Pressefreiheit in der Türkei: Gegen die Meinungsfreiheit

Unter dem Deckmantel des Antiterrorkampfes werden Journalisten in der Türkei inhaftiert – unter anderem zwei Kollegen der linken Zeitung "BirGün".

Einer von vielen: Fotograf Mustafa Özer wird in Istanbul von der Polizei abgeführt. Bild: dapd

ISTANBUL taz | Betretene Gesichter in der Redaktion von BirGün, der wichtigsten linken Zeitung der Türkei. Die Stimmung ist gedämpft. Am Mittwoch wurden zwei Kollegen verhaftet, am Freitagnachmittag dauerte deren Haftprüfungstermin immer noch an.

Mehr als dreißig Journalisten wurden am Mittwoch bei landesweiten Razzien festgenommen. Von der einzigen kurdischen Tageszeitung in der Türkei, Özgür Gündem, wurde fast die gesamte Redaktion festgenommen, ebenso von der prokurdischen Nachrichtenagentur Dicle.

Auch andere, kleine Agenturen die sich hauptsächlich um die Verbreitung von Nachrichten rund um die kurdische Frage bemühen, sind betroffen. Özgür Gündem erscheint nur noch als Notausgabe, am Donnerstag war die Titelseite geschwärzt.

Die Festnahmen sind Teil einer seit Monaten andauernden Polizei- und Geheimdienstoperation gegen die sogenannte KCK-Organisation. KCK steht für eine überparteiliche kurdische Plattform, die nach eigener Auskunft für mehr kurdische Selbstbestimmung arbeitet, nach Einschätzung von Polizei und Geheimdienst aber nichts anderes als der zivile, verdeckte Arm der PKK ist, mit dem die "Terrororganisation" versuche, in den kurdischen Gebieten "Parallelstrukturen zum Staat aufzubauen".

Aus dieser Sicht sind die kurdischen Medien nichts anderes als Verlautbarungsorgane der PKK und die jetzt verhafteten Journalisten allesamt Unterstützer einer Terrororganisation. "Nach dem derzeit geltenden Antiterrorgesetz", sagt Ibrahim Aydin, Chefredakteur von BirGün, "können sie uns alle verhaften."

Lange Untersuchungshaft die Regel

Auch Anwälte und Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass nahezu jede Meinungsäußerung im Sinne der kurdischen Minderheit als Unterstützung der PKK ausgelegt werden könnte.

Dazu kommt, dass Anklagen nach dem Antiterrorgesetz von einer Sonderstaatsanwaltschaft verfolgt und vor Sondergerichten angeklagt werden. Bevor es überhaupt zur Anklage kommt, ist eine lange, manchmal jahrelange Untersuchungshaft die Regel.

Offiziell werden die jetzt verhafteten Journalisten auch gar nicht als solche geführt, denn sie würden ja nicht als Journalisten angeklagt, sondern als Terrorunterstützer. Deswegen behauptet die Regierung, lediglich acht Journalisten seien in Haft, während der Journalistenverband schon vor den letzten Massenverhaftungen 63 inhaftierte Kollegen zählte.

Just während sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und mit ihm das gesamte politische Establishment des Landes über die "Abschaffung der Meinungsfreiheit" in Frankreich erregen, nachdem das französische Parlament die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern unter Strafe stellte, rutscht die Türkei also fast ganz ans Ende der Liste der Pressefreiheit, die "Reporter ohne Grenzen" erstellt.

Die rigorose Beschneidung der Pressefreiheit hat nach längerem Zögern nun auch endlich für deutliche Kritik aus dem Ausland gesorgt. Der Präsident des Europaparlaments, Jerzy Buzek, und auch die OSZE zeigten sich jetzt alarmiert. "Allein die große Zahl der Festnahmen", so die Beauftragte für Medienfreiheit, Dunja Mijatovic, bedrohe die Pressefreiheit, weil sie zu Selbstzensur führe.

In einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Brief von Ana Palacio, der früheren spanischen Außenministerin, Emma Bonino, der Vizepräsidentin des italienischen Senats, und Howard Dean, dem früheren Chef der US-Demokraten – allesamt Unterstützer eines türkischen EU-Beitritts – , an die türkische Regierung beklagen die drei, dass in der heutigen Türkei die Kontrollfunktion der Medien immer mehr ausgehebelt werde.

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