Portrait eines Geschlagenen: Polybutadien umhüllt von Ionomeren-Schichten
Es gibt teure Golfbälle, die nichts kosten und billige, die den Spielern teuer sind. Über die Chemie einer Kugel, die die Welt bedeuten kann.
B ei Fußbällen darf die Größe variieren. 68–70 Zentimeter Umfang ist Profinorm, das Gewicht („bei Anpfiff des Spiels“) ist mit 410–450 Gramm vorgegeben. Die Materialien variieren. Früher waren Fußbälle aus Leder, saugten sich bei Nässe durstig voll und wurden bei Kopfbällen zu Schädelbrechern. Seit sie aus immer neuen Kunststoffvarianten sind, werden Schädel nur noch erschüttert, dafür sind, wegen neuer Schusstechniken, gewohnte Flugbahnen gemeuchelt. Was bleibt: der unkaputtbare Kicker-Deutschbegriff „das Leder“.
Beim Golf fliegen die Dinge anders. Aus britischen Maßen hergeleitet ist streng vorgegeben: Gewicht eines Golfballes 45,926 Gramm (1,62 Unzen), Mindestdurchmesser 42,672 Millimeter (1,68 Inch). Die Mindestgröße ist vorgegeben, weil kleinere Bälle bei gleichem Gewicht wegen des geringeren Luftwiderstandes weiter fliegen würden. So weit, so eindeutig.
Aber was ist drin? Beim Fußball: Luft, beim Golfball: Chemiekunst dank Hochleistungskunststoffen. Golfballproduzenten setzen innerhalb der Vorgabenmaße Ingenieurskunst ein. Der Kern des Balles besteht aus synthetischem, autoreifenähnlichem Polybutadien-Gummi, drumherum drei oder vier Schichten aus Polymeren oder Ionomeren-Schichten, alles getestet von Schlagrobotern. Das Außenleben, meist aus Urethan oder Surlyn kommt hinzu. Und: Wie viele Dimples (die kleinen halbrunden Einbuchtungen) sorgen für optimale Aerodynamik, 200, 330? Eher kleine oder sehr kleine? Windkanäle kennen keine Eindeutigkeiten.
Dann kommt das Marketing: Die Firma Callaway zum Beispiel führt die Ballmodels „Warbird Distance“ oder „Chrome Tour Major Serie“, das sei „der neue Goldstandard“. Je nach Konfiguration des Innenlebens fliegen Bälle entweder etwas weiter oder sie „beißen“ auf dem Grün. Heißt: Sie bleiben an der Landestelle besser liegen oder haben sogar Backspin statt flummihaft wegzuspringen.
Der Preis des Balls
Für Profis mag solch feine Differenzierung Sinn ergeben. Da benutzt jedeR die immer gleiche Marke, schon allein wegen der Sponsorengelder. Profis nutzen jeden Ball nur an einer Spielbahn, denn er könnte ja einen minimalen Kratzer haben, der sich am nächsten Loch flughemmend um mehrere Zentimeter Länge auswirken könnte. Hobby-Prügler spielen gern die ganze Runde den gleichen Ball und sind stolz, wenn sie ihn am Ende wieder lebend in ihre Tasche apportiert und nicht in ein Fairway-Begleitgebüsch gejagt haben.
Auch beste Golfbälle kosten nichts, wenn man die der anderen im Begleitgebüsch findet. Mein Mitspieler H. geht zwischendurch immer wieder auf Pirsch und beendet die Runde stets mit mehr Bällen als beim Start. Was er nach erfolgreicher Jagd mit den Funden macht, ist unbekannt. Ansonsten kostet ein Golfball zwischen einem Euro („Lakeballs“ im Dutzend, von Greenkeepern oder Golfbachtauchern aus den Teichen gefischt) oder neu meist zwischen drei und sechs Euro. Auch die teuersten finden ihr Ziel nicht allein.
Die Marke ist ziemlich wurscht. Dennoch schwören manche Hobbyspieler auf Titleist („spiele nichts anderes“) oder Taylormade („Die fliegen weiter“), andere auf Pinnacle („aus so ’nem Gefühl“). Gut, Aberglaube mag helfen. Von Bedeutung ist die Wahl des Balles an kurzen Bahnen (Par 3 – um die 150 Meter). Bei diesen ist oft ein massiver Teich zu überspielen oder reichlich dichtes Gehölz, womöglich sogar ein Biotopbereich, den man wegen Naturschutz nicht betreten darf. Selbst wenn ein Dutzend Bälle, auch der eigene, aus dem Terrain deutlich sichtbar zurückwinkt.
Wähle ich bei solchen Abschlägen eine alte Kugel oder ein kostspieliges Markenprodukt? Die alte Kugel spielen die geizig Ängstlichen, selbstbewusstere Charaktere nehmen den teuersten Ball im Bag. Und sagen: Bei einem derart drohenden Vermögensverlust von mehreren Euro konzentriere ich mich mehr.
Den Wässern ist das egal – Platsch und Tschüss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert