Politisch motivierte Kriminalität: Kein Grund zur Entwarnung

Die Zahlen rechter Straftaten in Deutschland bleiben laut Innenministerium stabil. Sie sind auch die höchsten aller Extremismusbereiche.

Demonstranten mit Deutschlandfahnen ziehen an Polizeiautos vorbei

Für 2018 zählten Opferverbände 1.212 rechtsextreme Gewalttaten allein in Ostdeutschland und Berlin Foto: dpa

BERLIN taz | Die Bilder von Chemnitz sind noch präsent. Neonazis, die im Spätsommer 2018 über die Straßen ziehen, den Hitlergruß zeigen und immer wieder auch Gegendemonstranten und Migranten attackieren. Gut 120 Ermittlungsverfahren leiteten die Ermittler danach ein.

Die Aufmärsche in Chemnitz waren ein Fanal. Aber sie waren kein Einzelfall. 20.431 rechtsextreme Straftaten zählte die Polizei im vergangenen Jahr bundesweit. Fast genauso viel wie im Vorjahr, als es 20.520 Delikte waren. Diese Statistik präsentierten Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und BKA-Chef Holger Münch am Dienstag in Berlin. Auch insgesamt sank die Zahl aller politischen Straftaten, von 39.505 auf 36.062 Delikte. „Es gibt aber keinen Grund zur Entwarnung“, sagte Seehofer. „Im Gegenteil“

Kein Anstieg der rechtsextremen Straftaten also, trotz Chemnitz. Es seien meist Wahljahre, die politische Straftaten hochschnellen ließen, erklärte Münch. Der Chemnitz-Komplex habe sich in der bundesweiten Statistik dagegen nicht so niedergeschlagen. Aber, was die Zahlen eben auch zeigen: Die rechtsextreme Gewalt in Deutschland stabilisiert sich, sie normalisiert sich.

So sind die Straftaten in diesem Feld weiter die höchsten aller Extremismusbereiche. Und rechtsextreme Gewaltdelikte stiegen gar leicht an: von 1.130 im Vorjahr auf nun 1.156. In einem Fall endete die Gewalt tödlich: Im sächsischen Aue folterten drei Rechte einen Mann zu Tode, auch wegen dessen Homosexualität.

Straftaten steigen an

Und schaut man sich die Zahlen genauer an, gibt es tatsächlich keine Entwarnung. So sanken zwar etwa die Angriffe auf Asylunterkünfte auf 173 Fälle – vor zwei Jahren waren es noch 995 Fälle. Insgesamt aber stiegen rassistische Straftaten deutlich an, um knapp 20 Prozent auf 7.701 Delikte. Ebenso stark wuchsen antisemitische Straftaten, von 1.504 auf 1.799 Fälle – davon werden fast 90 Prozent dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet.

Und das sind nur die offiziellen Zahlen. Unabhängige Opferverbände zählten fürs vergangene Jahr 1.212 rechtsextreme Gewalttaten allein in Ostdeutschland und Berlin – mehr also als die Polizei bundesweit. Judith Porath, Sprecherin der Verbände, nannte die von Seehofer präsentierten Zahlen daher „lediglich einen Ausschnitt des bedrohlichen Anstiegs von rassistischer und rechter Gewalt“. Die Diskrepanz zu den Statistiken der Opferverbände sei „besorgniserregend hoch“.

Auch Timo Reinfrank von der Amadeu-Antonio-Stiftung sprach von einem „größeren Dunkelfeld“ rechter Straftaten. Auch finde derzeit eine „Zuspitzung“ der Szene statt, diese bereite sich auf einen vermeintlichen Bürgerkrieg vor. Da brauche es „mehr Prävention und einen spürbar höheren Verfolgungsdruck“, so Reinfrank.

BKA-Chef Münch sieht diesen gegeben. Man gehe Gefahrenhinweisen „früh und schnell nach“, versicherte er. „Wir wollen erst gar keine Verfestigung von Strukturen.“ Und auch Münch warnte, dass zwar nicht die Deliktszahlen anstiegen, wohl aber die Radikalität in Teilen der Bevölkerung. „Deshalb müssen wir sehr wachsam sein.“

„Verrohung des Klimas“

Seehofer nannte vor allem die gestiegenen antisemitischen Straftaten besorgniserregend. „Das ist eine Entwicklung, der wir uns gerade in unserem Land mit allen Mitteln entgegenstellen müssen.“ Das Problem sei „verdammt ernst“.

Entsetzt über die Zahlen zeigte sich auch Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung. Er habe angesichts der „Verrohung des gesellschaftlichen Klimas“ mit einem Anstieg antisemitischer Straftaten gerechnet. „Dass der Anstieg derart hoch ausgefallen ist, halte ich für äußerst alarmierend.“ Täter müssten rascher vor Gericht gestellt, Prävention in Schulen verstärkt werden. „Wir müssen nun alle unseren politischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte mobilisieren.“

Münch und Seehofer legten auch Zahlen für die anderen Bereiche vor. Bei linksextremen Straftaten gab es 2018 demnach einen Rückgang: von 9.752 auf 7.961 Delikte. Auch die Gewaltdelikte darunter sanken, von 1.967 auf 1.340. Beides überrascht wenig: Im Jahr zuvor hatten die Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg die Statistik hochgetrieben.

Seehofer und Münch warnten dennoch auch hier: Auch Linksextreme verübten schwere Gewalttaten, vor allem gegen Polizisten. Seehofer verwies auf den Hambacher Forst, wo Aktivisten Polizisten auch mit Zwillen und Molotowcocktails beworfen hätten.

Rechtsextreme in der Polizei

Und noch eine Zahl sorgte Seehofer: So stiegen Straftaten aufgrund „ausländischer Ideologie“ um 53 Prozent, von 1.617 auf 2.487 Delikte. Dahinter steckt vor allem das Überschwappen des Konflikts zwischen Türken und Kurden nach Deutschland. Gerade die türkische Militäroperation gegen Kurden im syrischen Afrin habe hierzulande zu Protesten und einhergehenden Straftaten geführt, so Münch. Seehofer versicherte, der Staat werde alles tun, damit ausländische Extremisten Deutschland nicht für sich nutzten, allen voran die PKK.

Gefragt wurden Münch und Seehofer auch nach Rechtsextremen in der Polizei – in Hessen hatten entsprechende Chatgruppen von Beamten zuletzt für einen Skandal gesorgt. Seehofer tat dies als „Einzelfälle“ ab: In den Sicherheitsapparaten dürften natürlich keine Extremisten arbeiten – die Zahl der bekannten Fälle aber sei doch gering. Münch dagegen sagte, „jeder dieser Fälle ist einer zuviel“. „Das sind Dinge, die kann und will sich eine Polizei nicht leisten. Deshalb muss man konsequent dagegen vorgehen.“

Letztlich, so Seehofer, seien allen politischen Straftaten, egal mit welcher Begründung begangen, „durch nichts zu rechtfertigen“. Deshalb müssten diese mit „null Toleranz“ geahndet werden. Allerdings, warf BKA-Chef Münch ein: Mit den Wahlen in diesem Jahr seien neben politischen Debatten auch wieder verstärkte politische Straftaten zu erwarten.

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