Plattenlabel mit Grammy-Nominierungen: Keine falsche Bescheidenheit

Pop-Archäologie im Bremer Umland: Eine CD-Box über die Anfänge der Country-Musik könnte dem Plattenlabel Bear Family Records aus Holste-Oldendorf nun zwei Grammy Awards einbringen.

Gibt sich noch 43 weitere Jahre: "Bear Family"-Gründer Richard Weize. Bild: dpa

BREMEN taz | Sie erinnern sich vielleicht an den Film "Oh Brother, Where Art Thou" von den Coen-Brüdern. Darin singen spontan zur Band umfirmierte entflohene Sträflinge bei einem Radiosender in eine Blechdose. Und sind kurz darauf als Soggy Bottom Boys mit dem Song "Man Of Constant Sorrow" berühmt. Warum Blechdose? Der Film spielt zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise 1937.

Ein bisschen so, aber dann auch wieder anders ging es zu, als die Country-Musik auf die Welt kam: Im Sommer 1927 reiste ein gewisser Ralph Peer nach Bristol im US-Bundesstaat Tennessee. Damals hatte die noch junge und hoffnungsvolle Musikindustrie bereits die Landbewohner als Zielgruppe entdeckt. Und begonnen, eigens für sie Platten zu veröffentlichen.

Damals sprach aber noch niemand von Country, vielmehr waren Mountain- oder - despektierlich - Hillbilly-Musik gängige Bezeichnungen für die schlichten Weisen, die auf britisches und irisches Liedgut, aber auch auf Blues, Gospel und andere Genres zurückgingen. Um dieses kreative Potenzial anzuzapfen, war Peer von New York mit zwei Toningenieuren und seiner Frau ins ferne Tennessee gereist. Und sorgte für das, was als "Urknall der Country-Musik" in die Musikgeschichte einging.

Vergeben werden die Grammys seit 1957 jährlich von der National Academy of Recording Arts and Sciences, an diesem Sonntag zum 54. Mal. Bear Family hat Aussicht auf Preise: als "Best Historical Album" und für "Best Linernotes".

Nominiert sind in der Kategorie bestes historisches Album unter anderem "Band On The Run" von Paul McCartney und "Young Man With The Big Beat: The Complete 56 Elvis Presley Masters". In der Kategorie beste Linernotes wurden unter anderem "The Music City Story: Street Corner Doo Wop, Raw R&B And Soulful Sounds From Berkeley, California 1950-75" und "Hear Me Howling!: Blues, Ballads & Beyond As Recorded By The San Francisco Bay By Chris Strachwitz In The 1960s" vorgeschlagen.

Ein Grammy - ganz zu schweigen von gleich zweien - wäre für Richard Weize die Krönung eines Lebenswerks, das vor zwei Jahren bereits mit dem Echo-Preis der deutschen Schallplattenindustrie gewürdigt wurde.

Die "Bristol Sessions 1927" dokumentiert diese legendären Aufnahmen. Ein Jahr später waren Jimmie Rodgers und die Carter Family die ersten Superstars des Genres, deren Einfluss bis heute prägend ist. Beide hatte Peer bei den Bristol Sessions aufgenommen, neben 17 weiteren Gruppen und Einzelkünstlern, die nun erstmals alle in einer Box versammelt sind. Und die wiederum erschien im vergangenen Jahr beim Plattenlabel Bear Family Records, ansässig in Holste-Oldendorf bei Bremen.

Jetzt wurden die Veröffentlichung und das begleitende Booklet für je einen Grammy nominiert, eine der wichtigsten Auszeichnungen der Musikwelt. Richard Weize, Kopf der Bärenfamilie ist sich der Bedeutung so eines Grammys bewusst. Unnötige Bescheidenheit legt er nicht an den Tag: "Wenn die Leute klar im Kopf sind, rechne ich mir gute Chancen aus", sagt er. Sollten aber große Labels "wie Sony-BMG ihr Elvis-Ding" oder der Ex-Beatle "Paul McCartney seine Compilation mit viel Geld nach vorne schieben, hat man im Grunde keine Chance. Objektiv betrachtet ist die Box mit den Bristol Sessions viel wichtiger als die Veröffentlichungen, gegen die wir antreten."

Bis zum Erscheinen der CD-Box wurde nie derart ausführlich das "wichtigste Ereignis in der Geschichte der Country-Musik" dokumentiert, wie Genre-Ikone Johnny Cash die Sessions einmal nannte. Zwei Jahre Arbeit stecken im Schnitt Weize zufolge in so einem Projekt. Zunächst braucht die Suche nach verschollenen Aufnahmen oder alternativen Versionen ihre Zeit: Häufig existieren die originalen Pressmatrizen nicht mehr, oder die erhaltenen Exemplare der großen Hits sind abgenudelt. Und die unbekannten wiederum sind schwer zu finden - sie waren ja seinerzeit kaum verkauft worden.

Diese musikwissenschaftliche Arbeit ist wesentlich für den Status des Labels. Und in gewisser Weise mitverantwortlich für das, was Weize zugleich bedauernd notiert: Musik hat heute einen anderen Stellenwert als noch Mitte der 1970er-Jahre, als er Bear Family gründete. Damals nämlich wurde über jede Single wochenlang diskutiert. "Und dann komm ich her und mache eine LP, die ich ,Unissued Johnny Cash' nenne, auf der zwölf bislang unveröffentlichte Songs von Johnny Cash sind. Auch auf meinen ganzen Boxen sind sehr viele Sachen drauf, die vorher unveröffentlicht waren oder seit Jahrzehnten nicht erhältlich. Das heißt: Es tritt eine Inflation ein, die ich mehr als jeder andere forciert habe. Und das heißt natürlich, dass man am Ende immer weniger Interesse hat."

Und da sind wir mitten drin in der Krise, in diesem Fall jener der Musikindustrie. Zwar gebe es ein neues Interesse an alter Musik - Stichwort: Retro -, sagt Weize. Aber das sei "verschwindend wenig". Möglicherweise eine Generationsfrage: Das Sammlertum sterbe aus, konstatierte er schon vor Jahren. "Während meine Generation und vielleicht noch die danach sich Platten hinstellte, wird Musik heute downgeloaded, es wird ein Titel übernommen. Heute interessiert man sich nur noch auf einer Event-Ebene."

Zum Beispiel Johnny Cash, so Weize: "Wenn ich Leuten vor 20 oder 25 Jahren erzählt hab, dass ich Country-Musik höre wie Johnny Cash, haben die gegrinst und sind abgehauen. Zehn Jahre später haben die mich dann gefragt, ob ich die neue Cash gehört habe, die sei doch klasse. Dabei waren die gar nicht toll, weil er nicht mehr richtig singen konnte. Die guten Aufnahmen von Johnny Cash kannten diese Leute ja gar nicht. Da hat man immer gesagt, das sei rechtsradikal und was nicht noch."

Aber andere Dinge betrifft das eben auch. Da macht sich Weize nichts vor. Ist Bear Family auch Geschichte, wenn er selbst irgendwann mal nicht mehr da ist? "Das glaub ich, ja. Aber ich bin ja erst 67." Weize gibt sich noch 43 Jahre, so lange haben wir also noch.

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