Pop-Ikone Jane Birkin hält Rückschau: „Ich habe zu wenig Regeln gebrochen“

Jane Birkin gilt heute als Ikone des Pop. Ein Gespräch mit der Sängerin und Schauspielerin über ihr Leben, ihre Rolle als Frau, Mutter und Künstlerin.

Filmszene aus dem Film Blow Up

Jane Birkin in einer Filmszene aus „Blow Up“ Foto: Everett Collection/imago

taz: Jane Birkin, lange Zeit wurden Sie von vielen nur als Muse von Serge Gainsbourg und als Sexsymbol wahrgenommen. Inzwischen gelten Sie als Ikone des Pop. Was ist Ihre Erklärung für diesen kulturellen Wandel?

Jane Birkin: Es freut mich natürlich, dass mich nun so viele Menschen für das, was ich gemacht habe, wertschätzen. Darunter sind auch viele junge Fans. Wenn ich das Haus verlasse, lächeln mich die Passanten auf der Straße an. Das ist ein unglaubliches Gefühl! Auf der anderen Seite tue ich mich mit dem Begriff Ikone schwer. Ich weiß nicht, wann er plötzlich in Mode gekommen ist. Vor 20 Jahren war er noch nicht populär. Aber seither scheint sehr viel ikonisch geworden zu sein. Insofern ist es eigentlich nichts Besonderes mehr, als Ikone bezeichnet zu werden.

Die Künstlerin lebt in Frankreich. Wurde 1946 als Tochter der Schauspielerin Julie Campbell und des Lieutenant-Commander David Birkin in London geboren. Sie war mit dem britischen Komponisten John Barry (u. a. „Titelmelodie von „James Bond“) verheiratet und mit dem Musiker Serge Gainsbourg und dem Regisseur Jacques Doillon liiert. Aus diesen Beziehungen stammen ihre Töchter Kate Barry – sie starb 2013 –, Charlotte Gainsbourg und Lou Doillon. Ihren Durchbruch hatte sie 1966 mit dem Film „Blow Up“. Als Sängerin wurde sie 1969 mit dem Duett von Serge Gainsbourg, „Je t’aime … moi non plus“, berühmt. Ihr Album „Oh! Pardon tu dormais …“ erschien 2020.

Tournee: Die für 24., 26. und 29. März in Deutschland geplanten Konzerte wurden bei Redaktionsschluss „aus gesundheitlichen Gründen“ abgesagt.

Können Sie trotzdem sagen: Ich bin stolz darauf, wer ich bin?

Nein! Wenn ein Konzert gut gelaufen ist, kann ich das durchaus anerkennen. Gleichwohl macht mir zu viel Applaus immer Angst. Denn ich fürchte, dass sich dieser Erfolg am nächsten Abend nicht wiederholen lassen wird. Die Zuschauer könnten mich durchschauen und zu dem Ergebnis kommen: Jane Birkin ist gar nicht so einzigartig. So geht es wohl fast allen Sän­ge­r:in­nen und Schauspieler:innen.

Auch Ihre Tochter, Charlotte Gainsbourg, ist Sängerin und Schauspielerin. Für ihr Regiedebüt hat sie sich Ihnen mit der Dokumentation „Jane by Charlotte“ angenähert. War das unangenehm für Sie als Mutter, als Sie den Film zum ersten Mal gesehen haben?

Ich schaute mir den Rohschnitt gemeinsam mit Charlottes Lebensgefährten Yvan Attal an. In dieser Fassung gab es viele Impressionen eines Konzerts von mir in Japan. Ich stand oft auf der Bühne, dadurch wirke ich wie eine dieser singenden Mütter, die ständig auf dem Sprung von einem Auftritt zum nächsten sind. Deshalb war ich froh, als Yvan Charlotte vorgeschlagen hat, sie solle weniger Konzertszenen zeigen, sondern sich auf ihren Schwerpunkt konzentrieren. Tatsächlich wollte sie sich nämlich mit einer Frage auseinandersetzen, die Töchter und Mütter umtreibt: Wo ist mein Platz in deinem Leben und deinem Herzen?

Inwiefern hat diese Dokumentation Ihre Beziehung zu Ihrer Tochter verändert?

Verändert hat sich überhaupt nichts. Dennoch haben unsere Diskussionen etwas bewirkt, wir verstehen einander nun besser. Ich glaube, Charlotte sieht inzwischen, wie ähnlich ihre jüngste Tochter Jo meiner Tochter Lou ist. Wir waren beide 40, als wir Mädchen bekamen. In diesem Alter ist man einfach eine andere Mutter als in jungen Jahren. Man hat eine andere Beziehung zu seinem Kind. Als ich zum ersten Mal schwanger wurde, war ich 19. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Ich war damals viel zu jung für die Mutterrolle. Bei meiner Tochter Kate habe ich deswegen einen großen Fehler gemacht.

Was ist schiefgelaufen?

