Polizei-Konfliktmanager über Castorblockade: "Wir sind das mildeste Einsatzmittel"

Als Konfliktmanager vermittelt Karsten Schröder zwischen Polizisten und Demonstranten. Er soll Eskalationen verhindern und war zuletzt bei der Schienenblockade in Hitzacker eingesetzt.

Sagt, er stehe für Friedfertigkeit und gegenseitige Achtung: Konfliktmanager Karsten Schröder. Bild: Christian Wyrwa

taz: Herr Schröder, Sie haben die Räumung großer Blockaden beim letzten Castor-Transport so moderiert, als seien Sie ein externer Mediator. War das eine Art moderner psychologischer Kriegsführung der Polizei?

Karsten Schröder: Die Art, wie ich die Räumung der Schienenblockade in Hitzacker, auf die Sie anspielen, moderiert habe, war in der Tat vollkommen polizeiuntypisch. Polizeiliche Durchsagen sind im Regelfall sprachlich sehr formal. Ich war dort als Konfliktmanager der Polizei im Einsatz und meine Aufgabe ist es in dieser Funktion, den Druck aus solchen Situationen herauszunehmen. Wir suchen den Dialog und versuchen so, Positionen anzunähern, Eskalation zu vermeiden und Gewalt zu verhindern.

Sie haben den Demonstranten beispielsweise vorab versichert, es werde niemand in Gewahrsam genommen. Ein Teil dürfte dadurch eher sitzen geblieben sein, um sich wegtragen zu lassen. Wie haben Ihre Kollegen darauf reagiert?

Viele Beamte sind sehr lange im Einsatz und sind körperlich schwer belastet. Und dann komme ich und will, dass sie langsam räumen. Es ist klar, dass manche meine Moderation dann nicht gut finden. Man kann als Polizeibeamter ja auch sagen: Die Leute wissen, dass es verboten ist, sich auf die Schienen zu setzen, und die werden da jetzt schnellstmöglich wegbefördert, wie auch immer wir das schaffen. Dann unterbleiben adäquate Ansprachen oft und die Lage kann schneller eskalieren.

Wie setzen Sie Ihre Linie durch?

Gar nicht. Wir sind immer auf die Akzeptanz der jeweiligen Polizeiführer angewiesen. Wenn mir ein Polizeiführer so eine Moderation nicht zugesteht, dann mache ich sie auch nicht.

Kommt das oft vor?

In Hitzacker war die Kooperationsbereitschaft des verantwortlichen Polizeiführers sehr hoch. Wir sind per Erlass fest in der niedersächsischen Polizei verankert - als das mildeste polizeiliche Einsatzmittel. Im Wendland arbeiten viele verschiedene Länderpolizeien und die Bundespolizei zusammen. So kann es sein, dass Angebote des Konfliktmanagements, in bestimmter Art zu unterstützen, nicht angenommen werden. Der jeweilig verantwortliche Polizeiführer bestimmt die aus seiner Sicht in der Situation erforderlichen Maßnahmen.

KARSTEN SCHRÖDER, 49, Hauptkommissar, arbeitet im Alltag im Präventionsteam der Polizeiinspektion Garbsen. Bei großen Einsätzen ist er einer der Konfliktmanager der Landespolizei Niedersachsen.

Es hängt also von Ihrer Überredungskunst ab?

Als Konfliktmanager formuliere ich Angebote und stelle mögliche Konsequenzen vor. Für Polizeiführer, die die Arbeitsweise des Konfliktmanagements nicht kennen ist es häufig nicht leicht, sich auf unser Mitwirken einzulassen. Das hat mit Vertrauen zu tun. Den meisten Polizeiführern in einem solchen Großeinsatz sind wir als Person vollkommen unbekannt.

Wie sind Sie Konfliktmanager geworden?

Ich war in den 90er-Jahren im Wendland immer in einem Festnahmezug eingesetzt. Die Castor-Transporte 1995 und 1997 wurden teilweise sehr massiv durchgesetzt …

… das würden viele Menschen auch über den letzten Einsatz sagen. Was war Ihrer Meinung nach damals damals anders?

Es gab sehr unschöne Szenen, etwa beim Vorgehen gegen friedlich protestierende Menschen, oder Schlagstockeinsätze, ohne dass diese zwingend erforderlich gewesen wären. Die Polizei hat damals festgestellt, dass sie nicht so weitermachen konnte. In der niedersächsischen Polizeiführung gab es ein Umdenken. Der sozialwissenschaftliche Dienst der Landespolizei, dem wir angegliedert sind, hat begonnen, die Konfliktmanager aufzubauen. Im März 2001 begann unsere Arbeit. Viele hatten damals zu hohe Erwartungen an uns. Viele Menschen im Wendland dachten, wir könnten die Situation zugunsten der Protestierenden entscheiden, seien den Polizeiführern gegenüber weisungsbefugt. Das war 2001 nicht - und ist auch heute nicht so.

Haben Sie eine besondere Ausbildung?

90 Prozent der Konfliktmanager sind ausgebildete Verhaltenstrainer, ich auch. Das ist eine halbjährige Ausbildung, während der man viel über Kommunikation lernt. Ich fand diesen Ausbildungsgang faszinierend. Ich habe bis 1999 gezögert, mich dafür zu bewerben.

