Populismus in der Schweiz: Opfer moderner Zeiten

Die Schweiz befindet sich in einer Krise, und die populistische SVP meint, die Lösung zu kennen. Ihre polternde Strategie: Wir gegen euch. Wie konnte der Schweiz das passieren?

SVP-Bundesrat Ueli Maurer zählt zu seinen Lieblingsbüchern "Heidi". Bild: paalia – Lizenz: CC-BY

Fährt man die Zürcher Forchstrasse entlang und steigt an der Station Balgrist aus, muss man genau hinsehen. Unauffällig reiht sich die Mahmud-Moschee zwischen zwei Mehrfamilienhäuser. Die Moschee – ein zweistöckiges, weiß-graues Haus – ist mit ihrem Minarett im Vergleich zu der evangelisch-reformierten Kirche gegenüber fast klein. Als die Moschee 1963 als erste der Schweiz eröffnet wurde, erregte dies keinerlei Aufsehen. "Nette Lüt" seien die Muslime, die dort ein- und ausgingen, sagt die Inhaberin des nahen Blumenladens. "Wie manche Zürcher in die Kirche gehen, besuchen die Muslime die Moschee."

Einfach ist die Welt der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei SVP: Wir hier drinnen gegen euch da draußen. Die SVP, die unter anderem aus einer Bauernpartei hervorging und gemessen an der Zahl ihrer Mitglieder drittgrößte Partei ist, hat seit den 1990er Jahren Erfolg. "Wir behandeln die Themen, die den Menschen unter den Nägeln brennen", sagt Reinhard Wegelin, ein SVP-Mitglied: "Dazu zählen die Auslandseinsätze der Schweizer Armee, der Kampf gegen das Schengen-Abkommen, gegen den EU-Beitritt sowie gegen die Zuwanderung."

Vor allem durch Ex-Bundesrat Christoph Blocher, der selbst in Parteikreisen höchst umstritten ist, stellte sich die SVP am rechten Rand des Parteienspektrums neu auf. Der polarisierende Großunternehmer und Parteivize will die SVP bei den Nationalratswahlen 2011 über die 30-Prozent-Hürde bringen. Die Chancen stehen gut: Derzeit hat sie 29 Prozent und ist damit stärkste Partei auf Bundesebene.

In der politikwissenschaftlichen Forschung wird meist zwischen rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien und ihren Ideologien unterschieden. Typische Beispiele für rechtspopulistisches Gedankengut in Deutschland sind die "Schill"-Partei, sowie, als aktuelles Beispiel: die "Pro"-Bewegung. Der (Rechts-)Populismus adressiert sich an "Modernisierungsverlierer".

***

Das Phänomen populistischer Parteien ist nicht neu – so gab schon um die Jahrhundertwende in den USA eine "Populist Party", die vor allen von den vom Strukturwandel (Industrialisierung) bedrohten Farmern im Süden und Westen gewählt wurde. Sie wandte sich gegen "die Banken" und "die Geldwirtschaft" an der Ostküste, gegen die "Zentralregierung" in Washington und gegen die "Gewerkschaften". Als weiteres historisches Beispiel für eine populistische Partei werden von Zeit zu Zeit die Narodniki genannt.

***

Wichtige Ideologieelememente des modernen Rechtspopulismus: "Gegen Islamisierung", "gegen die da Oben", "gegen die in Brüssel (Europa)", oft auch "gegen Steuern und Abzockerei".

***

Moderner Rechtspopulismus ist seit den 80er Jahren fast überall in Europa zu finden, in der Schweiz zum Beispiel mit der SVP, in den Niederlanden und in Belgien mit Vlaams Block bzw. Vlaams Belang, in Österreich mit der FPÖ/dem BZÖ - oder auch die Fortschrittparteien in Skandinavien. (jus)

Die SVP trifft einen Nerv, seitdem es für die neutrale Schweiz immer schwieriger geworden ist, sich aus einer globalisierten Welt herauszuhalten. So brachte die weltweite Finanzkrise selbst die Großbank UBS ins Straucheln, und mit 4,5 Prozent ist die Arbeitslosigkeit derzeit so hoch wie seit fast zwölf Jahren nicht mehr. Jeder fünfte Bürger ist Ausländer – das ist europaweit die dritthöchste Quote.

Jüngster Sündenbock für die SVP sind die etwa 250.000 in der Schweiz arbeitenden Deutschen, was die SVP Zürich dazu veranlasste, gegen "den deutschen Filz" an Universitäten und Kliniken zu wettern. Aus Deutschland kommen auch die Angriffe auf das wohlgehütete Bankgeheimnis: Der damalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück verglich 2009 im Streit um Steueroasen die Schweizer mit "Indianern".

Der Streit über eine CD mit gestohlenen Schweizer Bankdaten mutmaßlicher deutscher Steuersünder ist eine weitere Belastung für das Verhältnis zwischen den Nachbarn. Nun, da Nordrhein-Westfalen die CD tatsächlich gekauft hat, hat die SVP bei der Schweizer Bundesanwaltschaft Klage gegen Deutschland eingereicht. Bereits im Vorfeld hatte der SVP-Präsident Toni Brunner den Kauf eine „Kriegserklärung“ genannt. Die SVP Zürich meinte, durch den Kauf der CD reihe sich Deutschland "in den Club der großen Schurkenstaaten ein".

