Porträt der Sängerin Balbina: Liebe zur Opulenz

Balbina phrasiert kühn wie noch nie. Sie ringt ihrer Stimme eine ungekannte Abgründigkeit und Stärke ab in ihrem neuen Album „Punkt“.

Ein Spiel mit schwarzen Schleiern verhüllt halb die Sängerin im schwarzen Kleid

Als Popsängerin hat sie eigene Vorstellungen von Inszenierung und Körperlichkeit Foto: Christoph Kassette

Der Punkt ist ein seltsames Ding. Harsch und absolut kann er wirken, wenn er einen Satz beschließt. Und doch strahlt er inmitten all der Ausrufezeichen, die so in die Welt gerotzt werden, eine fast meditative Ruhe aus. „Der Punkt ist inhaltlich sehr aufgeladen, eine starke Metapher, das Essenziellste überhaupt“, sagt Balbina. „Zum einen kennt man ihn aus Redewendungen, die man benutzt, um etwas abzuschließen, zum Beispiel: Jetzt mach mal einen Punkt. Gleichzeitig symbolisiert er einen neuen Beginn.“

Überhaupt, sei nicht auch der Urknall im Grunde aus einem Punkt entstanden? Besteht nicht alles auf der Welt aus Punkten, aus Atomen, die sich verschiedenartig zusammensetzen? Schon in ihrem Song „Nichtstun“ von 2014 zählte die Berliner Sängerin die „Polkadots aus ihrem Glockenrock“, auch ihr kürzlich gegründetes Label heißt „Polkadot“, Pünktchen also.

Wenn Balbina Monika Ja­giel­ska, wie die 36-Jährige wirklich heißt, ihr neues, viertes Album aber nun „Punkt.“ nennt, ist das ein Statement in vielerlei Hinsicht. Denn bislang ist Balbina eine Frau der Fragezeichen gewesen. „Über das Grübeln“ hieß ihre zweite Platte von 2015, „Fragen über Fragen“ die dritte. In zeitgeistigen Kunstliedern dachte Balbina nach übers Nachdenken, fragte so viel, wie es sonst nur Kinder tun.

Geboren in Warschau, als Kind nach Berlin übergesiedelt, blieb Balbina in der Schule lange Außenseiterin, bis sie im Royal Bunker, der legendären Rap-Schmiede, den HipHop als Mittel zur Selbstermächtigung entdeckte.

Das Genre ihrer Jugend ist nur noch Zitat

Im neuen Song „Weit weg“ assistiert Balbina die Rapperin Ebow, sonst kommt das Genre ihrer Jugend nur noch als Zitat vor: „Punkt.“ ist groß gedachter, groß orchestrierter Pop und Soul, der mal gen R’n’B, mal gen Electronica ausschert, auf der Exzentrikskala aber oft näher bei Kate Bush als bei Lena Meyer-Landrut rangiert – was in Deutschland, wo Popstars eine optimierte Version des Durchschnittsbürgers statt „larger than life“ sein sollen, natürlich eine Frechheit ist.

Balbina phrasiert kühn wie noch nie, ringt ihrer Stimme eine ungekannte Abgründigkeit ab

Zu allem Überfluss bedient sie sich auch noch beim Nationalheiligtum: Rammsteins monumentaler Männersong „Sonne“ wird bei ihr zum zarten Orchestralstück. Mit ihrem Faible für passgenau ausgestanzte Wortspiele und geometrische Outfits, skulpturale Kleider und kastige Riesenjacken, balanciert Balbina seit jeher auf der Grenze zwischen kunstvoll und verkünstelt. „Ich mag klare Formen, Farben und Strukturen, die ich überblicken kann“, sagt sie über ihre Ästhetik. „Ich möchte immer so angezogen sein, dass ein Comiczeichner sofort wüsste, wie mein Charakter aussehen soll.“

Im Gespräch klingt Balbina anders als in ihren Songs, impulsiver, offener, direkter, man könnte fast sagen: lauter. So fasziniert die einen von ihrer ästhetisch ambitionierten Künstlerpersona sind, so viel Befremden löst sie bei anderen aus. Zu ausgedacht klinge ihre Musik, zu solipsistisch, zu verkopft, verschraubt, verspannt.