Warum?

Ich hatte Angst, beim Eingangstest durchzufallen. 70 Prozent der Bewerber wurden seinerzeit nicht zugelassen. Es hat dann für mich wider Erwarten aber doch geklappt.

Kommen Sie erst ins Spiel, wenn der Konflikt schon da ist?

Nein. Wir sind auch im Vorfeld von Einsatzlagen aktiv. Über den sozialwissenschaftlichen Dienst der niedersächsischen Polizei werden die agierenden Konfliktparteien intensiv betrachtet und analysiert. Bei Einheiten mit spezieller Ausrichtung, die für besondere Lagen vorgehalten werden, wie zum Beispiel Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten, versuchen wir im Vorfeld für "duldsame Kommunikation auf Augenhöhe" und Verständnis für die Position des Protests zu werben. Ähnliches gilt für Beamte, die noch nie im Wendland waren und die Hintergründe des Protests gar nicht kennen. Denen fehlt oft das Verständnis für das Verhalten der Demonstranten. Wir sind deshalb in früheren Jahren in andere Bundesländer gefahren, um dort Aufklärung zu leisten.

Was versuchen Sie außer gewaltarmen Räumungen noch zu erwirken?

Ein häufiger Diskussionspunkt ist beispielsweise der Helm. Von den 19.000 Beamten wurde zwar nur eine sehr kleine Zahl wirklich angegriffen, aber es gab eben auch Angriffe mit Steinen oder Böllern. Also wollen viele Kollegen in Einsatzlagen den Helm aufbehalten. Das wirkt aber für viele Menschen bedrohlich und provozierend auf Leute, die da nur sitzen, und keinerlei Absicht haben, aggressiv zu sein. Ein Mittel zum Selbstschutz trägt so häufig zur Eskalation bei. Ich werbe in entsprechenden Situationen bei den Einsatzführern: kein Helm. Solche kleinen Gesten sind oft sehr entspannend.

Und die Kollegen akzeptieren das?

Die sehen das teils so, dass ich mich mit den Demonstranten, statt mit ihnen solidarisiere und bringen ihr Missfallen zum Ausdruck. Ich muss ihnen dann mein Vorgehen erklären. Wir Konfliktmanager haben in bestimmten Situationen oft das Gefühl, weder zur einen noch zur anderen Seite zu gehören. Das ist ein permanenter Rollenkonflikt.

Wie reagiert denn die "andere Seite" auf Sie?

Man unterstellt uns oft manipulative Absichten. Ich werde oft gefragt, ob ich Psychologie studiert hätte oder höre Sachen wie: "Oh nein, wieder so ein Typ, der uns geschmeidig machen soll?"

Das wollen Sie doch auch! Das ist es doch, was Sie mit "Positionen annähern" meinen.

Wir stehen für Friedlichkeit und gegenseitige Achtung. Und ich hoffe sehr, dass die Leute mir das abnehmen. Auf beiden Seiten fehlt es häufig an Kompromissbereitschaft und der Bereitschaft, den anderen zuzuhören. Wenn es uns gelingt, in dieser Hinsicht nur eine Situation positiv zu beeinflussen, hat sich das gelohnt. Aber dabei müssen wir zuverlässig sein. Sonst gibt es ein Riesen-Glaubwürdigkeitsproblem und es heißt: "Die in den roten Westen sind Lügner."

Ist das schon mal vorgekommen?

Ja, zuletzt vor drei Wochen. Es gab einen sogenannten "Unruhetag" zum Auftakt der Proteste. Da behinderten Personen die Zufahrt des Polizeikommissariats in Lüchow. Wir hatten ein einvernehmliches Verhandlungsergebnis erreicht - und dann konnte ich das innerhalb der Polizei doch nicht durchsetzen. Bei der Auftaktdemo in Lüchow haben mich dann Personen wiedererkannt und mir aus der Menge zugerufen: "Hallo Herr Schröder, sind Sie wieder hier, um uns zu belügen?" In solchen Momenten würde ich am liebsten im Boden versinken.

Sind Sie im Einsatz bewaffnet?

Ja. Das wirkt wie ein Widerspruch. Konfliktmanager sind ausgerüstet wie jeder andere Polizeibeamte, um sich und andere in entsprechenden Situationen sichern und schützen zu können.

Ihre Interventionen bauen darauf, dass es einen unausgesprochenen Konsens gibt: Die Proteste sind vor allem politisches Spektakel. Polizei und Demonstranten wetteifern um die Dauer des Transports, letztlich akzeptieren aber von vornherein alle, dass der Staat sich durchsetzt. Wie lösen Sie Konflikte mit denen, die keine "Castor-Festspiele" wollen, sondern den Transport ernsthaft verhindern?

Das käme auf deren Mittel an. Mein gesetzlicher Auftrag ist klar. Ein Ende der Transporte wünsche ich mir aber auch. Nach allem, was ich weiß, gibt es für sie keine objektive Notwendigkeit.

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Den Castor-Transport zusammengefasst als Bilderstrecke gibt es hier.

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