Polizisten als Täter: Die Helfer des Massakers von Babij Jar

Babij Jar ist der Name einer Schlucht, in der 1941 mehr als 33.000 Juden aus Kiew ermordet wurden. Mehrere hundert Polizisten des Bremer "Polizeibataillons 303" waren dabei. Sie trieben die Juden den Erschießungskommandos zu, waren womöglich sogar selbst an den Morden beteiligt. Zur Rechenschaft gezogen wurde niemand, einige machten nach 1945 Karriere - in der Bremer Polizei.

Bremen 1935: Polizeieinheiten werden in die Wehrmacht eingegliedert. Bild: Hermann Reil

Die Verstrickung in die Massenmorde der NS-Zeit ist bei der Bremer Polizei ein wohl gehütetes Geheimnis. Als Hans Koschnick 1963 in Bremen Innensenator wurde, wusste er davon nichts. Als Ulrich Mäurer 2008 Innensenator wurde, wusste er davon nichts. Erst jetzt hat die Aufarbeitung begonnen.

1935 war die Polizei in die Wehrmacht integriert worden, und die Wehrmacht brauchte die Ordnungshüter in den eroberten Gebieten im Osten. Das Bremer "Polizeibataillon 303", mehrere hundert Mann, war in Babij Jar in der Nähe von Kiew im Einsatz, als dort innerhalb von zwei Tagen 33.000 Juden ermordet wurden. In der offiziellen Geschichte der Bremer Polizei gibt es darauf bisher keinen Hinweis. Es gebe keine schriftlichen Unterlagen, hatte der Polizeipräsident Eckhard Mordhorst noch im Jahre 2007 gesagt. Kein Wunder: Im April 1945 wurden im Bremer Polizeihaus Polizeiakten verbrannt, vornehmlich von Kriminalpolizei und Gestapo.

Der derzeitige Innensenator Ulrich Mäurer hat, als er davon erfuhr, eine Historiker-Kommission ins Leben berufen, um alles, was noch als Informationen zu finden ist, zusammentragen zu lassen. Am 29. April 2011 will er in Bremen eine Ausstellung zu dem Thema eröffnen.

Die Polizeibeamten des "Bataillons 303", der auch eine Kompanie aus Itzehoe bei Hamburg zugeordnet war, haben den Erschießungskommandos die Juden von Kiew zugeführt. Nach der Eroberung der ukrainischen Hauptstadt am 19. September 1941 durch deutsche Truppen hatte die SS beschlossen, die jüdische Bevölkerung von Kiew als Vergeltungsaktion für Bombenanschläge in der Stadt zu töten. Als Mordstätte wurde eine Schlucht in der Nähe der Stadt ausgesucht: Babij Jar, zu deutsch "Weiberschlucht". Sie hatte eine Größe von etwa 2,5 Kilometer Länge, 200 Meter Breite und eine Tiefe von 53 Meter. Die Durchführung der Erschießung wurde dem "Sonderkommando 4a" übertragen. Die Absperrung des Gebietes übernahmen die Polizeibataillone 45 und das Bremer Polizeibataillon 303 unter seinem Kommandeur Major Heinrich Hannibal.

Kraftfahrer Höfer (1945):

"Die entkleideten Juden wurden in eine Schlucht geleitet, die gut 15 Meter tief war. Zu dieser Schlucht führten zwei oder drei schmale Eingänge, durch die die Juden hinunter geschleust wurden. Wenn sie am Rande der Schlucht ankamen, wurden sie von Beamten der Schutzpolizei ergriffen und auf bereits erschossene Juden gelegt. Dies ging alles sehr schnell. Die Leichen wurden regelrecht geschichtet. So wie ein Jude da lag, kam ein Schütze von der Schutzpolizei mit der Maschinenpistole und erschoss den daliegenden durch Genickschuss. Die Juden, die in die Schlucht kamen, waren von dem Anblick dieses grausigen Bildes so erschrocken, dass sie vollkommen willenlos waren. Es soll sogar vorgekommen sein, dass sie sich selbst in Reih und Glied legten und den Schuss abgewartet haben."

Kurt Werner, Sonderkommando 4a:

"Gleich nach meiner Ankunft im Exekutionsgelände musste ich mich zusammen mit anderen Kameraden nach unten in diese Mulde begeben. Es dauerte nicht lange, und es wurden uns schon die ersten Juden über die Schluchtabhänge zugeführt. Die Juden mussten sich mit dem Gesicht zur Erde an die Muldenwände hinlegen. In der Mulde befanden sich drei Gruppen mit Schützen, mit insgesamt etwa zwölf Schützen. Gleichzeitig sind diesen Erschießungsgruppen von oben her laufend Juden zugeführt worden. Die nachfolgenden Juden mussten sich auf die Leichen der zuvor erschossenen Juden legen. Die Schützen standen jeweils hinter den Juden und haben diese mit Genickschüssen getötet. Mir ist heute noch in Erinnerung, in welches Entsetzen die Juden kamen, die oben am Grubenrand zum ersten Mal auf die Leichen in der Grube hinunterblicken konnten. Viele Juden haben vor Schreck laut aufgeschrien. Man kann sich gar nicht vorstellen, welche Nervenkraft es kostete, da unten diese schmutzige Tätigkeit auszuführen. Es war grauenhaft. Ich musste den ganzen Vormittag über unten in der Schlucht bleiben. Dort musste ich eine Zeitlang immer wieder schießen, und dann war ich damit beschäftigt, Magazine der MPi mit Munition zu füllen."

