Präsidentschaftswahlen in Nordzypern: Erdogan verliert, die EU gewinnt
Der Sozialdemokrat Tufan Erhürman hat die Präsidentschaftswahlen in Nordzypern klar gewonnen. Der von der Türkei unterstützte Kandidat scheitert.

taz | Es ist eine heftige Schlappe für den türkischen Präsidenten Erdogan: Bei den Präsidentschaftswahlen in Nordzypern hat der Oppositionskandidat der sozialdemokratischen CTP, Tufan Erhürman, bereits im ersten Wahlgang klar mit 62,8 Prozent gewonnen. Der vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan unterstützte amtierende Präsident Nordzyperns, Ersin Tatar, schaffte nur blamable 35,8 Prozent.
Der Rest der Stimmen entfiel auf weitere fünf Kandidaten, die aber von Beginn an nur unter ferner liefen antraten. Der entscheidende Unterschied zwischen dem oppositionellen Erhürman und dem regierenden Tartar ist die Haltung zum griechischen Südzypern.
Während Tatar wie sein Großprotektor Erdogan es vorgegeben hatte, sich für einen eigenständigen Staat Nordzypern einsetzt, will Erhürman zurück zu Gesprächen mit den Griechen, um einen gemeinsamen föderalen Staat Zypern zu erreichen. Seit der Teilung Zyperns zwischen Griechen und Türken 1974, wurde unter Federführung der UN immer wieder versucht, durch eine diplomatische Lösung die Teilung zu überwinden.
Der letzte große Anlauf war 2004 die Abstimmung über den sogenannten Annan-Plan des damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan, der einen zypriotischen Bundesstaat mit geteilter Macht zwischen den beiden Volksgruppen vorsah. Während die türkische Minderheit mit großer Mehrheit dem Plan zustimmte, lehnte die Mehrheit der griechischen Zyprioten ihn ab. Seit diesem großen Fehlversuch sind zwar immer wieder noch Verhandlungen geführt worden, die aber allesamt nicht mehr zum Ziel führten.
Auf der türkischen Seite, die den Annan-Plan unterstützt hatte, macht sich zunehmende Frustration breit, die letztlich bei Erdogan dazu führte, ganz auf die diplomatische Anerkennung Nordzyperns als eigenem Staat zu setzen. Doch kein Staat außer der Türkei, nicht einmal der engste Verbündete Aserbaidschan, ist bereit, Nordzypern als eigenen Staat anzuerkennen.
Die Folge ist eine zunehmende Isolation der türkischen Nordzyprioten, die auch wirtschaftlich verheerende Folgen hat. Während das griechische Südzypern kurz nach der Ablehnung des Annan-Plans Mitglied der EU wurde und wirtschaftlich stark davon profitierte, geriet Nordzypern immer mehr in die Abhängigkeit von der Türkei und erlebte ökonomisch eine Art mafiösen Kasinokapitalismus, bei dem die meisten türkischen Zyprioten immer mehr in die Armut rutschten.
Das will der neue Mann Tufan Erhürman nun ändern. Durch Gespräche mit der griechischen Seite will er vor allem die Isolation durchbrechen und auch den türkischen Teil der Insel näher an die EU heranführen. De jure gehört ganz Zypern zur EU, faktisch wird im türkischen Norden EU-Recht aber nicht angewandt. Der Präsident der griechischen Seite, Nikos Christodoulides, hat Erhürman gratuliert und erklärt, er sei zu Wiederaufnahme substantieller Verhandlungen bereit.
Um tatsächlich zu Ergebnissen zu kommen, müssten aber beide Seiten bereit sein, den gesamten Prozess einer Wiederannäherung neu zu denken. Bislang sind alle Verhandlungen daran gescheitert, dass die große Mehrheit der Griechen, die Zypern als ihre Insel ansehen, zu keiner echten Machtteilung mit der türkischen Minderheit bereit sind.
Die griechische Seite stellt sich eine Lösung wie bei der deutschen Wiedervereinigung vor, wo die andere Seite einfach inkorporiert wird, mit ein paar kulturellen Minderheitenrechten für die Türken. Das haben die Türken bislang nicht akzeptiert und wollen es auch zukünftig nicht. Erhürman strebt deshalb einen Staat an, der mit einigen wenigen gemeinsamen Bundesinstitutionen aus zwei Föderationen besteht, der griechischen und der türkischen Föderation. Dabei sollen die Grenzen aber völlig durchlässig sein und auch der türkische Teil würde ökonomisch Teil der EU.
50 Jahre Teilung
Der Weg dahin ist allerdings weit und kann auch nur gelingen, wenn er von der Türkei und Griechenland unterstützt wird. Sowohl die Türkei wie Griechenland müssten ihre Truppen von der Insel abziehen und den Zyprioten die Verhandlungen überlassen. Diese müssten schwierige Eigentums- und Landfragen klären. An sich käme eine solche Lösung aber der Realität entgegen, weil nach 50 Jahren Teilung die türkische und griechische Community sich doch weit auseinandergelebt hat.
Es ist aber sehr fraglich, ob Erdogan bei einer solchen Lösung mitmachen würde. Zwar hat er Erhürman zähneknirschend gratuliert, aber gleichzeitig angekündigt, für „die souveränen Rechte unserer zyprischen Brüder und Schwestern“ weiterkämpfen zu wollen.
Auf Zypern ist Erdogan mit seiner autokratischen und wirtschaftlich desaströsen Politik mit der Wahl Erhürmans gescheitert. Die türkische Oppositionspartei CHP sieht im Sieg ihrer Schwesterpartei einen Vorboten für kommende Wahlen in der Türkei. „Wir teilen die Hoffnungen der zypriotischen Wähler und sind sehr zufrieden mit der Wahl Erhürmans“, sagte CHP-Parteichef Özgür Özel.
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