Politische Debattenkultur: Ist der US-Präsident psychisch krank?

Journalisten und Psychologen diagnostizieren Trump gern eine psychische Störung. Das ist fatal – für die Psychatrie und für die Gesellschaft.

Ein Mann, Donald Trump

Irre oder irre rational, indem er das tut, was seine WählerInnen von ihm erwarten? Donald Trump Foto: dpa

Michael Wolffs Insider-Reportage „Fire and fury. Inside the Trump White House“ über die labile und unreife Persönlichkeit Donald Trumps hat die Debatte um die psychische Gesundheit des US-amerikanischen Präsidenten neu entfacht. „Donald Trump ist auf dem Weg in die Demenz“, schreibt Jakob Augstein auf Spiegel Online. PsychiaterInnen und PsychologInnen äußern sich in Talk- und Late-Night-Shows, Interviews und Zeitungsartikeln zu der Frage, ob Trump eine psychische Erkrankung hat.

Sie erklären diagnostische Unterscheidungen und erläutern der Öffentlichkeit aktuelle wissenschaftlichen Erkenntnisse ihres Fachs. Hat Trump eine narzisstische oder antisoziale Persönlichkeitsstörung? Leidet er an einer wahnhaften Störung oder an einer Manie? Das gesamte diagnostische Arsenal der Psychiatrie wird herangezogen: Manches mag für die eine, manches für die andere, manches für mehrere schwerwiegende Diagnosen des Politikers sprechen.

Es scheint, als ob jede/r ExpertIn glaubt, etwas zur psychiatrischen Einschätzung Trumps beitragen zu müssen. Anhand des US-Politikers kann damit nicht nur die eigene Fachkompetenz gezeigt werden, sondern überhaupt die Relevanz der Psychiatrie mitsamt ihrer Diagnosen, Krankheitstheorien und Therapieansätze der breiten Öffentlichkeit.

Trump ist somit ein typisches Beispiel für die Psychiatrisierung der Politik, also für die Ausweitung des psychiatrischen Einflusses auf andere gesellschaftliche Bereiche. Das Credo dieser Psychiatrisierung lautet: Sobald wir wissen, dass Trump psychisch krank ist, werden wir ihn los – er kann des Amtes enthoben werden und die Psychiatrie muss sich seiner annehmen.

Es könnte so schön einfach sein

Die Komplexität der politischen Dauerkrise in Washington wird somit auf eine Einzelperson und deren Fehlhandlungen reduziert. Hinter dieser Reduktion steckt offensichtlich der Wunsch nach einer einfachen, kurzfristigen Lösung, die den US-Präsident aus dem Amt drängt. Dabei wird nicht nur die Politik, das heißt das Handeln von einzelnen PolitikerInnen und Parteien, psychiatrisiert, sondern in einem viel weiteren Sinn der öffentliche Raum und der Diskurs insgesamt. Das Politische im Allgemeinen wird psychiatrisiert, an dem teilzunehmen wir alle aufgerufen sind.

Der Autor ist Psychiater und Philosoph und lebt in Berlin.

Nicht nur bei Politikern wie Trump sind psychiatrische Diagnosen immer gut für eine einfache Erklärung. Ob islamistischer Terroranschlag oder rechtsradikale Morde, ob Sexualverbrechen oder Amoklauf: Werden die TäterInnen als „psychisch labil“, „einsamer Wolf“ oder „psychisch gestörter Jugendlicher“ beschrieben, tritt kollektive Erleichterung ein. Entsprechende Labels entlasten oftmals nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Täter selbst. Nicht umsonst reklamierte etwa Beate Zschäpe im NSU-Prozess für sich, psychisch krank zu sein.

Woher rührt diese Sehnsucht nach psychiatrischen Erklärungen? Und woher kommt das kollektive Entlastungsgefühl? Wenn wir über eine Person sagen, dass sie psychisch krank ist, lösen wir den Kontext auf, in dem sie mit uns steht. Wir reduzieren die gemeinsame Situation auf ein individuelles Problem, das nur diese Person hat. Wir sprechen ihr die Möglichkeit ab, diese Situation realistisch einzuschätzen und angemessen auf sie zu reagieren.

Psychiatrische Diagnosen werden häufig wie aus dem Zusammenhang gerissene Tautologien verwendet, in denen sich auffälliges Verhalten und Krankheitszuschreibung gegenseitig begründen: Jemand verhält sich verrückt, weil er offensichtlich psychisch krank ist – und er ist psychisch krank, weil er sich offensichtlich verrückt verhält. Dass aber verrücktes Verhalten immer auch aus einer verrückten Situation hervorgeht, fällt dabei ebenso unter den Tisch wie die Tatsache, dass wir selbst Teil dieser verrückten Situation sind.

So lässt etwa die Rede vom „einsamen Wolf“ vergessen, dass wir Teil einer Gesellschaft sind, die „einsame Wölfe“ hervorbringt und diese nicht teilhaben lässt. Das gilt auch für schwerwiegende psychiatrische Störungen, die Psychosen. Sie treten deutlich häufiger bei Menschen mit Migrationshintergrund auf, die regelmäßig Rassismus und Ausgrenzung in ihrem Alltag erleben.

Das Problem ist die politische Situation

Was hat das mit Trump zu tun? Seine psychische Gesundheit ist nicht das Problem – oder allenfalls das von einigen PsychiaterInnen. Das Problem ist die gemeinsame politische Situation, aus der Trump hervorgeht. Es ist der Trumpismus, der für die sich seit vielen Jahren vollziehende Verwerfung beziehungsweise Verrückung im gesamten gesellschaftlichen Raum steht. Der Trumpismus steht unter anderem für die Verschärfung und rechtspopulistische Ausschlachtung sozialer Ungleichheiten, für eine der größten wirtschaftlichen Deregulationsmaßnahmen in der US-Geschichte und für eine massive Diskreditierung des Journalismus.

Was wir brauchen, ist eine Auseinandersetzung über den speziellen politischen Moment und die Gesellschaft, die den Trumpismus möglich macht.

Er steht außenpolitisch für eine weitere Polarisierung und Militarisierung der Diplomatie. Er steht schließlich für eine Verrohung des Diskurses und für das offene Ausleben von Ressentiments gegen alles, was den eigenen, einst sicher geglaubten sozialen Status zu bedrohen scheint – von den Teilhabeforderungen von Minderheiten bis zu den angeblichen „Denkverboten“ einer pluralen Gesellschaft.

Zum Verständnis des Trumpismus braucht es Trump nicht und schon gar nicht die Psychiatrie, die uns sagt, ob Trump krank ist oder nicht. Was wir brauchen, ist eine Auseinandersetzung über den speziellen politischen Moment und die Gesellschaft, die den Trumpismus möglich macht. Statt Trump psychiatrisch zu behandeln, sollten wir den Trumpismus politisch behandeln.

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