Ich setzte alles daran, um bei ihr möglichst nicht in Ungnade zu fallen. Wenn sie etwas machen wollte, sagte ich: Selbstverständlich kannst du das tun. Sie sollte sich geliebt fühlen und mich lieben. Allerdings hat Kate im Erwachsenenalter beklagt: Bei uns zu Hause habe es keine Regeln gegeben. Es sei ständig Unruhe gewesen. Insofern fehlte ihr als Kind etwas ganz Entscheidendes: ein Gefühl von Sicherheit.

Ihrer Tochter Kate Barry, die 2013 durch einen tragischen Fenstersturz starb, haben Sie auf Ihrem aktuellen Album „Oh! Pardon tu dormais …“ mehrere Songs gewidmet. Werden Sie diese Stücke auf Konzerten spielen?

Ja. Vor allem „Catch me if you can“ singe ich gern. Ich erinnere mich genau daran, wie der Text entstanden ist. In meinem Haus in der Bretagne hörte ich die Musik von Etienne Daho. Sie klang so, als würde jemand fallen. Ich dachte daran, wie Kate aus dem Fenster stürzte. Zugleich kam mir ein Post-it-Zettel in den Sinn, der auf einem ihrer Tagebücher klebte. Auf diesem Zettel stand: „Glücklich wie Odysseus zwischen seinen Eltern …“ Ich grübelte, was das bedeutete. Wonach hatte sich Kate gesehnt? Wollte sie zu ihren Eltern nach Hause kommen? Hätte ihr das ein Gefühl von Sicherheit vermitteln können?

Während Kate zerbrechlich war, wirkt Ihre Tochter Lou Doillon stark. Müssen Frauen jener Generation nicht mehr so sehr darum kämpfen, als Künstlerinnen ernst genommen zu werden, wie Sie?

Lou ist charakterlich ein völlig anderer Typ als ich. Sie hat Persönlichkeit, sie lässt sich nicht herumschubsen. In ihren eigenen Liedern hat sie etwas zu sagen. Und wenn sie zeichnet, hat sie das Bedürfnis, etwas mit ihren Mitmenschen zu teilen. Bei Lou steht immer das, was sie gerade tut, im Vordergrund – nicht ihr Äußeres. Auch Charlotte fand schon mit 12, 13 für ihre künstlerische Arbeit Akzeptanz. Ich dagegen wurde als junge Frau allein auf meine Schönheit reduziert. Ich war bloß ein hübsches englisches Mädchen, irgendwie langweilig.

Wie alle Frauen zog ich mich wie eine Puppe an, ich trug Make-up und falsche Wimpern. Alles an mir war unecht. Ich habe nie ohne Kajalstift unter dem Kopfkissen geschlafen. Damit ich mich schnell schminken konnte, falls mein Mann nachts zu mir kommen würde. Ich war mit dem Regisseur John Barry verheiratet. Als das Magazin Newsweek einen Artikel über ihn brachte, war in der Geschichte von seinem Jaguar E-Type und seiner E-Type-Frau die Rede. Das war beleidigend für mich.

Konnten Sie sich durch die Begegnung mit Serge Gainsbourg davon befreien?

Auch an der Seite von Serge nahm ich zunächst den Charakter an, den er für mich bestimmt hatte. Ich war immer noch wie eine Puppe. Wenn ich Serges Songs gesungen habe, war ich äußerst nervös, da ich den Songs unbedingt gerecht werden wollte. Meine eigenen Songs gehe ich wesentlich entspannter an. Obwohl es zunächst gar keine Option für mich war, eigene Stücke zu komponieren. Schließlich war ich mit einem Mann zusammen, der die französische Sprache wie ein Poet zu nutzen wusste. Das war wahrscheinlich der Grund, warum ich meine eigene Leistung nicht sehr hochhielt. Ich war immer ein bisschen irritiert, wenn ich für meine Kunst ausgezeichnet wurde.

Fanden Sie erst zu sich selbst, als Sie mit dem Regisseur Jacques Doillon liiert waren?

Nachdem ich in zwei Filmen von ­Jacques mitgespielt habe, wurde ich auf einmal als Schauspielerin im dramatischen Fach akzeptiert. Ich spielte sogar Theater. Noch einen Schritt weiter brachte mich der Film „Eine Frau mit 15“, für den mich Jacques als Regieassistentin und Skriptgirl engagierte. Danach drehte ich meinen Debütfilm „Oh! Pardon tu dormais …“ mit den großartigen Schau­spie­le­r:in­nen Christine Boisson und Jacques Perrin. Das war sehr aufregend! Trotzdem entwickelte ich keinen brennenden Ehrgeiz als Regisseurin, weil ich mit einem genialen Filmemacher zusammenlebte. Ich traute mich nicht, mich dauerhaft in Jacques Domäne einzurichten.

Einerseits waren Sie als junge Frau nicht sehr selbstbewusst, anderseits haben Sie in Ihrer Beziehung mit Serge Gainsbourg Konventionen ignoriert. Wie passt das zusammen?

Ich war nie besonders mutig, ich habe einfach ein in den Swinging Sixties typisches Bohemeleben gelebt. Wenn man in London über die Kings Road ging, sah man viele Menschen, die lebten wie ich. Ich habe keine Regeln gebrochen, jedenfalls nicht genug.

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