Polizei ging rechtswidrig gegen Ultras vor: Kollektivstrafe ist nicht

Das OLG Braunschweig gibt einem Werder-Ultra gegen die Polizei recht: Die hatte ihn und seine Reisegruppe festgenommen – wegen eines Graffitis.

Eine fast leere Stehtribüne, vor der ein Spruchband hängt. Aufschrift: Wollt ihr das? Gegen Kollektivstrafen

Das OLG Braunschweig sieht unbegründete Betretungsverbote und Ingewahrsamnahmen für Ultra-Gruppen als rechtswidrig an Foto: dpa

BREMEN taz | Bürgerrechte gelten doch für Fußballfans. Das Oberlandesgericht Braunschweig hat festgestellt, dass eine Ingewahrsamnahme eines Werder-Fans auf der Anreise nach Braunschweig rechtswidrig war. Gegen den Fan war im Juni 2017 von der Polizei Wolfsburg zudem ein Betretungsverbot ausgesprochen worden, obwohl er zuvor weder strafrechtlich in Erscheinung getreten war noch Ermittlungsverfahren gegen ihn geführt worden sind.

Die Polizei hatte offenbar nach der Devise „Mitgefangen, mitgehangen“ gehandelt: Bei der Anreise mit einem Reisebus zusammen mit 39 weiteren Fans hatte wohl einer „HB02 Ultras“ auf einer Raststätte gesprüht. Für die Polizei Grund genug, den Bus kurz vor dem Ziel von der Autobahn zu ziehen, alle Personen stundenlang zu durchsuchen und im Anschluss nach Hause zu schicken.

Dabei konnte die Polizei nicht einmal einen Zusammenhang des Fans zu dem Graffiti feststellen. Sprühdosen oder Waffen fand die Polizei bei keinem der Insassen. Weil allerdings acht Mitfahrer für die Polizei als „Gewalttäter Sport“ gelten, nahmen die Beamt*innen alle anderen mit in Gewahrsam und schickten den Bus zurück nach Bremen.

Das ist nicht zulässig, wie das Oberlandesgericht nun beschloss und damit eine Einschätzung des Amtsgerichts aufhob: Allein eine Zugehörigkeit zur Ultra-Szene und eine Einstufung durch einen szenekundigen Beamten reiche nicht, um für einen derartigen Freiheitsentzug und ein Betretungsverbot erforderliche Gefahrenprognose zu begründen. Ein Betretungsverbot hätte gegen den Betroffenen ebenso wenig ausgesprochen werden dürfe. Schließlich sei dieser noch niemals polizeilich in Erscheinung getreten.

Bagatellen als Vorwand für Aufenthaltsverbote

Um die Maßnahmen zu rechtfertigen, brauche es handfeste Hinweise auf drohende Straftaten – wie mitgeführte Waffen, stellt der Beschluss klar. Und: Auch „das Bevorstehen von Straftaten aus einer Gruppe heraus rechtfertigt nicht den Gewahrsam gegen jedes Gruppenmitglied“. Im Klartext: Kollektivstrafen sind auch für Ultras rechtswidrig. Die Entscheidung des Senats ist unanfechtbar.

Der Fan hatte unter Unterstützung vom Fanrechtefonds Beschwerde eingelegt. Wilko Zicht vom Fanrechtefonds sagte zum Beschluss: „Die Entscheidung ist ein Sieg des Rechtsstaates gegen eine Polizei, die meint, sich im Umgang mit Ultras nicht an die Gesetze halten zu müssen.“

Die Polizei nutze deutschlandweit immer öfter Bagatellen auf der Anreise als Vorwand, um gegen Gästefans ein Aufenthaltsverbot zu verhängen oder diese wieder nach Hause zu schicken. Auch andere Vorkommnisse der vergangenen Jahre seien als rechtswidrig anzusehen. Er forderte ein Ende von „Kollektivstrafen im Gewand der Gefahrenabwehr“.

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