Politisches Feuilleton zu Robert Habeck: Scheitern als Chance
Sein Rückzug ist konsequent. Aber was folgt daraus – für ihn selbst und für die Debatten in Deutschland? Gedanken zum Abgang von Robert Habeck.
Als mein taz-Kollege und ich vor ein paar Tagen in das Bundestagsbüro von Robert Habeck am Berliner Reichstag kamen, war mit einem Blick alles klar: Regale leer, Umzugskisten erst gar nicht ausgepackt. The End. Der Altvizekanzler aber grinste uns an. Er war dann auch in der Folge richtig gut drauf.
Seither habe ich über seinen Abschied aus dem Bundestag mit vielen Leuten gesprochen oder von ihnen gelesen, Weggefährten, Fans, Kritiker, Hassfratzen. Die Gefühle sind außergewöhnlich stark und reichen von seufzendem Verständnis bis zum bebenden Verratsvorwurf, von exzessiver Verachtung bis zu aufrichtiger Trauer. Gerade wir Journalisten neigen offenbar auch dazu, uns auf Charakter- und Stilbeurteilungen zurückzuziehen.
Zwei zentrale Aspekte werden bisher nicht besprochen. Das eine ist die Frage, ob und wie das zoon politicon Habeck von Kopenhagen, Berkeley oder Jerusalem aus weiter einen Unterschied machen kann, wie er seine neuen Erkenntnisse so in die traditionell enge deutsche Politikdiskussion einbringen kann, dass sie nicht als Elder Statesman-Predigten wohlwollend ignoriert werden.
Das Zweite ist die Frage, was aus seinem Scheitern folgt, wenn seine Analyse der gesellschaftspolitischen Lage richtig ist, wovon ich ausgehe. Sie lautet verkürzt: Ich habe das versucht, aber es gibt in der Spätmoderne keine gesamtgesellschaftlichen Ziele oder Aufgaben mehr, hinter die sich eine Mehrheit stellen würde.
Nicht links genug oder zu links?
Die Rezeption von Habecks Versuch ist in der Regel so, dass die Unsereins-Milieus finden, dass sein Wahlkampf einfach nicht „links genug“ war. Die von ihm zur Stabilisierung der Mitte auch angepeilten Konservativen fanden ihn dagegen „zu links“. Und die dritten, eher Habeckianer, verstehen schlicht nicht, woran er genau gescheitert ist, wo sie ihn doch so toll finden und ihr Ideal-Ich in ihm spiegeln.
Nach mehrfacher Lektüre des taz-Gesprächs könnte man als These probieren: Er ist daran gescheitert, dass seine Post-Wahl-Analyse stimmig ist. Sein Kernangebot bestand ja eben nicht darin, Wischiwaschi-Politik für eine Wischiwaschi-Mitte zu machen. „Mitte“ heißt bei Habeck: keine Partikularpolitik (die er der schrumpfenden Union und der geschrumpften SPD vorwirft), sondern eine für die ganze, im Idealfall europäische Gesellschaft. Das Problem könnte nun sein: There is no such thing as common goals. Nicht mal oder schon gar nicht die Bewahrung der planetarischen Lebensgrundlagen für Menschen.
Hinzu kommt, dass nicht nur die Politik, sondern auch die politische Kultur in der Bundesrepublik in der Vergangenheit stecken geblieben sind: Die Parteien werden auf etwas festgelegt, wofür sie in der Vergangenheit standen, und nicht was nötig wäre, um die Probleme der Gegenwart zu mildern. Das betrifft besonders die Parteien, die man traditionell „progressiv“ nannte.
Die Mitte herausfordern
Die SPD hat sich von ihrem Trauma nicht erholt, dass Gerhard Schröder Mitte der nuller Jahre tatsächlich mal progressive (Arbeitsmarkt-)Politik versuchte.
Die Grünen wurden gegründet, um die Mitte der Gesellschaft (und die SPD) herauszufordern. Und definitiv nicht, um sie zu stabilisieren. Dass die Zeiten und damit die Aufgaben andere geworden sind, haben Teile der Partei und neue Wähler verinnerlicht, doch Classic-Progressive kämpfen emotional-kulturell damit. Weshalb sie sich bei der Bundestagswahl von den Habeck-Grünen abwandten, weil die neu dachten.
Das ist nicht ironisch, das ist tragisch.
Habecks Analyse nochmal im Schnelldurchlauf: Die ehemaligen Volksparteien Union und SPD schrumpfen, weil es eben (und aus aufgeklärter Sicht: Gott sei Dank) kein Volk mehr gibt – nur die menschenfeindliche Illusion davon, mit der die Rechtspopulisten arbeiten, die ihnen Wähler abziehen.
Was es gibt, ist eine pluralistische, heterogene Gesellschaft aus Interessengruppen und Individuen, deren oberste Werte Freiheit und Singularität sind (zumindest im Westen) und die von destruktiven Kräften dazu verleitet werden sollen, ihre Lebenswirklichkeiten als konträr oder gar unvereinbar anzusehen (vor allem im Osten).
Kulturkampf simulieren
Die Gesellschaft ist in Individuen, Kleingruppen und deren Partikularinteressen zerfallen. Zusammen kriegt man Leute nur noch, wenn man polarisiert, den Kulturkampf ausruft oder simuliert und Sündenböcke identifiziert, die starke negative Emotionen auslösen. Migranten, Minderheiten, Wissenschaftler, Medien oder auf der linkspopulistischen Seite Milliardäre.