Am 28. September 1941 wurden 2.000 Plakate in der Stadt angeschlagen, auf denen stand, wo sich die Juden am Morgen des 29. September sammeln sollten. "Mitzubringen sind: Papiere, Geld, Wertsachen sowie warme Kleidung. Wer nicht Folge leistet, wird erschossen", hieß es auf den Plakaten. Gleichzeitig wurde das Gerücht verbreitet, die Juden der Stadt würden umgesiedelt. In einem offiziellen Bericht heißt es: "Obwohl man zunächst nur mit einer Beteiligung von 5.000 bis 6.000 Juden gerechnet hatte, fanden sich über 30.000 Juden ein, die infolge einer überaus geschickten Organisation bis unmittelbar vor der Exekution noch an ihre Umsiedlung glaubten." Einige hatten sogar geglaubt, sie würden nach Palästina umgesiedelt.

Es folgte ein Marsch Richtung Schlucht. Um Fluchtversuche zu verhindern, war das gesamte Gebiet weiträumig mit Stacheldraht und Ordnungspolizei abgesichert. Als sich die Juden der Schlucht nährten, zwang man sie, Schmuck, Koffer und Pelzmäntel abzugeben und sich auszuziehen. In Zehnergruppen sollten sie an den Rand der Schlucht treten. Dort wurden sie niedergeschossen.

Um das Geschrei zu übertönen, flog ein Flugzeug über die Schlucht, Musik ertönte. Es schossen mehrere Gruppen des Sonderkommandos 4a, wobei sich die Einheiten jeweils nach einigen Stunden ablösten. Am 29. und 30. September 1941 sind nach offiziellen Berichten der Einsatzgruppe 33.771 Juden ermordet worden. Eine Pioniereinheit der Wehrmacht sprengte den Grubenrand ab, um das riesige Grab zu schließen. Die Erde bewegte sich noch an einigen Stellen tagelang, weil nicht alle Juden tot waren, als die Erdmassen sie begruben.

Ob das Polizeibataillon 303 mit geschossen hat, ist offiziell unklar. Als 65 Jahre nach dem Massaker von Babij Jar die beiden Bremer Filmautoren Susanne Brahms und Rainer Kahrs Bremer Polizeibeamte des Bataillons 303, die inzwischen an die 80 Jahre alt waren, nach ihrem Einsatz in den Ostgebieten befragten, gaben die sich ahnungslos. Während die Fotos, die aus Nachlässen von Polizeibeamten stammen und von dem pensionierten Polizeibeamten und Historiker Karl Schneider gesammelt wurden, stolze Polizisten vor brennenden Bauernhäusern zeigen (angeblich im "Kampf gegen Partisanen"), wollen die befragten Beteiligten am Ost-Einsatz sich überhaupt nicht an so etwas erinnern. Welche Aufgabe hatten sie denn in den Ost-Gebieten? "Wir haben überhaupt keine Aufgabe gehabt", erklärte einer der alten Männer, seine Einheit habe "fast gar nichts" zu tun gehabt.

Die ebenso alten Menschen, die die beiden Filmemacher in der Ukraine interviewten, haben ganz andere Erinnerungen. Die Polizisten waren es, die den Zug der Juden hinaus aus der Stadt zu der Schlucht trieben. Sie nahmen ihnen ihre Habseligkeiten ab - und steckten hin und wieder auch etwas in die eigene Tasche. Einer Frau, die Schmuckstücke in den Mund steckte, um sie herunter zu schlucken, wurde mit den Gewehrkolben der Schädel eingeschlagen. Zwei Mädchen, die flüchten wollten, wurden mit einem Strick an einen Wagen gebunden und zur Schlucht geschleift. Ein alter Mann berichtete vor laufender Kamera, seine Mutter habe seine Hand - er war ein Kind - in die Hand einer Frau gedrückt, die unter den Zuschauern des Abtransportes am Straßenrande stand. So habe er überlebt.

Ausgebildet wurde das "Polizeibataillon 303" in der Polizeischule in Bremen-Borgfeld. Einer der Ausbilder, Rudolf Panzer, musste nicht mit in die Ukraine. Vielleicht kann deshalb sein Sohn Ulrich Panzer, ebenfalls lange Jahre Polizeibeamter in Bremen, leichter Klartext reden. Manche der Polizeibeamten aus dem "Polizeibataillon 303" hatten nach dem Krieg wieder Kontakt mit seinem Vater gesucht, erinnert er sich. Er, der Sohn, habe die eine oder andere Bemerkung mitbekommen. Unter den Revierleitern der Bremer Polizei in den 50er Jahren seien einige vom Polizeibataillon 303 gewesen. "Die haben nicht nur die Absperrung gemacht, die waren auch bei den Erschießungen dabei", sagt er.

Prozesse eingestellt

Wegen Kriegsverbrechen verurteilt wurde niemand. Einige Prozesse hat es Anfang der 60er Jahre gegeben, diese Verfahren wurden mangels Beweisen eingestellt. Das Massaker von Babij Jar war einer der Anklagepunkte in den Nürnberger Prozessen. Keiner der Wehrmachtsoffiziere, die sich an Vorbereitung, Durchführung oder Vertuschung des Massakers beteiligt hatten, musste sich vor Gericht verantworten.

Mehr als die Hälfte der Bremer Polizeibeamten waren in den Jahren des Krieges bei Auslands-Einsätzen eingesetzt worden. Das andere Polizeibataillon mit der Nummer "105" half bei der Deportation holländischer Juden Richtung Auschwitz. Für einen Holland-Einsatz gab es zusätzliche freie Tage, deswegen war das unter den Polizisten beliebt. Auch für die Polzisten vom Bataillon 303 gab es eine Belohnung: Wenn sie bei einem Sonderkommando mitgemacht hatten, bekamen sie eine Extra-Ration Alkohol ausgeschenkt.

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