Polizei ohne Internetkompetenz: Die Blamage der Amok-Ermittler

Schnelle Ergebnisse wollten Ermittler und Politiker vorzeigen. Offenbart haben sie ihre mangelhafte Internetkompetenz.

Da dürften sich ein paar Kollegen mächtig geärgert haben: "Süddeutsche" vom Freitag mit der Falschmeldung der Ermittler. Bild: repro süddeutsche zeitung

So leicht lassen sich Ermittlungsbehörden in Zeiten des Web 2.0 foppen. Konkrete Ermittlungserfolge wollten die Stuttgarter Staatsanwaltschaft und Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) am Tag nach dem Amoklauf von Winnenden vorzeigen, bei dem 16 Menschen starben.

Sie wollte der Öffentlichkeit zeigen: Wir tun was. Doch mit ihrem Eifer haben sie sich gründlich blamiert. Am Freitag musste Rech zugeben: "Irgendein Verrückter hat wohl eine schlimme Falschmeldung in die Welt gesetzt."

Einen Tag zuvor hatte er noch auf einer auch im Ausland übertragenen Pressekonferenz erklärt, der Amokläufer Tim K. habe seine Tat zuvor in einem Internetforum angekündigt. Detailliert schilderte Rech, wie sich am Mittwochabend ein Vater eines 17-Jährigen aus Bayern bei den Ermittlungsbehörden gemeldet habe.

Der Sohn habe auf der Webseite "Krautchan.net" einen entsprechenden Forumseintrag gelesen, ihn zunächst aber nicht ernstgenommen. Als Beweis zitierte Rech den angeblichen Beitrag des Amokläufers: "Ich meine es ernst, ich habe Waffen hier. Ich werde morgen zu meiner Schule gehen. (…) Ihr werdet morgen von mir hören, merkt euch nur den Namen des Ortes Winnenden." Es dauerte nicht lang, und die ersten Onlinemedien und Radios hatten die Meldung aufgegriffen.

Trittbrettfahrer I: Zwei Tage nach dem Amoklauf von Winnenden hat die Polizei im niedersächsischen Schneverdingen am Freitagmorgen einen 21-jährigen Trittbrettfahrer festgenommen. Dieser hatte am Vorabend in einem Internetchat einen Amoklauf an einer Schule angedroht, wie ein Polizeisprecher in Soltau mitteilte. Zusammen mit Freunden habe er sich "nur einen Spaß" machen wollen, gab der Mann bei seiner Festnahme an.

Gegen den Trittbrettfahrer wurde ein Strafverfahren wegen der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten eingeleitet. "Das Ganze ist kein Spaß, und die Konsequenzen sind bitter ernst", sagte Oberstaatsanwalt Stefan Wirz, Sprecher des baden-württembergischen Justizministeriums, am Freitag. Ein Trittbrettfahrer müsse mit empfindlichen Strafen rechnen. "Diese gehen bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe."

Trittbrettfahrer II: In Remscheid wurde am Freitag im Schnellverfahren ein 16-jähriger Hauptschüler von einem Jugendrichter wegen der Androhung eines Amoklaufs zu zehn Tagen Arrest verurteilt. Er hatte am Mittwoch mit der Tat gedroht. Bei seiner Durchsuchung war ein Messer entdeckt worden.

Trittbrettfahrer III: Bereits mehrere Tage vor der Tat in Winnenden soll ein 17-jähriger Gymnasiast in Ennepetal gegenüber Mitschülern einen Amoklauf an seiner Schule angekündigt haben. Er wurde am Donnerstag während des Unterrichts festgenommen und in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, wie die Kreispolizei in Schwelm am Freitag mitteilte. Bei der Durchsuchung seines Zimmers in der elterlichen Wohnung wurden Hieb- und Stichwaffen sowie Anleitungen und Chemikalien zum Bau eines Sprengkörpers gefunden. dpa/afp

Bei der taz meldete sich kurz darauf ein User. Bei dem Screenshot, auf den sich das Innenministerium bezog, handle es sich um eine Fälschung, sagte der Mann, der seinen Namen nicht nennen wollte.

Er selbst habe sich den ganzen Nachmittag nach dem Amoklauf im Chatbereich von Krautchan.net aufgehalten und mit anderen Usern das Geschehen in Winnenden verfolgt. Gegen 15.30 Uhr, also Stunden nach dem Attentat, habe ein User geschrieben, dass er einen gefälschten Screenshot anfertigen wolle, in dem Tim K. seinen Amoklauf in Winnenden ankündige.

