Prekäre Wasserresourcen Boliviens: „Flüsse kennen keine Grenzen“
Forscherin Ana Lía Gonzáles über den Wasserhaushalt der Amazonas-Flüsse Boliviens, die unter Goldabbau, Agrarwirtschaft, Entwaldung und Feuern leiden.
taz: Frau Gonzáles, was sind die größten Belastungen für die Wasserressourcen im bolivianischen Teil Amazoniens?
Ana Lía Gonzáles: Die größte Gefährdung für die Wasserqualität und -menge liegt in der Goldgewinnung und den agroindustriellen Aktivitäten. Der Bergbau konzentriert sich stark auf den Fluss Beni, einen der Zuflüsse des Amazonasstroms, und den Río Madre de Dios, einen Nebenfluss des Beni. Eine Ausdehnung der landwirtschaftlichen Nutzfläche findet wiederum vor allem in der Umgebung der Stadt Santa Cruz de la Sierra statt, dem Zentrum der bolivianischen Agrarindustrie. Dort leidet die Wasserqualität unter dem Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln. Es gibt bisher nur sehr wenige Untersuchungen darüber, welche Schäden dadurch entstehen und wie lange diese Stoffe im Wasser verbleiben.

Der Text ist im Rahmen des Klimaworkshops Green Panter Amazonia der taz Panter Stiftung entstanden. Mehr Texte der Teilnehmenden aus 8 Ländern der Amazonas-Region auf taz.de. Weitere ihrer Artikel erscheinen am 12. 9. in einer taz-Beilage, am 17. 9. gibt es einen Talk mit ihnen in der taz Kantine.
taz: Welche weiteren Gefährdungen gibt es?
Gonzáles: Ein dritter Druckfaktor, den es intensiver zu untersuchen gilt, ist die Entwaldung. Wälder sind Teil des Wasserkreislaufs. Wenn wir Wald abholzen, kann das Regenwasser nicht so wie vorher in den Boden sickern. Es gelangt darum nicht ins Grundwasser, das eine wichtige Wasserquelle auf dem Land und in Städten wie Santa Cruz ist. Und je mehr Wald zerstört wird, umso weniger Wasser kann er speichern. Darum gibt es weniger Verdunstung, und es bilden sich keine Wolken mehr, die den Wasserkreislauf erneut in Gang setzen.
Hinzu kommen Waldbrände als vierter Faktor. Zu ihnen gibt es zwar noch keine umfassenden Studien. Aber es ist zu beobachten, dass nach Bränden Asche im Wasser zu finden ist. Das stellt ebenfalls eine Verschmutzung dar. Diese vier Faktoren sind die größten Belastungen für die Wasserressourcen Amazoniens – und ihre Auswirkungen auf den Wasserhaushalt haben sich verschärft.

taz: Im Amazonasbecken ist rund ein Fünftel des Flusswassers der Erde konzentriert. Amazonien ist von einem Netz von Hauptflüssen durchzogen, die zusammen eine Länge von über 10.000 Kilometer haben. Wenn etwas in den Flüssen Boliviens passiert, welche Auswirkungen hat das auf die Nachbarländer?
Gonzáles: Wir müssen Amazonien als ein System miteinander verbundener Flüsse betrachten, als ein zusammenhängendes Ökosystem. Flüsse kennen keine Grenzen. Eine Aktivität, die die Qualität oder Wassermenge eines Flusses an einem Ort beeinträchtigt, wird mit ihren guten und schlechten Auswirkungen über dieses Netz auch andere Länder erreichen.
In Peru wird etwa am Fluss Madre de Dios Bergbau betrieben. Der Fluss fließt von dort zu uns und trägt Sedimente und Quecksilber mit sich. Durch Fische verbreitet sich das weiter und gelangt in die menschliche Nahrungskette. Dabei bleibt es nicht: Über die Flüsse wird das Quecksilber weiter nach Brasilien geschwemmt, in diesem Fall über den Río Madeira, einen Nebenfluss des Amazonas.
taz: Haben Sie Flüsse identifiziert, die am anfälligsten auf die gegenwärtigen Klimaveränderungen reagieren?
Gonzáles: Nein, das haben wir noch nicht ermittelt. Derzeit führen wir eine Analyse der Klimabelastung der letzten 25 Jahre durch und erstellen eine Prognose, wie sich das Klima in der Region in Zukunft entwickeln wird. Was wir aber sagen können, ist, dass die meisten Amazonasflüsse in Bolivien bereits jetzt schon großen Veränderungen ausgesetzt sind. Die Niederschläge in der Regenzeit werden stärker, und es regnet in kurzen Zeiträumen intensiver. Wir haben auch Überschwemmungen untersucht.
In bestimmten Gebieten treten sie regelmäßig auf, etwa in der Moxos-Ebene, durch den der Río Beni fließt. Es ist eine Überschwemmungssavanne im nördlichen Tiefland Boliviens. Doch wir haben festgestellt, dass seit fast zehn Jahren auch andere Regionen unter Überschwemmungen leiden, die nie als Gefährdungsgebiete galten. Gleichzeitig hat sich mittlerweile die Dürreperiode verlängert. Früher dauerten die Dürremonate nur bis August oder September. Jetzt gibt es sogar oft bis in den Oktober oder November hinein keinen Regen.
taz: Und wie verhalten sich die Flüsse in der Trockenzeit?
Gonzáles: Der Wasserstand vieler schiffbarer Flüsse sinkt, und einige Abschnitte sind dann kaum mehr befahrbar. In Brasilien ist die Lage noch gravierender. Unsere Kollegen haben uns Aufzeichnungen von einigen sehr breiten Flüssen gezeigt, deren Pegel so stark gesunken ist, dass bestimmte Gemeinden von der Außenwelt abgeschnitten sind. Auch in Bolivien sinken die Wasserstände. Das wirkt sich nicht nur auf die Schiffbarkeit aus, sondern auch auf die Artenvielfalt. Es gibt Berichte über rosa Delfine, die nicht weiterschwimmen können, weil der Wasserstand nicht ausreicht, um ihren Weg fortzusetzen.
Interviewerin Karen Gil ist eine bolivianische Investigativjournalistin, Dokumentarfilmerin und Direktorin der Onlinemagazins La Brava.
Übersetzt aus dem Spanischen von Ole Schulz
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