Portraitfilm über Simon Wiesenthal: Held ohne Schatten

Richard Tranks "Ich habe euch nicht vergessen - Simon Wiesenthals Leben und Vermächtnis" ist informativ, aber weit davon entfernt, Widersprüche zuzulassen.

Die Wiesenthal-Doku zeigt zwar die Bio des Widerstandskämpfers, ist aber nicht tiefgründig. Bild: dpa

Was kann man von einer Dokumentation über Simon Wiesenthal erwarten, deren Regisseur Mitarbeiter des Simon Wiesenthal Center in Los Angeles ist? Richard Tranks Porträtfilm ist ziemlich genau so geworden, wie es diese Ausgangskonstellation vermuten ließ: informativ, doch Ambivalenzen lässt er nicht zu. Viele wichtige Zeitzeugen kommen zu Wort. Obwohl die meisten Szenen aus öffentlichen TV-Auftritten Wiesenthals kompiliert sind, gibt es manche unveröffentlichte Bilder, erstmals tritt auch Wiesenthals Tochter Pauline vor der Kamera auf. Doch Trank zeigt einen Held ohne Schattenseite. Das ist doppelt schade. Dramaturgisch, weil Helden im Kino erst durch Abgründe ihre Kontur gewinnen. Und weil die dokumentarische Wahrhaftigkeit leidet, wenn Widersprüche glatt gebügelt werden.

Trank erzählt Wiesenthals Leben chronologisch. Damit gelingt es immerhin, das Leben hinter dem Image des "Nazi-Jägers" sichtbar zu machen. Wiesenthal, 1908 in Galizien geboren, war Architekt, ein gescheiter, aufstiegsorientierter, säkularer Jude. 1941 geriet er in das Terrorsystem der Nazis. Seine Familien wurde ausgelöscht, er überlebte eine Odyssee durch zwölf Konzentrationslager, die 1945 in Mauthausen endete. Wiesenthal, bis auf die Knochen abgemagert, zeichnete in den KZs, was er sah. Diese Skizzen sind vielleicht die vielsagendsten Bilder des Films, Symbole dafür, mit welch unbändigem Willen Wiesenthal auch in Todesgefahr dokumentieren wollte, was geschah.

Nach 1945 arbeitete er mit den US-Behörden daran, NS-Täter zu stellen. Das Interesse der USA versiegte allerdings mit Beginn des Kalten Krieges. In den 50er-Jahren musste Wiesenthal sein Dokumentationszentrum in Österreich schließen - aus Geldmangel. Das änderte sich erst 1960, als seine Recherchen wesentlich zur Ergreifung von Adolf Eichmann beitrugen. Zur Institution, so viel macht Trank klar, wurde Wiesenthal nur, weil die postfaschistischen Gesellschaften skandalös versagten. Man wollte, in Österreich noch mehr als in Deutschland, von der Vergangenheit nichts wissen.

Wiesenthals Ethos, das auf Recht, nicht auf Rache zielte, kommt in Tranks Film gut zur Geltung. Auch die Feindseligkeit, die ihm entgegenschlug, wird anschaulich. 1982 verübten Neonazis einen Bombenanschlag auf ihn. Noch verheerender war die Kreisky-Peter-Affäre. Wiesenthal deckte 1975 auf, dass der damalige FPÖ-Chef Friedrich Peter als Mitglied einer Einsatzgruppe direkt an Massenmorden beteiligt war. Der jüdische Sozialdemokrat Kreisky, der eine Koalition mit der FPÖ anstrebte, warf Wiesenthal "Mafia-Methoden" vor und beschuldigte ihn, grundlos, der Kollaboration mit den Nazis. Wiesenthal war im Recht - und völlig isoliert. Ein finsteres Bespiel für die Macht der Verdrängung. 10 Jahre später argumentierte Wiesenthal in der Waldheim-Affäre äußerst vorsichtig, fast als Verteidiger Waldheims, der seine Rolle in der NS-Zeit geschönt hatte. Die nahe liegende Frage, ob Wiesenthals Vorsicht im Fall Waldheim womöglich auch ein Ergebnis des Peter-Debakels war, stellt der Film nicht.

In den Archivbildern taucht gelegentlich Wiesenthals Frau Cyla auf, eine Überlebende des Holocausts, deren Verwandtschaft von den Nazis ermordet wurde. Meist ist sie am Rand des Bildes zu sehen, manchmal schaut sie stumm an der Kamera vorbei. Ihre Wünsche, ein normaleres Leben ohne Drohbriefe zu führen, wehrte Simon Wiesenthal ein Leben lang ab. "Meine Frau", sagte er, "hat es schwer, weil sie nicht mit einem Ehemann, sondern mit sechs Millionen Toten verheiratet ist." Cylas stumme Blicke sind ein knapper Hinweis auf alle jene heiklen Fragen, die Trank und Koautor Rabbi Marvin Hier weiträumig aussparen. Was kostet ein Leben als Einzelkämpfer? Was befähigte Wiesenthal, diese Rolle so selbstverständlich anzunehmen? Konnte diese Familie so unbeschädigt sein, wie sie hier erscheint? Was hat es Wiesenthal abverlangt, den Wunsch, sich zu rächen, zu rechtsstaatlichem Bewusstsein zu veredeln? Musste er, ausgerüstet mit einem kleinen Büro und ein paar Mitarbeitern, nicht manchmal falsch liegen in der Einschätzung der wirksam verdunkelten Vergangenheit von NS-Tätern? War die Ehrung durch Ronald Reagan nicht nur eine späte Anerkennung, sondern auch eine politische Instrumentalisierung, die Wiesenthals Kapital, seine Unabhängigkeit, bedrohte? Keine dieser Fragen kommt vor. Heiligsprechung geht vor.

Mag sein, dass "Ich habe euch nicht vergessen" Unkundige mit der öffentlichen Figur Simon Wiesenthal vertraut macht. Als dokumentarischer Versuch ist der Film gescheitert, nicht nur weil er allzu respektvollen Abstand zu seiner Heldenfigur wahrt. Die ästhetischen Arrangements, sinfonische Musik und Leichen in KZs, zielen auf Betroffenheit von der Stange. Der Film trägt das Gebot, nicht zu vergessen, schon im Titel. Doch die Bedenkenlosigkeit, mit der Geigen und Bilder des Grauens als routinierte Schreckenschiffren verwandt werden, zeigt, wie fern die NS-Zeit gerückt ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.