Präsidentschaftswahlen in El Salvador: Den Armen die Hand gereicht

Die erste Linksregierung in der Geschichte El Salvadors hat viele Sozialprogramme aufgelegt. Einen strukturellen Wandel hat sie nicht geschafft.

Liegt bei den Umfragen vorn: FMLN-Kandidat und Ex-Guerillero Sanchez Ceren. Bild: ap

SAN SALVADOR taz | Jeden Freitag fährt Wandee Mira aufs Land. Die kleine 43-jährige Frau mit der Lesebrille in den krausen schwarzen Haaren oder tief auf der Nase ist Gynäkologin. Zusammen mit einer Ernährungsberaterin, einer Psychologin, einer Kinderärztin, einem Internisten und einer Physiotherapeutin steigt sie auf die Ladefläche eines Pickups und fährt aus San Salvador hinaus in die Weiler der Gemeinden Panchimalco, Rosario de Mora und San Marcos. In dieser Gegend leben besonders viele Indígenas, die Menschen sind besonders arm.

Mira betreut die Schwangeren in diesen Gemeinden. „Ich bin zuständig für Risikoschwangerschaften“, sagt sie. „Aber in dieser Gegend gibt es eigentlich nur Risikoschwangerschaften.“ Mädchen, die kaum geschlechtsreif sind und schon ein Kind austragen; 40-jährige Bäurinnen, die schwer arbeiten und zehn Schwangerschaften hinter sich haben.

„Dass von diesen Kindern eines stirbt, gehört für diese Frauen mit zur Natur“, sagt die Ärztin. Kaum eine hat je ein Krankenhaus von innen gesehen. „Sie erschrecken sich, wenn sie meine gynäkologischen Instrumente sehen.“ Wandee Mira ist der erste Kontakt armer Frauen mit dem öffentlichen Gesundheitswesen.

Die Gratisversorgung mit mobilen medizinischen Einheiten, die hinausgehen in Dörfer, die früher nie ein Arzt betrat, gibt es inzwischen für 166 der 232 Gemeinden El Salvadors. Sie ist das Herzstück einer Gesundheitsreform der ersten Linksregierung des Landes.

Gemischte Bilanz nach fünf Jahren linker Regierung

Fünf Männer stehen zur Auswahl, wenn die Bevölkerung El Salvadors am kommenden Sonntag zur Wahl eines Präsidenten aufgerufen ist. Wahlentscheidend sind nur drei:

Salvador Sánchez Cerén, ehemals Guerilla-Comandante und heute Vizepräsident, der für die Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) antritt;

Norman Quijano, Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador, als Vertreter der extrem rechten Republikanisch-Nationalistischen Allianz (Arena); und

Antonio Saca, der von 2004 bis 2009 schon einmal Präsident war, damals für Arena. 2009, nach Wahlniederlage gegen die FMLN, wurde er aus der Partei ausgeschlossen, gründete seine eigene und hat für diese Wahl das Bündnis Unidad (Einheit) aus der käuflichen Rechten und konservativen Christdemokraten geschmiedet.

Fast alle Umfragen sehen Sánchez Cerén als Wahlsieger. Aber nur wenige trauen ihm eine Mehrheit von mehr als 50 Prozent der gültigen Stimmen zu, die für eine direkte Wahl notwendig ist. Alle anderen sagen ein eher knappes Rennen zwischen FMLN und Arena voraus. In einer in diesem Fall anstehenden Stichwahl am 9. März wird entscheidend sein, wie sich die gut zehn Prozent der Wähler entscheiden werden, die laut Umfragen am Sonntag für Saca stimmen werden.

17 Jahre musste die ehemalige Guerilla der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) warten, bis sie nach dem 1992 beendeten Bürgerkrieg mit rund 80.000 Toten bei der Wahl von 2009 das Jahrzehnte dauernde Regierungsmonopol der traditionellen Oligarchie und ihrer ultrarechten Partei der Republikanisch nationalistischen Allianz (Arena) brechen konnte.

Jetzt, da die nächste Präsidentschaftswahl ansteht, ist es Zeit für eine Bilanz und die fällt für Medardo González, Generalsekretär der FMLN, positiv aus. Mit der Gesundheitsreform, sagt er „hat die Regierung den Armen die Hand gereicht“. Und nicht nur damit. González führt eine ganze Reihe weiterer Sozialprogramme an: Eine Minimalrente für mittellose Alte, Schulpakete mit Uniformen, Schuhen, Heften und Bleistiften für die Kinder armer Familien, Aus- und Fortbildungszentren für Frauen, Saatgutpakete für Kleinbauern, Arbeitsbeschaffungsprogramme für Jugendliche.

Die meisten dieser Programme sind nicht flächendeckend, sondern laufen zunächst in den ärmsten Gemeinden des Landes. Immerhin: Präsident Mauricio Funes sprach in seiner Neujahrsrede „mit großer Befriedigung“ davon, „dass sich das Land, das wir übernommen haben, verändert hat“.

So einig waren sich Präsident und Partei nur selten. Funes war nicht bei der Guerilla, sondern El Salvadors prominentester Fernsehjournalist. Zur Wahl wurde er von der FMLN adoptiert, um in der politischen Mitte die Stimmen zu gewinnen, die der Linkspartei vorher immer gefehlt hatten. Kaum im Amt, umgab er sich mit befreundeten Unternehmern und regierte oft an der FMLN vorbei.