Das Ziel der SVP ist eine autarke, neutrale Schweiz: So fordert sie die Kündigung des Freizügigkeitsabkommens sowie einen Verhandlungsstopp über ein Agrarfreihandelsabkommen mit der EU. "Das Engagement für Unabhängigkeit und Neutralität und insbesondere die Ablehnung eines EU-Beitritts hat der SVP eine exklusive Position gebracht", erklärt der SVP-Generalsekretär Martin Baltisser den Erfolg der Partei.

Mit ihrem Logo – einer lachenden Sonne über grünen Wiesen – erscheint die Partei harmlos, doch sie ist es nicht. So wurde die Anti-Minarett-Initiative, zu deren größten Geschmacklosigkeiten ein Online-Spiel zählte, in dem der Spieler auf Minarette zielen musste, unter anderem von SVP-Politikern lanciert und von der SVP-Fraktion im Bundeshaus unterstützt.

Für den als liberal geltenden Imam der Mahmud-Moschee, Ahmed Sadaqat, richtete sie sich gezielt gegen Muslime: "Muslimen Minarette zu verbieten, ist diskriminierend. Für Hinduisten und Buddhisten gibt es keine Bau-Beschränkungen", sagt er.

Mit der Anti-Minarett-Initiative agierte die SVP bereits am Rande des Rechtssystems, und auch ihr jüngster Coup, die geplante "Ausschaffungsinitiative", ist umstritten. Durch sie sollen Migranten, die wegen schwerer Verbrechen verurteilt worden sind oder Sozialhilfemissbrauch begangen haben, abgeschoben werden dürfen. Das Non-Refoulement-Prinzip verbietet es aber, Menschen in Länder abzuschieben, in denen ihr Leben bedroht ist.

Jakob Tanner, Professor für die Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich, fasst die SVP-Strategie zusammen: "Sie schürt systematisch Ängste, sie dramatisiert Probleme, die es in jeder Gesellschaft gibt, zu unheimlichen Bedrohungen – gleichzeitig bietet sie die politische Therapie gegen die so geschürten Angstgefühle an." Dies sei "politische Scharlatanerie", sagt er.

Es sind die Ressentiments der vermeintlich Zukurzgekommenen, die auch die konservative "Weltwoche" mit Artikeln über "Schmarotzer" und "Bauernbürokraten" bedient. Jüngst schickte sie sich an, Fremdenangst durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu legitimieren: "Fremde auf Distanz zu halten", resümmierte sie die These eines Psychologen, "verhindert Ansteckung und sichert das Überleben."

Die SVP bedient eine Skepsis gegenüber Fremden, die in den 1880er Jahren entstand, seitdem die Schweiz als Einwanderungsland gilt. So fand im Ersten Weltkrieg der Begriff "Überfremdung" Eingang in die Amtssprache. Im Gegensatz zu Deutschland konnten sich vereinzelte nationalistisch-rassistische Tendenzen in der Schweiz jedoch nie durchsetzen. Ein Nachdenken über den Umgang mit Fremden fand in der Schweiz deshalb nicht statt: "Das Land musste sich nie mit dem Vorwurf auseinandersetzen, rassistisch zu sein", erklärt Kurt Imhof, Professor für Soziologie an der Universität Zürich. "In der Schweiz wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Abneigung gegen das Fremde nie öffentlich diskreditiert."

Diese Skepsis wurde in den vergangenen zwanzig Jahren wiederbelebt und von der SVP instrumentalisiert. "Seit 1989/90 befindet sich die Schweiz in einer Orientierungskrise", erklärt Imhof. "Seitdem der Kalte Krieg mit seiner ständigen Gefahr aus dem Osten vorbei ist, und die Menschen durch die Globalisierung verunsichert sind, hat die SVP Erfolg."

Die Partei propagiere einen "Schützenvereinspatriotismus", dessen Werte sich an einer Schweiz vor der Moderne orientierten. Der SVP-Bundesrat Ueli Maurer zählt zu seinen Lieblingsbüchern denn auch "Heidi", das sich "wohltuend vom technischen Firlefanz des Kinderalltags unterscheidet", wie er sagt. Man sieht sich als Opfer moderner Zeiten – ein Gefühl, das ein 72-jähriger Zürcher Ex-Unternehmer zusammenfasst: "Wir wollen uns nicht von Fremden bestimmen lassen."

Es ist die Sehnsucht nach einer heilen, traditionellen Welt, die die SVP für ihre Wähler populär macht – dabei wissen die meisten Schweizer, dass sie auch den Zugereisten ihren wirtschaftlichen Erfolg verdanken. Kurt Imhof sieht das Land wegen der Partei in Gefahr: "Jahrelang hat die Schweiz mit der Vielsprachigkeit, der Konkordanzdemokratie und der starken Finanzwirtschaft Sicherheit geboten. Mit der SVP entsteht nun ein gefährliches und antiintellektuelles Klima, durch das die Schweiz letztlich auch materiell gefährdet ist", sagt er. Der Kampf für eine "Heidi"-Schweiz wird dem Land zum Verhängnis.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.