Plötzlich wieder Single: Männer!

Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass Frauen ein Problem mit dem Älterwerden hätten. Sie haben eins mit Männern: Nicht wenige werden peinlich.

ein Mann tippt etwas in sein Smartphone. Man sieht nur seine Arme und seinen Oberkörper

Eine Freundin sagt, das Internet sei schuld: Es bediene vor allem das Niedere im Mann Foto: imago/Westend61

HAMBURG taz | Bastian* will wissen, ob ein Blow-Job drin ist. Bastian ist 25 und auf seinen Bildern bei Tinder sehr hübsch. Wir schreiben uns seit zwei Tagen. Er glaubt, jung und süß zu sein und einen Penis zu haben sei genug, um eine Frau über vierzig auf die Schnelle von sich zu überzeugen.

Dabei scheint er sonst nicht dumm zu sein. Er kennt gute Musik, liest Romane und behauptet, Konzeptkünstler zu sein. Ich wollte was mit ihm trinken gehen, einfach nur, um rauszufinden, ob er so aussieht wie auf den Bildern. Aber dann stellt er die Bedingung eines Blow-Jobs. Ich schreibe, er solle erst mal erwachsen werden, und lösche ihn.

Der Mann, mit dem ich alt werden wollte, wollte plötzlich gar nicht mehr alt werden. Pünktlich zu ­seinem vierzigsten Geburtstag entschied er sich, mich mit einer sehr jungen Instagram-Poserin zu betrügen.

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass die meisten Frauen ein Problem mit dem Älterwerden haben. Sie haben vielmehr eins mit Männern. Nicht wenige Männer, die altern, entwickeln sich zurück und werden peinlich; viele Frauen, die ich kenne, haben ein gesünderes Ego und bewahren Stil. Wir werden ja schon früh von allen Seiten und immerzu mit dem Thema Älterwerden konfrontiert und sind deshalb besser vorbereitet.

Verwelkter Mann in Public-Enemy-T-Shirt

Zu Beginn versuchte ich es nach meiner Trennung bei Tinder mit einem über vierzig: Fjodor. Ach, wie Dostojewski, dachte ich, und tatsächlich hatte er außer Fotos auf seinem Profil noch einen interessanten Text hinzugefügt. Er kommunizierte ­einen durchaus interessanten Weltschmerz und lernte Chinesisch, einfach so. Ich stimmte einem Treffen zu. Es war noch Sommer und ich stand zunächst alleine in der überhitzten Bar auf St. Pauli. Ich bestellte mir einen Weißwein auf Eis, drehte mich um und erblickte einen verwelkten Mann in Public-Enemy-T-Shirt und kurzer ausgebeulter Cargo-Hose. Dem schnittigen Fjodor bei Tinder ähnelte er nur entfernt. Fake Fjodor schaute mich mit freudig-großen Augen an: „Saskia, ne!? Ich hab dich schon reingehen sehen.“

Mehrfach lobte er mein junges Erscheinungsbild, und ich dachte, hoffentlich sieht mich niemand, den ich kenne, mit ihm

Ich dachte: Und dann hast du mich mein Getränk bezahlen lassen, du Niete.

Wir setzten uns raus und die Chauvinistin in mir erwachte: Scheiße, sah der alt aus, aber erstes Date, natürlich, das muss für’n Arsch sein. Ich besann mich auf den Unterhaltungswert, tat interessiert und ließ ihn labern.

Hoffentlich sieht mich niemand

Mehrfach lobte er mein junges Erscheinungsbild, und ich dachte, hoffentlich sieht mich niemand, den ich kenne, mit ihm. Seine Fotos mussten mindestens zehn Jahre alt sein, und bald schon gab er zu, dass er eben nicht 43, sondern 49 und sein Name nicht Fjodor war, sondern Stefan. Weder war er Russe, noch überzeugte er sprachlich. Seine kurzen Sätze blieben meist ohne Aussage, aber ich erfuhr, dass er noch mit seiner Frau und den Kindern zusammenlebte, aber seit einer Weile getrennt sei. Ich fragte, ob seine Frau das mit der Trennung auch wisse. Er wandte den Blick ab, nickte stumm und ich dachte an meinen Ex.

Nun wollte ich Stefan unbedingt demütigen, sagte, auf den Fotos wirke er viel größer als in echt, und berichtete, dass viele 25-Jährige bei Tinder mich treffen wollten, und da schlug er zurück und erklärte mir, das liege nur daran, dass Frauen über vierzig leichter zu haben sind und die Jungs schnell zum Schuss kommen wollen. Ich verabschiedete mich und änderte noch im Taxi bei Tinder den Altersradius. Nur noch Männer bis 39.

Meinem nächsten Date Oliver, dreißig, Journalist, berichtete ich von Fake Fjodors Einschätzung zum Thema Interesse junger Männer an älteren Frauen. Oliver sagte, das sei Blödsinn, er date nur Frauen Anfang zwanzig oder über vierzig, weil nur die beiden Gruppen die richtige Einstellung hätten. Die dazwischen wollten immer gleich wissen, was Sache sei, also Kinderkriegen, oder ihn sonst wie festlegen. Und er wolle vieles in seinem geilen Leben, nur nicht eingetütet werden. Seine letzte Freundin aber sei Anfang zwanzig und einfach zu schön gewesen. Er habe deswegen am Ende psychische Probleme bekommen.

