Pressefreiheit in der Türkei: „Warum hast du nichts getan?“

In der Türkei werden kritische Journalisten mundtot gemacht. Wir in Deutschland betrachten das aus sicherer Distanz. Wo bleibt der Protest?

Eine Frau wird von Polizistinnen eine Treppe herunter

Auf dem Weg zum Gericht: eine der festgenommenen Journalistinnen am Freitag, 29. Juli Foto: DHA

Vergangene Woche wurde in der Türkei die Schließung von 45 Zeitungen, 16 Fernsehstationen, 23 Radiosendern und drei Nachrichtenagenturen angeordnet – und die Verhaftung von allein 47 Journalistinnen und Journalisten der Zeitung Zaman.

Die Bezeichnung „in der Türkei“ ist für sich genommen falsch. Denn nicht „die Türkei“ hat beschlossen, alle Medienvertreter, die jenseits der Regierungslinie sprechen, schreiben oder senden könnten, mundtot zu machen, sondern Recep Tayyip Erdoğan.

Wir Journalisten in Deutschland beobachten das. Wir ­schrei­ben den Sachverhalt auf. Wir berichten darüber. Und weiter? Die Türkei ist für uns Deutsche nicht irgendein Land. Es ist für uns ein schwieriges Land. Eines, dem gegenüber wir es nicht schaffen, eine klare Haltung zu finden. Und so leben wir eine zynische Bigotterie: Wir halten die Türken in Deutschland auf Abstand – doch fahren wir in ihr Land für den Urlaub, dann feiern wir sie für ihre Gastfreundschaft.

Und jetzt das. Jetzt werden wir Zeuge, wie in diesem uns durch vielerlei Ambivalenzen verbundenen Land – das uns nach Monaten der Konflikte, einem Pakt, den man nur teuflisch nennen kann, dem Schauspiel des Erstarkens eines Seefahrersohns zum Despoten, wohl so nah ist wie noch nie – die Medien kaltgemacht werden. Und wir tun was?

Berichterstattung: top!

„Wir“, das sind in diesem Fall wir Journalisten. Ja, wir berichten. Wir schreiben auf, was wir sehen und was wir wissen. Das Ausmaß der Berichterstattung sei, so Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RoG), „gigantisch“. Wir scheuen uns nicht, zu sagen, dass dies der Anfang vom Ende sei, weil wir – aus unser eigenen Geschichte – besser als viele andere wissen können, wie entscheidend das Ausschalten eines vielstimmigen Mediensystems zum Aufbau einer Diktatur ist.

Und doch ist das tatsächlich alles. Berichten ist alles, was wir tun. Wir Journalisten.

Wenn Jan Böhmermann, der nicht nur genau wusste, was er tat, als er sein Erdoğan-Gedicht im Fernsehen veröffentlichte, sondern dies provokant zur Auslotung unseres Freiheitsverständnisses tat, Ärger bekommt, sind wir schnell mit unserer Unterstützung zur Stelle. Dann ­schreiben wir Texte, unterzeichnen Petitionen und veröffentlichen offene Briefe.

Wenn wir finanziell nichts zu befürchten haben, machen wir uns vielleicht sogar seine Worte zu eigen. Dann regen wir uns von unserem Drehstuhl aus ordentlich auf und schicken die Forderungen nach Kunst- und Pressefreiheit an das andere Ende der Komfortzone, dorthin, wo die Politiker sitzen. Doch wenn es wirklich mal dicke kommt, wenn in unserem Nato-Bündnisland unter abenteuerlichen Vorwürfen unsere Kolleginnen und Kollegen verhaftet werden, wenn sie daran gehindert werden, das zu tun, was wir hier in Deutschland als Fundament einer Demokratie begreifen, nämlich aufzuschreiben, was ist, dann nehmen wir das erstaunlich ruhig zur Kenntnis.

Solidarität: flop!

Dann formiert sich nichts. Keine Gruppe. Kein Widerstand. Kein Appell. Erstaunlich untätig bleiben alle die, die sich am Ende des Jahres und zu Beginn des neuen mit Preisen für ihre Türkei-Reportagen auszeichnen, die die Regierung für ihre Türkei-Politik kritisieren und sich einzureden versuchen, ohne ihren „Qualitätsjournalismus“ ginge nichts.

Dann gibt es eigenartigerweise keine offenen Briefe in den Zeitungen. Dann bleibt die Speerspitze des deutschen Journalismus erstaunlich stumpf. Keine Elite, keine Preisträger, die sich sagen: „Wer, wenn nicht wir?“, und sich öffentlichkeitswirksam solidarisch mit den türkischen Kolleginnen und Kollegen erklären. Die demonstrativ einen Teil ihres guten Salärs in einen Topf werfen und Anwälte beauftragen, den Kollegen in der Türkei zu helfen.