Superkraft und Hemmnis

Immer wollte man Balbina bewundern wie ein gut ausgeleuchtetes Kunstwerk in einem Raum voller Wandbilder von Ikea – und blieb doch oft seltsam unberührt von dieser klugen, manchmal neunmalklugen Musik. Balbinas formale Strenge ist zugleich Superkraft und Hemmnis.

Balbina: „Punkt.“ (Polkadot/BMG)

Live mit dem Babelsberger Filmorchester am 24. April im Admiralspalast in Berlin.

„Punkt.“ soll mit der alten Lesart ihrer Musik brechen. Das Album sei aus einer tiefen Depression heraus entstanden, sagt Balbina. Für sie war es Zeit, das innere Kind erwachsen werden zu lassen – ein wenig zumindest. „Auf den letzten Alben hatte ich eine infantile, neugierige Art, Fragen zu stellen. Jetzt habe ich mir mehr Emotionalität zugestanden, auch bei den Vocals“, sagt Balbina. „Ich war weniger streng mit mir selbst, indem ich mir klargemacht habe: Es ist wichtig, den Menschen eine Geschichte zu erzählen, und das passiert eben auch über die Stimme.“

Bislang habe sie ihre Stimme den Worten untergeordnet, sich keine spontanen Ausbrüche erlaubt, Inhalt über Form gestellt, Konzept über Ausdruck. Das Zurückhaltende, Fragende ist aus ihren Songs verschwunden: Balbina phrasiert kühn wie noch nie, ringt ihrer Stimme eine ungekannte Abgründigkeit und Stärke ab. „Ich frage nicht mehr: Darf ich?“, sagt sie. „Ich darf.“

Doch wieder großes Orchester

Die triviale Erkenntnis, dass sie selbst diejenige ist, die sich die härtesten Regeln auferlegt – dass sie in ihrer Kunst tun und lassen kann, was sie möchte, veranlasste sie zu einer weiteren Neuerung: Erstmals flicht Balbina englische Passagen in ihre Texte ein, ohne den Anspruch, wie eine Muttersprachlerin klingen zu wollen, wie sie sagt. Ihre Liebe zur Opulenz treibt Balbina in den neuen Songs auf die Spitze.

„Ich nehme mir immer wieder vor, ein minimalistisches, reduziertes Album aufzunehmen – aber dann ist am Ende doch wieder ein großes Orchester dabei, ich kann nichts dagegen tun“, sagt Balbina und muss ein bisschen lachen: Gerade noch komponiert man ein schlichtes Synthesizerstück, schon steht man mit dem Film­or­ches­ter Babelsberg auf der Bühne, wer kennt es nicht.

Kritik an Pop-Deutschland

Von ihrem Nimbus als große Komplizierte der deutschen Musiklandschaft ist Balbina trotz ihrer hochfliegenden Ambi­tio­nen genervt: Was ist schon so schrill daran, als Popsängerin eigene Vorstellungen von Inszenierung und Körperlichkeit zu haben?

Total symptomatisch für das freudlose Verhältnis der Deutschen zu Exzentrik, findet sie, war die Aufregung um den damaligen FC-Bayern-Star Franck Ribéry, der sich im vergangenen Jahr ein 1.200 Euro teures Steak mit Blattgold gönnte. Während man sich anderswo über solche Bonvivant-Gesten amüsiert, sie vielleicht sogar als schrägen Popmoment gefeiert hätte, setze es hier Haue für solche Schrullen.

Überhaupt gestehe Pop-Deutschland sich nicht zu, Individuen herauszubilden. „Eine erfolgreiche Künstlerin muss die ‚deutsche Britney Spears‘ oder die deutsche Sonstwer sein. Über mich wurde schon gesagt, ich sei die ‚deutsche Lady Gaga‘, dabei ist unsere einzige Gemeinsamkeit, dass wir ex­tra­va­gante Artworks haben. Und dann schrei­ben Internettrolle auf einmal: Die hält sich wohl für Lady Gaga!“, sagt Balbina. Natürlich mit Ausrufe- statt Fragezeichen.

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