„Post-Kollaps-Gesellschaft“: Wie wir leben werden

Johannes Heimrath denkt über ein funktionierendes Gemeinwesen nach. Und kommt zu dem Schluss: Verzicht muss nicht nur negativ sein.

Bedeutet Verzicht Abschied vom guten Leben? Bild: dapd

Unser Zivilisationsmodell ist extrem instabil und wird zusammenbrechen. Das steht für Johannes Heimrath außer Frage. Das krebsartige Wirtschaftswachstum, die permanente Ressourcenübernutzung und die Unfähigkeit auf solche Entwicklungen anders zu reagieren als mit Durchwursteln machen den Kollaps unausweichlich. Versuche, die Ökonomie grüner zu gestalten, verzögern und verschlimmern die Entwicklung nur, weil sie am Wachstumscredo festhalten. Für Reformen sei es zu spät, so die These des Autors.

Heimrath interessiert nicht, was den Zusammenbruch auslösen könnte, sondern was danach kommt. Die beiden aus seiner Sicht wahrscheinlichsten Szenarien handelt er schnell ab: Vermögende Eliten lassen ihre Hightec-Inseln durch Privatarmeen schützen oder die Industriegesellschaften bluten in einem quälenden Prozess ökonomisch und sozial aus. Das dritte Szenario eines „Guten Lebens“ hält Heimrath zwar für unwahrscheinlich und vermutlich auch nur in kleineren Regionen umzusetzen. Aber „eine Chance von 0,01 Prozent ist nicht gleich null“, schreibt der Verleger der kulturkreativen Zeitschrift Oya, der seit 40 Jahren in großfamiliären Gemeinschaften lebt.

In dieser Post-Kollaps-Gesellschaft verhalten sich die Menschen so, dass sie und ihre Nachkommen nicht auf die Ausbeutung anderer Erdbewohner angewiesen sind und die Umwelt sie auf Dauer verkraften kann. „Das gute Leben wird in Hinblick auf Komfort, körperliche Arbeit und technikgestützte Wohnbehaglichkeit sicherlich weniger angenehm sein als ein heutiges kleinbürgerliches Durchschnittsleben“ räumt Heimrath ein. Dabei zeigt er nicht mit dem Finger auf andere, sondern bezieht sich selbst mit Humor immer mit ein.

Schon die Herstellung seines Buches basiert ja darauf, dass er einen Computer nutzt, den Frauen in China unter grässlichen Arbeitsbedingungen zusammengebaut haben. Das Papier wurde mit giftigen Chemikalien hergestellt und der Vertrieb belastet das Klima. Auch die Reduzierung seines heutigen Alltags auf einen weltweit akzeptablen ökologischen Fußabdruck entspricht keineswegs seiner aktuellen Lebensrealität. Denn dann müsste er mit vier Personen auf 50 Quadratmetern leben, sich selbst und seine Wäsche nur mit kaltem Wasser waschen und ausschließlich pflanzliche Lebensmitteln aus der Region essen.

Helmrath rät, sich in jedem Fall alte Handwerkstechniken und Basiskenntnisse anzueignen, denn Angebote wie Google werden wohl nach dem Kollaps in keinem der drei Szenarien weiterexistieren, vermutet er.

Trotzdem bedeutet für ihn die letztgenannte Post-Kollaps-Gesellschaft keineswegs Verzicht, sondern er sieht darin die Chance eines lebendigen, auf gegenseitige Unterstützung basierenden Gemeinwesens. In dieser Vorstellung sind auch andere Lebewesen und ganze Ökosysteme einbezogen – denn kein Mensch kann ohne die Millionen Mikroorganismen im eigenen Körper existieren und jedes Wassermolekül, das heute Teil von uns ist, war schon viele Male Teil eines anderen Körpers.

Zwar verliert sich das Buch manchmal in verschrobenen Gedankenschleifen und skurrilen Betrachtungen. Doch die radikale Fragestellung und Heimraths Fähigkeit, Scheinlösungen klar zu benennen, machen das Buch überaus lesenswert.

Johannes Heimrath: „Die Post-Kollaps-Gesellschaft. Wie wir mit viel weniger viel besser leben werden – und wie wir uns heute schon darauf vorbereiten können“. Scorpio-Verlag, 335 Seiten 19,95 Euro
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