Prekäre Arbeit nimmt zu: Ohne Netz und doppelten Boden

Global haben prekäre Arbeitsverhältnisse dramatisch zugenommen. 60 Prozent der weltweit Beschäftigten sind nicht sozial abgesichert. Und die OECD befürchtet einen weiteren Anstieg.

Regelmäßiges Einkommen und Sozialsicherung sind nicht in Sicht. Bild: ap

"Is Informal Normal?", fragt eine neue OECD-Studie, die den aktuellen Stand der informellen Beschäftigungsverhältnisse rund um den Globus analysiert. Die Frage ist eher rhetorisch, denn die Zahlen sind eindeutig: So arbeiten mittlerweile 60 Prozent der global drei Milliarden Erwerbstätigen, von denen die OECD ausgeht, in informellen Arbeitsverhältnissen. Dabei wurden die Daten vor dem Beginn der weltweiten Rezession, nämlich 2007 und 2008, erhoben.

In absoluten Zahlen heißt das: 1,8 Milliarden Menschen verdienen sich ihr tägliches Brot durch Arbeit, die sozial nicht abgesichert ist und für die keine formalen Arbeitsverträge und deren Schutzfunktionen existieren. Nur noch eine Minderheit, 1,2 Milliarden Menschen, sind formal und damit abgesichert beschäftigt.

Schuhputzer oder ambulante Händler sind nur die augenfälligsten Beispiele informeller Beschäftigungsformen, die sich auf alle möglichen Arten von erzwungener Selbstständigkeit oder auch Subunternehmertätigkeit erstrecken. Sie bringen dem Großteil der in ihnen Arbeitenden weniger als 2 Dollar am Tag ein. Und sie treffen ganz besonders Frauen und junge Menschen.

Besonders dramatisch stellt sich die Lage für die Länder südlich der Sahara und in Asien dar. Selbst ohne die - in aller Regel prekären - landwirtschaftlichen Jobs mitzuzählen, gelten drei Viertel der Arbeitsplätze in der Subsahara als informell. In Süd- und Südostasien sind es mehr als zwei Drittel, in Lateinamerika, dem Mittleren Osten und Nordafrika rund die Hälfte.

Auch Staaten, die in den letzten Jahren ein kräftiges Wirtschaftswachstum verzeichnen konnten, sind von der zunehmenden Prekarisierung betroffen: "Sogar in guten wirtschaftlichen Zeiten hat es in verschiedenen Regionen von Entwicklungsländern eine Zunahme des informellen Beschäftigungssektors gegeben", so Johannes Juttings, einer der Autoren der Studie. Als Beispiel nennt er Indien: Obwohl es hier im letzten Jahrzehnt ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 5 Prozent und mehr gegeben hat, hätten neun von zehn Beschäftigten keine soziale Absicherung - rund 370 Millionen Menschen.

So unterstreicht die Studie, dass paradoxerweise Wirtschaftswachstum und die Ausweitung informeller Beschäftigungsverhältnisse sogar Hand in Hand gehen können. Lateinamerika und Südasien seien für die letzten zwei Jahrzehnte dafür ein gutes Beispiel, so Juttings.

Auch in den OECD-Ländern macht die Studie eine "wachsende Tendenz" zu informellen Beschäftigungsverhältnissen aus. Dort würden sich formale Arbeitsverhältnisse im wachsenden Maße "informalisieren".

Dabei ist laut OECD das dicke Ende noch gar nicht erreicht. Die Anzahl der weltweit prekär Beschäftigten könnte sich bis zum Jahr 2020 auf 67 Prozent aller Erwerbstätigen erhöhen - wenn es denn "stabile wirtschaftliche Wachstumsmuster" gibt, die in der aktuellen Wirtschaftskrise als Traum von vorgestern erscheinen. Tatsächlich dürfte die Wirtschaftskrise dafür sorgen, dass die informelle Arbeit den Druck auf den formalen Sektor erhöht.

Deshalb empfiehlt die OECD den einzelnen Staaten dringend, mit raschen und "unkonventionellen Maßnahmen" gegenzusteuern. Dazu gehören für die bislang immer als Anhängerin des freien Marktes bekannte Organisation die Schaffung von sozialer Absicherung auch für informell Beschäftigte. So habe zum Beispiel Thailand eine Krankenversicherung für informell Erwerbstätige und Zugang zu Mikrokrediten und Bildung geschaffen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.