Porträtfilm „Wildes Herz“: Positionierung und Spaß dabei

Eine Dorfpunkband und ihre Politisierung: Charly Hübner begleitete den Sänger der Band Feine Sahne Fischfilet über fünf Jahre mit der Kamera.

Jan „Monchi“ Gorkow im Seitenprofil

In breitestem Norddeutsch: Jan „Monchi“ Gorkow Foto: Neue Visionen Filmverleih

Als Charly Hübner vor fast fünf Jahren damit begann, die Punkband Feine Sahne Fischfilet (FSF) mit der Kamera zu begleiten, hätte er wohl selbst nicht geglaubt, dass am Ende ein Film wie „Wildes Herz“ dabei herauskommen könnte. Seinerzeit war die Gruppe aus Mecklenburg-Vorpommern noch keine so große Nummer wie heute, sowieso war einiges anders: Die AfD war noch in keinem Landtag, lag bundesweit unter 5 Prozent, es war die Zeit vor der sogenannten Flüchtlingskrise.

Polarisiert hat die Band allerdings schon damals: Der Landesverfassungsschutz listete sie in den Jahren 2011 bis 2014 als linksextremistische Gruppierung, während sie für ihr zivilgesellschaftliches Engagement gegen rechts von der Öffentlichkeit nicht selten mit Lob überhäuft wurde. Hübner, bis dato eher als Schauspieler bekannt, war auf FSF aufmerksam geworden, als er für die ARD-Doku „16x Deutschland“ eine Episode über Mecklenburg-Vorpommern beisteuerte.

Sein Langfilm-Regiedebüt ist am Ende kein Film über die Band geworden. „Wildes Herz“ ist ein Porträt des Sängers Jan „Monchi“ Gorkow, dessen Coming-of-Age – besser: Coming-of-Anti-Fascist – skizziert wird. Der Film verfolgt seinen Weg vom Fußballultra bei Hansa Rostock über den Bandgründer und -tonangeber bis hin zur öffentlichen Person, die sich politisch einmischt.

Zu Wort kommen unter anderen die friedliebenden Eltern Gorkows, die ihn mit 14 zum ersten Mal aus dem Polizeigewahrsam abholen, seine Grundschullehrerin („So doll mit ’m Singen war’s nicht“) seine Ex-Freundin („Er ist Engel und Teufel“), enge Freunde wie Bandmitglieder, Polizisten genauso wie Landespolitiker. Aufnahmen aus dem Gorkow’schen Familienarchiv sind zu sehen, auch die Pressekonferenzen des Landesverfassungsschutzes haben Eingang in den Film gefunden.

Kleines Bonmot: Der Jenaer Pfarrer Lothar König, der interviewt wird, sieht in Gorkows Band gar „eine neue christliche Urband wie die Ton Steine Scherben“.

Distanzloses Zeitdokument

Dann ist da natürlich jede Menge O-Ton des Protagonisten, der in breitestem Norddeutsch offen über sich spricht. Man erfährt, wie er als Rostock-Hool eine „Bullenkarre abgefackelt“ hat und dafür zwei Jahre auf Bewährung bekam, wie er sich von der Fanszene löste und politisierte, wie Feine Sahne Fischfilet zunächst eine recht durchschnittliche Dorfpunkband war, die übers „Saufen und Ficken“ sang und sich von Nazis abgrenzte, die zu ihren Konzerten kamen.

„Da musste man sich positionieren“, sagt Gorkow im Film. Wenige Jahre später setzt er sich für Flüchtlinge ein und initi­iert während des Landtagswahlkampfs 2016 eine Tour, um Rechtspopulisten und -extremisten etwas entgegenzusetzen. Gemeinsam mit linken Initiativen stellen FSF in den Dörfern und Provinzen Kulturprogramme auf die Beine, wollen den Leuten vor Ort zeigen, dass auch dort ein Leben jenseits von national befreiten Zonen möglich ist. Sie treten unter anderem mit Campino und Marteria auf. In der zweiten Filmhälfte nimmt diese Tour viel Raum ein.

„Wildes Herz“. Regie: Charly Hübner, Sebastian Schultz. Deutschland 2017, 90 Min.

Weil die Rollen scheinbar so klar verteilt sind, weil irgendwie klar ist, wer die Guten und wer die Bösen sind, hätte dieser Dokumentarfilm auch auf ganzer Linie scheitern können. Und sicher gibt es auch einige Schwachstellen (die „Brot für die Welt“-mäßige Musikuntermalung bei der Lichtenhagen-Rückblende etwa) – aber distanzlos ist „Wildes Herz“ nicht.

Hübner lässt Zwischentöne zu, zeigt die Widersprüchlichkeit seines Protagonisten und spart die Konflikte zwischen ihm und seinem Umfeld nicht aus. Er bildet sehr viele Seiten des Sängers ab – den Proll, den Selbstdarsteller, den Humorvollen, den Reflektierten, den Humanisten. Und dadurch, dass Hübner ihn und seine Band durch bewegte politische Zeiten begleitet hat, ist am Ende auch ein Zeitdokument und partiell ein Gesellschaftspor­trät daraus geworden.

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