Keine Verleger, Senderchefs und Chefredakteure, die sich mit Reporter ohne Grenzen zusammenschließen, eine europaweite Allianz bilden und etwa die türkischen Kollegen bei sich veröffentlichen lassen. Oder die zur türkischen Botschaft gehen und einen medienwirksamen Protest veranstalten. Wobei „medienwirksam“ fast zynisch klingt in Anbetracht des Umstands, dass sie über die Inhalte ihrer Blätter, Onlinedienste und Sender selbst bestimmen.

„Zeichen setzen“, deutlich machen: „So geht das nicht!“ oder: „Wer sich mit unseren Kollegen anlegt, legt sich auch mit uns an!“ – also eben jene Haltung zeigen, die wir Medienmacher so gern bei der Zivilbevölkerung einfordern, sie gilt für uns nicht. Im Privaten vielleicht, wo sicherlich einige von uns für Organisationen wie Amnesty International oder RoG spenden. Aber nicht als solidarische Größe in der Öffentlichkeit. Wenige Ausnahmen, wie die Sonderausgabe der taz vom 3. Mai, mag es geben. Doch wie viel können Hunderte oder vielleicht Tausende entsetzter Einzelpersonen erreichen, wenn sie sich hinter einem Verbund, hinter einer Stimme verstecken?

Wenig Widerhall

Entsprechend wenig Widerhall findet der „Appell der Berufsverbände“, den der Deutschen Journalisten-Verband (DJV) zusammen mit dem Deutschen Richterbund, dem Deutschen Anwaltsverein und dem Deutschen Hochschulverband veröffentlicht hat und in dem sie die Bundesregierung und die Europäische Kommission auffordern, „nicht zuzuschauen, wie in der Türkei der Rechtsstaat abgewickelt wird!“

Immerhin das Zeichen, das das Netzwerk Recherche vor wenigen Wochen gesetzt hat, hat es zu weitreichender medialer Aufmerksamkeit gebracht: Der Verein hat den zu knapp sechs Jahren Gefängnis verurteilten Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet, Can Dündar, mit dem „Leuchtturm“ für seinen Kampf für die Meinungsfreiheit ausgezeichnet. Und so wichtig die Ehrung für Dündar ist, so wichtig war die Funken sprühende Laudatio des EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz für die Branche: Schulz erinnerte daran, dass Journalist zu sein etwas anderes ist als Tierpfleger oder Bäcker. Auch in Deutschland.

Und dennoch, wir schaffen es nicht. Schaffen es nicht, über unsere eigene Befindlichkeit, die in ihrem Wohlgefühl bitte immer unangetastet bleiben soll, hinaus zu agieren. Beim DJV gingen bereits Anfragen von Bürgern ein, wann eine große Demonstration von Journalisten bezüglich des Vorgehens gegen die Medien in der Türkei stattfinden würde. Wie gesagt, die Frage kam von Bürgern. Nicht von Journalisten.

Wir Journalisten bekommen es zwar hin, beleidigt zu sein, weil wir von Landsleuten als „Lügenpresse“ beschimpft werden, und sind persönlich angefasst, wenn wir bei der Pegida-Berichterstattung geschubst werden, aber wir, die wir uns global vernetzen, um Informationen auszuwerten, weigern uns, Verantwortung zu übernehmen, die daraus entsteht, wenn in Nachbarländern wie Polen, Ungarn und der Türkei Kolleginnen und Kollegen mundtot gemacht werden. Wenn Medien ausgeschaltet werden, um Demokratien auszuhöhlen.

Vorsatz: Immer schön raushalten

Und obschon in diesem Land, in unseren Familien die Frage „Warum hast du nichts getan?“ auf der Suche nach einer Antwort, wie es zum Naziregime kommen konnte, noch vor wenigen Jahren eine zentrale war, haben wir Journalisten es uns zum Vorsatz gemacht, uns immer schön herauszuhalten. Bericht zu erstatten muss reichen. Sich engagieren, „Halt!“ rufen – das sollen die anderen tun. Selbst wenn es das zu verteidigen gilt, wofür wir angeblich stehen: die Pressefreiheit.

Es ist an der Zeit, zu begreifen, dass es bei der Idee von Europa und der einer demokratischen Welt die Pressefreiheit der anderen nicht gibt. Ihre Pressefreiheit ist unsere Pressefreiheit. Und die muss zur Not auch am Bosporus verteidigt werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.