Pressefreiheit in der Türkei: Unfreiwillig auf der Ersatzbank

Der Autor war Leiter von Hürriyet Online, der reichweitenstärksten Nachrichtenseite des Landes. Jetzt ist er arbeitslos.

Forensiker in weißen Anzügen untersuchen einen Anschlagsort

Es kommt immer noch schlimmer: Forensiker nach den Anschlägen in Ankara im Oktober 2015 Foto: dpa

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„Es kann immer noch schlimmer kommen“ ist so ein Oma-Satz, der heftig nach Mottenkugeln riecht. Das Tragische ist, er ist wahr. Erst recht in der Türkei. Warum? Ich werde es ihnen erklären.

Für den 1. November 2015 hatte die Regierung Erdoğan Neuwahlen für das türkische Parlament anberaumt. „Das lasse ich nun wirklich nicht gelten, ich erwarte Euch erneut bei den Urnen“, sagte stur die Stimme aus dem Palast. Was war geschehen?

Die AKP, die seit 2002 ununterbrochen mit absoluter Mehrheit regiert hatte, war bei den Parlamentswahlen 45 Tage zuvor erstmals dieser Alleinherrschaft beraubt worden. Ausgerechnet von der demokratisch-sozialistischen HDP. Einer Partei, die für sich in Anspruch nimmt, auch die Anliegen der kurdischen Minderheit zu repräsentieren.

Zum ersten Mal in der türkischen Geschichte war es einer pro-kurdischen Partei gelungen, ins Parlament einzuziehen. Die Gezi-Proteste zuvor hatten diesen Erfolg ermöglicht. Nun also Neuwahlen. Damals dachte ich, ich hätte die schlimmste Phase meines persönlichen Lebens erreicht.

Entlassung gefordert

Freitag, 9. Oktober. Drei Wochen vor der Wahl, die unbedingt wiederholt werden sollte. Gegen Abend. Der Leiter des Unternehmens, für das ich damals tätig war, sagte: „Mein lieber Bülent, deine Texte bereiten gewissen Kreisen Unbehagen, wir müssen dich ein bisschen schonen. Ruh' dich doch bis zum 1. November aus.“

Dünya basın özgürlüğü günü 3 Mayıs 2016'da taz 16 Türkçe-Almanca özel sayfa ile yayınlandı. Türkiye'de çalışan gazetecilerle birlikte hazırlandı. Cünkü basın özgürlüğü hepimizi ilgilendirir.

die günlük gazete'de yayınlanan Türkçe yazılara buradan ulaşabilirsiniz.

Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit erschien die taz am 3. Mai 2016 mit 16 türkisch-deutschen Sonderseiten zum Thema „Pressefreiheit in der Türkei“ – erstellt von türkischen JournalistInnen zusammen mit der taz-Redaktion. Weil Pressefreiheit uns alle angeht.

„taz.die günlük gazete“ – learn more about our project (in German)

Offen gestanden, kam das nicht völlig unerwartet. Schon seit den Gezi-Protesten vor drei Jahren hatten Mächtige mehrmals meine Entlassung gefordert, einige auch öffentlich. Doch so sehr ich versucht hatte, gewappnet zu sein, diese Sätze trafen mich doch. Im Vorfeld der Wahlen nicht aktiv als Journalist tätig sein zu können, quälte mich.

Die Nacht war schwer, am nächsten Morgen fühlte ich mich besser. Mit meiner Liebsten ging ich aus dem Haus. Kaffee trinken, immer wieder von Anrufern unterbrochen, die mir wünschten, dass es hoffentlich bald überstanden sei, und mir rieten, die Biennale zu besuchen. Das würde gut tun.

Wir saßen draußen auf einem Platz und tranken Kaffee, als eine SMS, die auf meinem Telefondisplay erschien, meine eigenen Sorgen zu einem Staubkorn im Universum schrumpfen ließ: „Selbstmordanschlag in Ankara: 100 Tote“, lass ich da.

