Politik und Fußball-WM: 2:0 für die Freiheit

Der Streit um die One-Love-Armbinde hat die Menschenrechte auf die Agenda gebracht. Fest steht, dass bei der Fifa nach der WM aufgeräumt werden muss.

Die iranische Fußballnationalmannschaft bei Präsident Ebrahim Raisi

Pflichttermin für die iranische Nationalmannschaft bei Präsident Raisi vor der WM Foto: Office of the Iranian Presidency/dpa

Zu den prominenten Insassen im Teheraner Evin-Gefängnis gehört derzeit auch der Filmemacher Jafar Panahi. Sein Film „Offside“ machte ihn 2006 einem breiten Publikum weltweit bekannt. „Offside“ handelt von jungen Frauen, die sich als Jungen verkleiden. Sie wollen ein Fußball-Länderspiel des Iran im Stadion sehen. Das ist Frauen im schiitischen Gottesstaat untersagt. Panahis humorvolles Werk, das auf der Berlinale mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, ist im Iran umgehend verboten worden.

Im Ausland mit Preisen überhäuft, ist Panahi daheim seit 2010 mit einem Berufsverbot belegt. Trotzdem drehte er illegal immer weiter, lässt seine Filme über das Ausland und digital verbreiten. Jetzt sitzt er wie so viele andere im Iran seit Juli im Knast. Sechs Jahre Haft sollen es werden, wegen regimekritischer Äußerungen.

Vor der Abreise zur WM nach Katar musste das iranische Fußballteam zunächst noch bei Präsident Ebrahim Raisi antreten. Die Audienz bei dem Juristen, der 1988 für die Massenhinrichtung politischer Häftlinge mitverantwortlich war, gehörte zu den Pflichtübungen der Fußballer vor der WM. Eine unangenehme, wie man an den Bildern sehen konnte. Die Spieler blickten zu Boden und machten betretene Mienen.

Beim Auftaktspiel gegen England gelangen den Fußballern dennoch die ersten zwei Tore. Sie haben sie eindeutig nicht für die Mullahs erzielt. Vor dem ersten Anpfiff sangen Irans Fußballer die Hymne nicht, sondern hielten ihre Lippen demonstrativ geschlossen. Seither spekulieren viele, was das bei ihrer Rückkehr für sie bedeuten könnte. Schließlich wurde auch die Kletterin Elnaz Rekabi im Oktober unmittelbar bei ihrer Rückkehr von den Asienmeisterschaften mit Hausarrest bestraft.

Hoher Preis für den Widerstand

Das Regime wollte sie symbolisch für die gesamte renitente weibliche Öffentlichkeit einschüchtern. Rekabi war im Ausland offensiv ohne Kopftuch an- und aufgetreten. Am letzten Donnerstag ließ dann das Regime den früheren iranischen Fuß­ball­na­tio­nal­spie­ler Voria Ghafouri verhaften. Der 35-jährige prominente Sportler habe die islamische Republik und das Fußballnationalteam verspottet. Zumindest Letzteres ist eine offensichtlich völlig unsinnige Behauptung.

Iranische Sportler riskieren einiges, sofern sie die Demokratiebewegung in ihrer Heimat sichtbar unterstützen. Sie wissen darum. Ebenso wie kritische Künstler, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten oder die ohne Kopftuch auf den Straßen des Iran singenden und tanzenden Frauen. Das Netz ist voller beeindruckender Bilder des gegenwärtigen Aufstands.

Angesichts solcher Bedrohungslagen wünschen sich auch viele Menschen in Europa eine klarere Haltung ihrer Sportverbände gegenüber Staaten, die die Menschenrechte mit Füßen treten. Insbesondere Katar, der arabische Ausrichter der Fifa-Fußball-WM, steht vehement im Fokus der Kritik. Und das völlig zu Recht. Das Emirat ist eine fossile Diktatur, praktiziert gegenüber Arbeitsmigranten einen feudalistisch anmutenden Klassenrassismus, und in Bezug auf Frauenrechte oder sexuelle Freiheit lebt man in dem arabischen Land im Vorvorgestern.

All dies wird derzeit richtigerweise thematisiert und angeprangert. Doch will man die menschenrechtlich korrekte Haltung des deutschen Teams in Katar jetzt tatsächlich daran messen, ob Torwart Manuel Neuer die „One Love“-Kapitänsbinde trägt oder nicht? Das scheint doch ein wenig wohlfeil. Denn in der Symbolpolitik – und nur darum kann es hier gehen – zählt die richtige Geste zum richtigen Zeitpunkt.

Und diese haben der DFB und einige europäische Nationen an die Gesellschaften Katars oder Irans längst gesendet. Die Deutschen bei ihrem Spiel gegen Japan. Die Bilder der Fußballer mit den Händen vor den Gesichtern waren ebenso unmissverständlich wie die der deutschen Innenministerin Nancy Faeser, die, auf der Tribüne neben dem korrupten Fifa-Generalsekretär Gianni Infantino sitzend, die „One Love“-Armbinde trug.

Die politischen und juristischen Aufräumarbeiten bei der Fifa müssen ohne Zweifel nach der WM fortgesetzt werden. Und zwar konsequent. Auch der Sport braucht eine moralisch-ökonomische „Zeitenwende“. Es darf keine gegen jede Vernunft, gegen Menschenrechte und Nachhaltigkeit durchgesetzten Spiele mehr geben. Doch dem Sport ist auch nicht stellvertretend alles aufzubürden, was man in der Vergangenheit politisch versäumte. Schon gar nicht im laufenden Wettbewerb.

Im Jahr 1978 besuchte der frühere Wehrmachtsoffizier Hans-Ulrich Rudel im WM-Quartier des DFB in Argentinien noch das deutsche Team. Die Offiziellen bekundeten ungeniert ihre Sympathie für diesen Altnazi und für die argentinische Militärjunta. Doch seither ist man auch beim DFB ein ganzes Stück weiter.

Irans und Katars Frauen haben wesentlich mehr davon, dass wir wie jetzt über sie reden und sie ideell präsent sind. Und jedes Tor, das dieses begeisternde iranische Fußballteam während dieser WM erzielt, ist eines für Jafar Panahi, für die Inhaftierten und für die Frauen. Das 2:0 gegen Wales ist ein grandioser Sieg für die Freiheit. Mehr denn je gilt für den Fußball wie den Iran: Gespielt wird auf dem Platz.

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Andreas Fanizadeh, geb. 1963 in St.Johann i.Pg. (Österreich). Leitet seit 2007 das Kulturressort der taz. War von 2000 bis 2007 Auslandsredakteur von „Die Wochenzeitung“ in Zürich. Arbeitete in den 1990ern in Berlin für den ID Verlag und die Edition ID-Archiv, gab dort u.a. die Zeitschrift "Die Beute" mit heraus. Studierte in Frankfurt/M. Germanistik und Politikwissenschaften.

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