Präsidentschaftswahl in Nigeria: Lobgesänge im Boko-Haram-Land

Präsident Goodluck Jonathan konnte der Terrorgruppe Boko Haram bislang wenig entgegensetzen. Eine zweite Amtzeit strebt er dennoch feierlich an.

Nigerias Präsident Goodluck Jonathan ist seit 2010 im Amt. Bild: reuters

ABUJA taz | Abuja ist im Ausnahmezustand. „Noch nie so abgeriegelt“ war Nigerias Hauptstadt wie an diesem Dienstag, sagen Journalisten. Sich einen Weg ins Zentrum rund um den Eagle Square zu bahnen, ist unmöglich. Zwar bilden sich immer kilometerlange Staus, wenn Präsident Goodluck Jonathan vom Flughafen zu seiner Villa gefahren wird – Sicherheit gibt es in Nigeria nur für den Präsidenten und die Reichen und Mächtigen, so bewerten es die Bewohner zynisch.

Am Dienstag aber hat sich das noch einmal verschärft. Für Zehntausende Menschen, die täglich ins Zentrum pendeln, sind solche Tage die Katastrophe. Was der Präsident dann auf der gigantischen Feier verkündete, war allerdings keine Überraschung: Bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Februar will Goodluck Jonathan erneut für die regierende People’s Democratic Party (PDP) kandidieren. Schon seit Monaten deutete alles darauf hin.

Ständig gründeten sich Unterstützergruppen und plakatierten Abuja mit GJ-Postern. Eines wirbt mit dem Satz „Having Performed So Well“. Darüber spricht er auch in seiner Rede, die auf mehrere Stunden Warterei folgt. Er lobt die Bemühungen, die Stromversorgung zu verbessern. Die war in Abuja selten so schlecht wie derzeit. Es vergeht kein Tag, an dem der Strom nicht ausfällt und die Generatoren nicht auf Hochtouren brummen.

Es ist typisch für Jonathan, dass er sich damit zum ersten Mal öffentlich zu seiner Kandidatur 2015 äußerte, obwohl die eigentlich immer als sicher galt. Schweigen kann Jonathan gut. Als die islamistische Untergrundarmee Boko Haram Mitte April knapp 300 Schülerinnen im Ort Chibok im Bundesstaat Borno entführte, kommentierte der Präsident das drei Wochen lang nicht.

Im Süden – etwa in der Wirtschaftsmetropole Lagos – hieß es sogar, dass die Entführung gar nicht stattgefunden habe, da sich der Präsident ja nicht dazu geäußert hatte. Das hängt ihm bis heute nach. Nur wenige Minuten vom Eagle Square entfernt, vor dem Unity Fountain, fordern die Unterstützer der Mädchen aus Chibok, von denen noch immer 219 in der Gewalt von Boko Haram sind, die Regierung immer noch täglich zum Handeln auf. Seit über einem halben Jahr.

Das Wort Chibok nehmen die Jonathan-Fans auf dem Eagle Square lieber nicht in den Mund. Lieber loben sie Goodluck Jonathan mit viel Applaus und Musik für alles, was er erreicht hat. Jonathan lümmelt sich in seinem Sessel, wie fast immer bei öffentlichen Auftritten. Oft wirkt er so, als ob er gar nicht richtig zuhört. Manchmal glaubt man sogar, ihn wachrütteln zu müssen.

Dabei versichern ihm die PDP-Gouverneure, dass sie während der parteiinternen Vorwahlen nicht gegen ihn antreten werden. Arbeitnehmervertreter loben ihn, Vertreter der Jugend und ein Elternsprecher, der sich für die verbesserten Schulbedingungen bedankt und Chibok nicht erwähnt. Ethnisch und religiös sind die Redner gut gemischt. Es gibt christliche und islamische Gebete, immer wieder spricht jemand auf Haussa, der Verkehrssprache des Nordens.

Der Christ aus dem Süden

Das soll Signalwirkung haben. Im Norden gilt Jonathan schließlich als „Christ aus dem Süden“, mit dem man wenig Berührungspunkte hat. Immer wieder ist in den vergangenen Jahren über seinen Alkoholkonsum spekuliert worden. Konservativen Muslimen ist das ein Dorn im Auge.

Außerdem stammt Jonathan, der Zoologie in Nigerias Ölmetropole Port Harcourt studiert hat, aus der Mittelschicht und nicht aus einer traditions- und einflussreichen Familie. Deshalb dürfte er über ein schlechteres Netzwerk als viele andere Politiker verfügen. Das liegt auch daran, dass er keine Militärkarriere hinter sich hat. Bis er 2007 Vizepräsident von Nigeria wurde, kannte ihn kaum jemand außerhalb seiner Heimatprovinz Bayelsa.

Jetzt kennen ihn alle, und das gereicht nicht unbedingt zu seinem Vorteil – hauptsächlich wegen Boko Haram. Jonathans Erklärung zu seiner erneuten Kandidatur erfolgt genau einen Tag nach einem besonders brutalen Anschlag in der Stadt Potiskum im Bundesstaat Yobe. Als Anschlagsziel hatte der Selbstmordattentäter eine Oberschule ausgesucht, er riss 47 Menschen in den Tod und verletzte 100. Jonathan sagte danach, dass all jene, die für die Tat verantwortlich sind, „bestraft werden“.

Diesen Satz hören die Nigerianer oft von ihrem Präsidenten, meist gepaart mit der Aussage, dass der Boko-Haram-Terrorismus bald der Vergangenheit angehört. Beides hat mit der Realität nichts zu tun. Nigerianische Regionen, die noch vor einigen Monaten als einigermaßen friedlich galten, werden inzwischen zur Zielscheibe.

Nur Rückhalt aus der Heimat wird nicht reichen

Rückhalt hat Goodluck Jonathan vor allem in seiner Heimat, dem Niger-Flussdelta. Es ist Nigerias Ölregion, die Schatzkammer des Landes, und Jonathan gehört zum Volk der Ijaw, der größten Ethnie der Region. Aber auch in seiner Heimatprovinz Bayelsa geht es vielen Menschen nicht besser, bloß weil einer der Ihren Präsident ist. Eine knappe Stunde Schnellbootfahrt von Bayelsas Hauptstadt Yenagoa entfernt sitzt Tontiemotie Yei Yei in seinem kleinen Haus, das weder über Strom noch fließendes Wasser verfügt. Der Fluss ist schlammig und vom Öl verdreckt.

Yei Yei will im kommenden Jahr wählen gehen. „Das ist doch quasi unsere Bürgerpflicht“, sagt er und lacht. Wem er seine Stimme gibt, will er noch nicht allzu deutlich sagen, verrät dann aber doch: „Der Präsident ist doch von hier. Und meinen Bruder muss ich schließlich unterstützen.“ Aber nur mit den eigenen „Brüdern“ wird es Präsident Goodluck Jonathan im Februar nicht schaffen.

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