Der diabolisch-destruktive Mastercoup von CSU-Chef Markus Söder bestand darin, die kulturell bürgerlich und politisch republikanisch gewordenen Grünen als Sündenböcke zu etablieren und mit „fetischhaftem Wurstgefresse“ (Habeck) so zu tun, als vertrete er ein geknechtetes Volk, dem von ihnen der Verzehr von Fleisch- und Wurstwaren verboten werden sollte.
Der Zweck dieser tatsachenfernen Inszenierung ist es, sagt Habeck, von den eigenen strukturellen Versäumnissen der letzten Jahrzehnte abzulenken. Statt den Umbau von Wirtschaft und Energiewirtschaft, Bundeswehr, Digitalstruktur und so weiter mal endlich selbst anzugehen, wurde die durchaus erfolgreiche Reparaturpolitik des grünen Wirtschafts- und Klimaministers als Untergang des Abendlandes angeprangert.
Dies alles und noch viel mehr hat dazu geführt, dass Zukunft für viele Leute ein böses Wort geworden ist. Etwas, das verhindert werden muss, weil sie in der Zukunft verlieren werden. Dass die Verluste ohne ernsthafte Reparaturpolitik viel größer werden, ist im Moment kaum zu vermitteln.
Kompromisse populär machen
Nun ist der Rückzug von Robert Habeck konsequent, wenn er das damit begründet, dass sein Angebot ja nun nicht nachgefragt wurde. Was aber folgt daraus?
Entweder man sagt, das war eh Quatsch, die Zeit der brutalen Polarisierung ist gekommen, die Grünen müssen „nach links“, die SPD sowieso, und dann gehen zwei polarisierte Teile der Deutschen jetzt aber mal richtig aufeinander los.
Oder man braucht eine neue Idee, wie man den gesamtgesellschaftlichen Ansatz und die Notwendigkeit und Chance liberaldemokratischer Kompromisse populärer macht, als es Habeck im Wahlkampf konnte.
Aber, aber: Gemeinsam Kompromisse zu finden, die nicht nur Zusammenbrüche um ein paar Jahre hinauszögern, sondern nicht mehr zukunftsfähige Strukturen reparieren, das ist mit Merkel und SPD gescheitert, das ist in der Ampelkoalition gescheitert, das scheitert gerade bei Union und SPD, und das findet auch null Nachfrage in der Mediengesellschaft. Verständlich: Vernunft ist einfach lahm und verkauft nicht. Der Trend ist, die eigene Peergroup zu verabsolutieren, das ist auch die Basis des Erfolgs der Linkspartei bei jungen Menschen.
Auf einem anderen Weg
Und da ist noch etwas: Winfried Kretschmann hat die durch Stuttgart 21 polarisierte baden-württembergische Gesellschaft wieder zusammengebracht, indem er eben nicht der grüne Ministerpräsident wurde, der den sozialökologischen Durchmarsch organisierte, sondern der Ministerpräsident des überwiegenden Teils der Gesellschaft.
Aber je größer der Anteil der Gesellschaft ist, den man hinter sich bringt, desto niedrigschwelliger muss die Reformpolitik werden. Ohne den Druck einer bereits eingetretenen Katastrophe gibt es aus diesem Dilemma kein Entkommen. Eine Lösung bringt weder die gern beschworene plötzlich auftretende Massenvernunft noch die gern geforderte Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede und schon gar nicht „der Hass der Erniedrigten“, der „die Herrschenden wegpustet“ (Andreas Baader).
Dass Robert Habeck nun „einen anderen Weg“ geht, als Frau Haßelmann zu drängen, ihm den Fraktionsvorsitz zu überlassen und auf Neuwahlen zu warten? Es wird ja nichts besser, wenn Friedrich Merz scheitert, im Gegenteil. Das zahlt nur auf rechts außen ein, lässt Union und SPD weiter schrumpfen und eröffnet – das ist Söders Gruselvermächtnis – keinerlei liberaldemokratische Koalitionsperspektiven.
Einfluss von Berkeley aus
Wir haben als Gesellschaft und auch als intellektuell-politische Leute im Moment keine Kultur, die eine Politik grundieren und ermöglichen könnte, die die Errungenschaften der liberalen Moderne bewahrt, indem sie zentrale Strukturen repariert. Insofern könnte man auch sagen, dass all die Unken, die nun Habeck hinterherrufen, er werde doch nicht ernsthaft denken, er könne von Berkeley aus Einfluss nehmen, vermutlich recht haben. Was den Berliner Politikbetrieb angeht.
Nicht aber, was den gesellschaftlichen Kulturwandel angeht. Da kann jemand vielleicht doch einen Unterschied machen, der jetzt von außen auf den politischen und auch unseren medialen Aktionismus schaut und ihm neue, längere und tiefere Gedanken entgegensetzt.
Na ja, „jemand“ nicht. Aber womöglich Robert Habeck.
Mitte der Woche rief ich Habeck an und sagte: „Na, sind Sie immer noch glücklich mit allem, was Sie im taz-Interview gesagt haben?“ Da kam er gerade von der ehemaligen Kanzlerin und war auf dem Weg zu Lanz. Er gluckste und sagte: „Mehr denn je.“
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