Politologe Grottian über Armentafeln: „Eine Form von Demütigung“

Peter Grottian sieht in Armenspeisungen ein Versagen des Sozialstaats. Nun macht er in Berlin gegen „20 Jahre Tafel“ mobil.

Armut in der Hauptstadt: Die Tafeln blühen, aber der Sozialstaat stellt sich tot. Bild: dpa

taz: Herr Grottian, das „Kritische Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln“ macht gegen die Armenspeisungen mobil. Was genau ist falsch daran, hungrigen Menschen Essen anzubieten?

Peter Grottian: Daran ist nichts falsch. Unsere Kritik ist eine Gesellschaftskritik. Wir fragen, warum die Tafeln blühen, aber der Sozialstaat sich tot stellt.

Sie wollen die Tafeln für gescheiterte Sozialpolitik verantwortlich machen?

Das Scheitern ist bei der Politik zu suchen, die die Menschen, die Hartz IV brauchen, nicht ausreichend versorgt – das ist ja der Grund, warum die Tafeln zugenommen haben. Gleichzeitig werden diejenigen, die sich engagieren, von der Politik instrumentalisiert.

Und jetzt kritisieren Sie diejenigen, die auf einen Missstand reagieren?

Wir kritisieren nicht die 500.000 Menschen, die sich engagieren, sondern eine Gesellschaft, die es zulässt, dass es überhaupt zu dieser Form der Armenspeisung kommt.

Jg. 1942, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin und Mitinitiator des Kritischen Aktionsbündnisses 20 Jahre Tafeln.

Auf der Homepage heißt es aber, dass Tafeln die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben.

Die Entlastung des Sozialstaats führt dazu, dass diese Form der Armenspeisung zum gesellschaftlichen Prinzip wird. Das kann man am Beispiel von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen gut erklären: Einerseits ist sie lächelnde Vollstreckerin von schäbiger Hartz-IV-Disziplinierung und gleichzeitig schwingt sie die Suppenkelle in den Tafeln, um sich zu inszenieren.

Sie wollen also die Tafeln abschaffen, damit die Politik wieder verantwortlich handelt?

Es geht darum, eine Grundsicherung zu institutionalisieren, die Tafeln weitgehend überflüssig macht. Wie können die politisch Verantwortlichen angesichts von 1,5 Millionen Menschen, die auf Tafeln angewiesen sind, ernsthaft sagen, dass sich am Sozialstaat nichts ändern muss? Das Verhältnis von Sozialstaat zu Armut ist völlig verdreht. Die Vertafelung der Gesellschaft ist eine weitere Form von Demütigung.

Glauben Sie, dass Menschen, die auf die Tafeln angewiesen sind, diese Ansicht teilen?

Fragen Sie die Menschen, ob sie weiter zur Tafeln gehen wollen oder ob sie lieber bessere Eckregelsätze hätten, mit denen sie selbst entscheiden können, was sie essen wollen.

Was muss sich konkret ändern?

Es müsste zunächst eine menschenrechtsgemäße Grundsicherung geben, eine Summe von 1.000 Euro wäre da angemessen und auch finanzierbar. Anderseits geht es auch um selbstermächtigende Arbeitsplätze.

Was bedeutet das?

Es geht um die Frage, was kann und will eine Mensch in einer Gesellschaft leisten. Es ist ja Arbeit zu Hauf da, die getan werden muss, aber für die es angeblich keine Gelder gibt.

Zum Beispiel …

… im ganzen Non-Profit-Sektor.

Wie soll das finanziert werden?

Ein gesellschaftlich sinnvoller Arbeitsplatz, der vielleicht 10.000 bis 15.000 Euro im Jahr kostet, ist möglicherweise sinnvoller als Hartz IV. Wenn man sich dieser Debatte ernsthaft stellt, dann kommt man zu dem Schluss, dass eine geringere Zahl an Tafeln angesagt ist.

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