„Keine Koordination, keine klare Linie”

Das hatte Konsequenzen: „Es gab keine Koordination in der Regierung, keine klare Linie“, sagt Roberto Rubio, Direktor der entwicklungspolitischen Denkfabrik Funde, die in El Salvador die Antikorruptionsoarganisation Transparency International vertritt. Sicher, vielen Armen hätten diese Sozialprogramme geholfen. Im Grunde aber habe die Linksregierung fast nur Programme erweitert, die von der rechtpopulistischen Vorgängerregierung begonnen wurden.

„Statt eines strukturellen Wandels haben wir mehr vom selben, und alles finanziert über Schulden“, sagt Rubio. In der Regierungszeit von Funes ist die Staatsverschuldung um die Hälfte auf rund 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) gestiegen. Für ein Land, dessen Wirtschaft von den Überweisungen der zwei Millionen in den USA lebenden Salvadorianer abhängt, ist das gefährlich.

Das gesteht auch Generalsekretär González ein. „Wir können nicht immer nur die Kreditkarte zücken“, sagt er. Wenn die Sozialprogramme langfristig finanziert werden sollen, „braucht das Land mehr Steuergerechtigkeit“. Die Reichen müssten ein bisschen abgeben. Für eine grundlegende Steuerreform aber „fehlt uns die Mehrheit im Parlament“.

Mit ein paar kosmetischen Korrekturen wie der Erhöhung der Tabak- und der Alkoholsteuer sei es immerhin gelungen, das Steueraufkommen von 13 auf 15 Prozent des BIP zu erhöhen. El Salvador hat damit nach wie vor eine der niedrigsten Staatsquoten der Welt.

Völlig unklar ist, wieviel Geld von diesen Einnahmen in dunklen Kanälen verschwindet. Rubio lobt zwar das Bauministerium, das viele von Vorgängerregierungen begonnene Projekte zu Ende gebracht habe. Die waren wegen unterschlagener Gelder halb fertig geblieben „und standen lange als Denkmäler der Korruption im Land“. Ein grundsätzliches Umdenken aber habe es auch da nicht gegeben.

Noch immer verfügt der Präsident ganz legal über eine sogenannte „diskrete“ Kasse, von der nicht einmal bekannt ist, wieviel Geld darin ist. Noch immer ist es möglich, dass Ministerien nicht verwendete Mittel an den Regierungspalast zurücküberweisen, der dann keinerlei Rechenschaft darüber ablegen muss. Rubio schätzt, dass in den fünf Regierungsjahren von Funes auf diese Art rund 500 Millionen US-Dollar der öffentlichen Kontrolle entzogen wurden. In einem Land mit knapp sechs Millionen Einwohnern, von denen 35 Prozent in Armut leben, ist das eine Menge Geld.

Ferrari neben den Staatskarossen

„Der Präsident kann damit machen, was er will“, sagt Rubio. „Er kann sich eine Jacht kaufen, kann Leute bestechen, das Geld ins Ausland verschieben...“ Auf dem Parkplatz von Funes stehen neben den Staatskarossen ein Ferrari und ein Hummer. Mit einem Präsidentengehalt von knapp über 5.000 Dollar im Monat lassen sich solche Fahrzeuge kaum finanzieren.

Die Gynäkologin Wandee Mira arbeitet für 1100 Dollar im Monat. In einer Privatpraxis könnte sie ein Vielfaches verdienen. „Es ist deshalb schwer, Spezialisten zu finden“, sagt sie. Zum niedrigen Gehalt kommt die Gefahr: In den Gemeinden, die Mira betreut, sind die als Maras bekannten kriminellen Jugendbanden besonders aktiv. Es gibt kaum einen Kindergarten, kaum eine Schule, kaum einen Tante-Emma-Laden, der kein Schutzgeld an diese Mafias bezahlt. Nur die Zahl der Toten, die auf das Konto der Maras gehen, hat in den vergangenen beiden Jahren deutlich abgenommen.

El Salvador war lange das gewalttätigste Land der Welt außerhalb von Kriegsgebieten. Durchschnittlich 14 Menschen wurden jeden Tag ermordet. Seit es Vermittlern des Verteidigungsministers gelungen ist, einen Waffenstillstand zwischen den beiden großen Mara-Verbänden auszuhandeln, hat sich diese Zahl nahezu halbiert. An den anderen kriminellen Machenschaften dieser Banden - Schutzgelderpressung, Raub und Drogenhandel - hat sich nichts geändert.

Genauso wie die rechten Präsidenten der Region setzt Funes bei der Verbrechensbekämpfung auf die Armee und hat ihr damit ein Gewicht gegeben, wie sie es seit dem Ende des Bürgerkriegs nicht mehr hatte. Er hat sogar ein Tabu gebrochen, das nicht einmal seine Vorgänger von der Arena-Partei anzurühren wagten: Im November 2011 hat er einen General zum Minister für innere Sicherheit gemacht und einen weiteren General zum Polizeichef. Die Verfassung verbietet das.

FMLN-Generalsekretär González wird bei diesem Thema richtig grantig: „Wir haben für die Entmilitarisierung des Landes gekämpft und den Friedensvertrag mit unterschrieben“, sagt er mit ungewohnter Entschiedenheit. Angesichts der Geschichte des Landes dürfe es über das Verfassungsverbot für Militärs in der inneren Sicherheit keine Diskussion geben. „In diesem Punkt stellen wir uns gegen den Präsidenten und sagen das auch öffentlich.“ Die FMLN hat Recht bekommen. Das Verfassungsgericht hat nach eineinhalb Jahren die Absetzung der Generäle aus ihren zivilen Ämtern angeordnet. Wenigstens das.

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