Fußballspieler beim Durchschnittsitaliener

Als ich gähnte, schob er schnell ein, er fände mich sehr hübsch. Ich lenkte das Thema auf Tagespolitik, betrank und verabschiedete mich bald.

Den Fußballspieler eines Hamburger Vereins traf ich am frühen Abend beim Durchschnittsitaliener. Er verzehrte einen Berg Pasta mit Schrimps, zwei große Apfelschorlen und erzählte ganz amüsant von seiner Kindheit und Karriere und was er danach alles Tolles machen wolle. Er sagte, er freue sich aufs Alter, meinte damit seine Dreißiger und stellte mir nicht eine einzige Frage. Armselig, aber ich hatte ohnehin nur sinnliche Absichten. Das Problem war allerdings, dass eine Freundin, die schon mit ihm geschlafen hatte, mir gesagt hatte, sie wolle mir nicht vorab den Spaß an dem heißen Sportler verderben, aber es sei ihre Pflicht als Freundin, mir zu stecken, dass er einen klitzekleinen Penis habe. Den bekam ich beim Dinner mit ihm einfach nicht aus dem Kopf. Dabei hatte er einen so schönen großen Körper, grüne Augen und lange Wimpern. Nach dem Grappa machte ich die Biege, traf mich noch mit Freundinnen, und alle zeigten große Empathie für meine Oberflächlichkeit.

Maxim, 29, erinnerte mich an jemanden, in den ich mal sehr verliebt gewesen war. Und er stellte Fragen – meist sogar gute. Als Ausgleich zu seinem ziemlich böse kapitalistischen Job arbeitete er am Wochenende ehrenamtlich mit unterprivilegierten Behinderten, er hatte wegen seinem neuen Lebensprinzip der Nachhaltigkeit eine Brasilienreise abgesagt und war seit Kurzem Vegetarier. Nicht Veganer. Lange nicht gehört. Wir trafen uns beim Vietnamesen in der Schanze, er war so hübsch wie auf den Fotos und auch sonst ein zauberhaftes Wesen. Zu jung und lieb, befürchtete ich.

Vorlieben in der Fetisch-App

Im Taxi aber küsste er mich mit dominanter Wucht. Bald schon schlief ich mit ihm und es machte Spaß, und ich dachte, jetzt hab ich ihn gefunden, den perfekten Mann für eine gute Zeit in der Phase, in der mein Herz noch gebrochen war. Einen, in den ich mit zwanzig maßlos verliebt gewesen wäre. Doch bald schon wollte er mehr von mir. Er wollte alles mit mir teilen. Alle seine sexuellen Vorlieben.

Nichts gegen spaßige Unanständigkeit, aber: Er schickte mir einen Screenshot seines Profils bei einer Fetisch-App und bat mich, ihm mitzuteilen, was ich davon zu tun bereit sei. Vieles davon hatte mit Schmerzen zu tun und auch von Blut war die Rede. Analspielchen in allen Variationen und Dinge, von denen ich noch nie gehört hatte, und nachdem ich sie gegoogelt hatte, wollte ich die Zeit zurückdrehen.

Eine Freundin sagte, das ­Internet sei schuld, es bediene vor allem das Niedere im Mann – daher wären die Typen heutzutage schon mit Mitte zwanzig kaputt und ihre Seelen verloren. Ich dachte an Tim, der eine Straße weiter wohnt und mit dem ich bisher nur Whats-App-Kontakt hatte. Am Wochenende zwischen zwei und fünf Uhr morgens schrieb er manchmal besoffene Nachrichten, ob er noch vorbeikommen könnte. Als ich darum bat, ihn erst einmal beim Essen kennen zu lernen, bevor ich ihm in der Nacht meine Wohnungstür öffne, sagte er zu und dann eine Stunde vorher wieder ab – wegen eines mysteriösen Ausschlags.

Ich hörte lange nichts von ihm, dann wünschte er mir plötzlich schöne Weihnachten und alles Gute für das neue Jahr. Rein­kopiert, mutmaßte eine Freundin, die schon lange bei Tinder aktiv ist. Sie meinte, das machen die Typen zum Jahresende mit allen ihren Kontakten, um zu sehen, wo im nächsten Jahr noch was geht. Und sie habe da einen Mann, der ihr aus demselben Grund regelmäßig eine gute Nacht und manchmal auch einen guten Morgen und schönen Tag wünscht. Ab und zu schreibe sie zurück. Das gehe seit einem halben Jahr so, dabei haben sie sich noch nie getroffen. Vielleicht irrt sie sich und die ausgetauschten Grüße reichen ihm als Beziehungssubstitut.

Die Unverbindlichkeit, nach der viele Männer jeden Alters streben, ist oft bemitleidenswert und im besten Fall ein bisschen rührend.

* Alle Namen im Text geändert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.