Mein eigener Kummer war vergessen. Wann würde die blutige Geschichte meines Landes endlich vorüber sein? Je mehr Einzelheiten aus Ankara bekannt wurden, desto wütender wurde ich. Dass ich als Journalist auf die Ersatzbank verwiesen worden war, war mir in diesem Augenblick schnuppe.

Stattdessen dachte ich: Eine Zwangspause täte gut. Ein Kurzurlaub an der Ägäis vielleicht. Weniger Arbeit, weniger Verantwortung. Mein Stress verringerte sich, ich ging frohgemut zur Arbeit, um mich wenig politischen Themen zu widmen.

Dann Ende November. Die AKP hatte sich quasi im zweiten Wahlgang erneut durchgesetzt. Eines Abends, kurz vor dem Verlassen der Redaktion, rief mich der Leiter, der mir schon zuvor geraten hatte, mich auszuruhen, erneut in sein Büro. Der Kaffee schmeckte bitter: „Wir werden dich nicht länger schonen können“, sagte er.

Ich ärgerte mich, erlaubte mir aber nicht, es mir allzu sehr zu Herzen zu nehmen, und packte meine Sachen. Es befanden sich gar nicht viele persönliche Dinge in der Redaktion, in der ich neunzehn Jahre lang gearbeitet hatte. Dann mein Anruf bei der Liebsten: „Kümmerst du dich eine Weile um mich?“ Bis auf die Anrufe mit dem Wunsch, ich möge es bald überstanden haben, ging es mir gut.

Ich musste los

Schon bald aber hielt ich es ohne Nachrichten nicht mehr aus, und ich ich warf einen Blick auf das Getümmel auf Twitter. Ich las den Tweet ganz oben: „Wir sind im Justizpalast. Can Dündar und Erdem Gül machen ihre Aussagen. Wir sind nur eine Handvoll Leute.“

Ich musste los. Die beiden waren wegen Spionage angeklagt, weil die Cumhuriyet über angebliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdiensts an muslimische Extremisten in Syrien berichtete hatte.

Schon bald aber hielt ich es ohne Nachrichten nicht mehr aus, und ich ich warf einen Blick auf das Getümmel auf Twitter

Kein Weg war mir je im Leben so lang vorgekommen, der aufgrund des Regens aufgestaute Verkehr nie so dicht wie an jenem Tag. Dann standen wir in der siebten Etage eines Palastes, der den Satz aus einem anderen Palast – Erdoğans Palast – als Befehl aufgefasst hatte, im üblichen Neonlicht der türkischen Bürokratie.

Es war eine dieser Sitzungen, die in die Länge gezogen werden, um dem im Voraus feststehenden Ergebnis den Anstrich von Rechtsstaatlichkeit zu geben. Der Tumult im Saal, zu dem uns der Einlass verwehrt worden war, verhieß nichts Gutes, Haftbefehle ergingen.

Zähne zusammenbeißen

Man führte unsere Freunde – Can Dündar, den Chefredakteur der linksliberalen Cumhuriyet, und Erdem Gül, dem Ankara-Korrespondenten des Blattes – durch die Hintertür ab, damit wir sie nicht zu sehen bekamen. Uns blieb nichts übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und murrend aus dem Gebäude abzuziehen.

Wissen Sie, die Türkei ist kein Land, wie Sie es kennen. Sie gestattet nicht, dass Sie sich über sich selbst grämen. Sie gibt Ihnen die Chance, wenn „es immer noch schlimmer kommt“, Ihren eigenen Kummer am Kummer anderer zu messen und sich dann selbst glücklich zu fühlen. Weil es Ihnen im Vergleich zu anderen, immer noch besser geht.

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arbeitete seit 1997 bei der Hürriyet, zuletzt als Onlinechef. Am 26. November 2015 verlor er seinen Job.

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