Kurze Zeit später sei dieser Screenshot erschienen - rückdatiert auf den 11. März um 2.45 Uhr. "Ich habe ein bisschen geschmunzelt", erzählt der taz-Informant. Niemand von den Nutzern habe aber erwartet, dass diese Fälschung tatsächlich ernstgenommen würde. Denn dass es sich um eine Fälschung handelte, sei für jeden auch nur ein bisschen versierten Web-2.0-Nutzer ersichtlich gewesen.

Er wies auf die Formulierung auf dem Screenshot hin: "Und jetzt keine Angst, ich trolle nur." "Trollen" steht im Netz-Slang für "jemanden reinlegen". Der taz-Informant selbst wisse neben vier oder fünf anderen Nutzern, wer der Urheber sei, wolle dies aber nicht sagen.

Kurz darauf meldeten sich auch Kommentatoren auf taz.de, die die Darstellung des Informanten bestätigten.

Doch auch als die ersten Zweifel laut wurden, beharrten die Staatsanwaltschaft und der Innenminister an der Echtheit der Ankündigung. Immerhin habe man die entsprechenden Einträge auf dem Computer von Tim K. gefunden, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Claudia Krauth.

"Schwachsinn", sagt der taz-Informant. Einen solchen Forumsbeitrag im Nachhinein auf dem Rechner nachzuweisen, sei sehr unwahrscheinlich. Und tatsächlich: Anders als bei einer E-Mail oder einer Textdatei ist ein Forumsbeitrag nicht gespeichert.

Am späten Abend räumte schließlich ein Waiblinger Polizeisprecher ein, dass die Ermittler keinen Hinweis auf die Ankündigung gefunden hätten. "Eventuell war das ein Übermittlungsfehler", sagte er. Am Freitag ergänzte eine Polizeisprecherin, die Polizei prüfe, ob Tim K. seine Ankündigung an einem Laptop verfasst habe. Allerdings sei nicht bekannt, ob der Täter einen Laptop besaß.

Für einige Zeitungen, die auf die Angaben der Staatsanwaltschaft vertrauten, kam der Rückzieher deutlich zu spät. So macht etwa die Süddeutsche Zeitung auf der Seite 1 in ihrer überregionalen Ausgabe am Freitag auf mit der Schlagzeile: "Amokläufer kündigte Tat im Internet an". Da dürften sich ein paar Redakteure am Freitag mächtig geärgert haben.

Als "sehr peinlich" bezeichnete die baden-württembergische SPD die Ermittlungspanne. "Man muss nicht immer mit sekundenschnellen Botschaften an die Öffentlichkeit gehen", sagte der Chef der Landtagsfraktion, Claus Schmiedel. Genauigkeit müsse vor Schnelligkeit gehen. Rech wies die Kritik zurück: "Ich habe stets deutlich gemacht, dass es sich um den vorläufigen Stand der Ermittlungen handelt."

Nun machen sich die Ermittler auf die Suche nach den Urhebern der Fälschung. Der Waiblinger Polizeisprecher sagte, es hätten sich insgesamt zwei Personen gemeldet, die den Eintrag auf Krautchan gesehen haben wollen. Nun liefen Überprüfungen durch Spezialisten des Landeskriminalamts. Die Zeugen würden vernommen, und man habe ein Rechtshilfeersuchen eingeleitet. Der Betreiber des Servers befindet sich nämlich in den USA.

In der Online-Community ist Krautchan.net bekannt für seine Fälschungen. Dabei handelt es sich um eine deutschsprachige Variante des US-Satireforums 4chan.org. Deren Nutzer machen sich einen Spaß daraus, Ermittlungsbehörden und Medien in die Irre zu führen.

Die Betreiber von Krautchan hatten als Erste geschrieben, der Forumsbeitrag sei eine Fälschung. Am Donnerstagmittag brach der Server unter der Last von Abrufen zusammen, dann wurde die Seite durch eine Botschaft ersetzt: "Leider wird unser winziger Server mit dem momentanen Ansturm nicht fertig.

Es gibt allerdings auch gar nichts zu sehen, da die deutsche Presse sich bedauerlicherweise (vermutlich nicht zum ersten Mal) von einer Fälschung hat täuschen lassen. Hier wurde kein Amoklauf angekündigt, es gibt hier nur Leute, die mit Photoshop umgehen können."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.