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Polen und Putins KriegWenn zwei sich streiten, bestraft sie der Dritte

Die polnische Politik streitet über ihre Haltung zum Ukraine-Krieg. Jetzt richtet sich diese Zerstrittenheit gegen das Land selbst.

Das von einer russischen Drohne zerstörte Dach eines Wohngebäudes in Wyryki, Ostpolen, 10.9.2025 Foto: Wojtek Jargilo/PAP/dpa

Warschau taz | 19 russische Kampfdrohnen drangen in der Nacht auf Mittwoch aus Belarus in den polnischen Luftraum ein. „Drei davon hat unser Militär zusammen mit den hier stationierten Nato-Truppen abgeschossen“, erklärte Polens liberal-konservativer Premier Donald Tusk am frühen Morgen im Radio. Seine Stimme blieb ruhig, doch so beherrscht, dass viele Polen sofort die 24-Stunden-Nachrichtensender einschalteten. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 schlugen bereits mehrere russische Raketen und Drohnen sowie ein ukrainischer Querschläger auf polnischem Boden ein. Doch noch nie hatte Polen mutmaßlich russische Drohnen abgeschossen.

Das erste Bild im Privatsender TVN24 wirkt verstörend: Das Dach eines einstöckigen Einfamilienhauses im Dorf Wyryki nahe der südpolnischen Großstadt Lublin ist völlig zerstört. Ein Teil einer Drohne oder des Dachs durchschlug die Decke des Schlafzimmers darunter. Am Fenster hängen noch gelbe Vorhänge, doch alles andere liegt in Staub und Trümmern. Nur die Ikone der Schwarzen Madonna von Tschens­tochau, Polens Nationalheilige, hängt unversehrt an der Wand. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt.

In sieben Woiwodschaften Ostpolens, darunter Masowien mit der Hauptstadt Warschau, erhielten die Einwohner frühmorgens eine SMS-Warnung: „Achtung! Informiere die Dienste über Drohnen, die die Grenzen unseres Staates verletzt haben, und über Orte ihres Niedergangs. Nähere Dich ihnen nicht!“ Polens Hauptstadt Warschau liegt nur 160 Kilometer von Wyryki entfernt. Noch weiter westlich, in der Nähe von Łódź, der viertgrößten Stadt Polens, stürzte die am weitesten geflogene Drohne wegen Treibstoffmangels auf ein frisch gepflügtes Feld. Von dort bis zur deutsch-polnischen Grenze sind es rund 400 Kilometer.

Neuer Präsident Nawrocki blockierte kürzlich Ukraine-Hilfen

Polens neuer Staatspräsident Karol Nawrocki, der vor wenigen Tagen erst die Verlängerung des polnischen Ukraine-Hilfe-Gesetzes mit seinem Veto blockiert und damit – bewusst oder unbewusst – dem Wunsch des russischen Aggressors Wladimir Putins entsprochen hatte, berief noch Mittwoch in den frühen Mittwochstunden den Sicherheitsrat ein.

Das Veto kappte auch den Zugang der Ukraine zum satellitengestützten Internetdienst Starlink von Elon Musk, wie Polens Digitalisierungsminister bereits erklärte. Das ukrainische Militär ist auf Tausende Starlink-Anschlüsse angewiesen, die Polen größtenteils finanziert. Nawrockis Mitarbeiter betonten zwar, der Präsident wolle die Hilfe mit einer neuen Gesetzesinitiative wiederherstellen. Doch viele Abgeordnete kündigten an, diese im Sejm, der Abgeordnetenkammer, scheitern zu lassen. Das alte Hilfegesetz läuft am 30. September aus.

Der innenpolitische Konflikt, den der erzkonservative Präsident seit Amtsantritt gegen die Mitte-links-Koalition von Donald Tusk führt, richtet sich nun gegen Polen selbst. Ohne genügend Waffen, ohne Internet und andere Hilfen kann die Ukraine weder sich selbst richtig verteidigen noch russischen Drohnen und Raketen vor dem Weiterflug in den Westen abschießen. Die baltischen und skandinavischen Staaten warnen unentwegt vor der Gefahr einer nachlassenden Ukraine-Hilfe für die Anrainer-Staaten und letztlich für die ganze Nato.

Doch Nawrocki, promovierter Historiker, ignoriert die Warnungen und erinnert stattdessen bei jeder Gelegenheit an Kriegsverbrechen ukrainischer Nationalisten im Zweiten Weltkrieg. Er will die Fahne der Stepan-Bandera-Anhänger strafrechtlich mit dem Hakenkreuz und dem sowjetischen Hammer-und-Sichel-Symbol gleichsetzen. Für das Zeigen dieser Symbole sollen in Polen bis zu drei Jahre Haft drohen. Im Sejm rief Tusk die Polen auf, in der Stunde der Gefahr den politischen Streit beiseitezulegen „Auch wir Politiker – die Minister und der Präsident – bündeln unsere Kräfte wie eine Faust. Wir müssen uns nun in Eintracht bewähren.“

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