtsverletzer klagt (Vorbild Musikindustrie), ist das nicht die Schuld von Plagiatoren und Schmarotzern. Die Leipziger Erklärung ignoriert all das und igelt sich stattdessen in einem mystifizierten Verständnis von künstlerischer Originalität ein.

Helene Hegemanns Wort vom "Urheberrechtsexzess" war vielleicht eine schlechte Entschuldigung für die fehlenden Credits an Airen, aber verglichen mit der Leipziger Erklärung im Grunde eine der wenigen sachlichen Feststellungen in der ganzen Diskussion. Einen Exzess gibt es tatsächlich, wenn man etwa mitansieht, wie im Internet die Rechteabteilungen der Verwerter mit den Gedankenfiguren des deutschen Idealismus gegen die Wirklichkeit ankämpfen und Urheberrechtsansprüche über Bürgerrechte gestellt werden. Auch darüber sollten wir reden.

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