Primatenversuche an der Bremer Uni: Die Würde des Tieres

Das Urteil des Schweizer Bundesgerichtes gegen Makaken-Versuche liegt nun vor. Manche der Argumente dürften auch nach deutschem Recht für Bremen greifen.

Freie Makaken lieben es, sich im Wasser zu bewegen Bild: dpa

Juristische Sensationen kommen oft mit Ansage, ohne Knalleffekt, aber weitaus weiter vernehmbar als jedes Geräusch. Und mit Auswirkungen, die mitunter Staatsgrenzen hinter sich lassen. So wie die Urteile, die am 7. Oktober in Lausanne ergingen: Seit gestern Mittag liegen die Begründungen öffentlich einsehbar vor und ihnen ist eine intensive und höchst unterschiedliche Bremer Rezeption sicher.

Besorgte, ja betroffene Leser dürften die knapp 50 Seiten helvetischer Juristenprosa an der Spitze der Bremer Universität finden. Dagegen bieten sie keine drei Kilometer weiter westlich einen Anlass zur Freude: An der Hemmstraße residiert der Tierschutzverein, dort hat der Präsident des deutschen Tierschutzbundes, Wolfgang Apel, sein Büro: Das ist nicht nur aus der Sicht des Uni-Neurobiologen Andreas Kreiter die Schaltzentrale im Kampf gegen dessen Primaten-Versuche. Das Schweizer Bundesgericht hat mit den zwei Urteilen nämlich Forschern der ETH Zürich Makaken-Experimente untersagt. Deren Design ist weitgehend identisch mit jenem Kreiters. Und die Argumentation der Richter wenigstens teilweise auf Deutschland übertragbar.

Nicht in allem und wahrscheinlich vor allem da nicht, wo sie am avantgardistischsten wirkt: "Dass das Bundesgericht sich sogar traut, für nichtmenschliche Primaten eine Verbindung zur Menschenwürde herzustellen", so Peter Ettler, "hätten wir nicht zu hoffen gewagt". Der promovierte Jurist hatte in dem Verfahren die Versuchs-Gegner vertreten. Und die einschlägigen Sätze sind deutlich: Zwar dürfe die Würde der Kreatur "nicht mit der Menschenwürde gleichgesetzt werden", heißt es da. Aber es gebe eine Nähe zwischen beiden und diese "zeigt sich besonders bei nichtmenschlichen Primaten". Das ergibt sich den Schweizer Urteilen zufolge aus der auch im deutschen Tierschutzgesetz verankerten "rudimentären Hierarchisierung zwischen Wirbeltieren und Wirbellosen". Die "Würde der Kreatur" aber ist ein Begriff der Schweizer Verfassung. Er steht dort zwar in einem recht spezifischen Zusammenhang: "Gentechnologie im Außerhumanbereich" lautet die Überschrift des Artikels 120. Und dass er trotzdem grundsätzlichen Rang hat war vermutet, aber bislang nie entschieden worden. In Deutschland stellt sich die Frage aber so nicht: Im Grundgesetz steht nur: Der Staat schützt auch die Tiere - und von Würde keine Spur.

Das Bundesgericht ist das höhchste Gericht der Schweiz. Die Urteile vom 7. Oktober 2009 reagieren auf Beschwerden der Arbeitsgruppen von Kevan A.C. Martin und Daniel Kiper sowie von Rodney J. Douglas und Kevan A.C. Martin am Institut für Neuroinformatik an der ETH Zürich. Sie sind unter den Aktenzeichen 2C_421/2008 und 2C_422/2008 auf dem Server www.bger.ch abrufbar.

Ausgelöst hatte das Verfahren die Tierversuchskommission des Kantons Zürich: Sie hatte erfolgreich gegen die vom Veterinäramt im Oktober 2006 erteilte Zulassung der Versuche bei der Gesundheitsdirektion Widerspruch erhoben. Auch das Verwaltungsgericht war den Argumenten der kantonalen Tierversuchskommission gefolgt.

Die Urteile enthalten aber auch, so Ettler, einerseits "wertvolle Hinweise auf die vorzunehmende Güterabwägung", andererseits klärten sie "die Stellung der Tierversuchskommissionen im Bewilligungsverfahren". Hier aber sind die Unterschiede klein: Bis der Tierschutz Verfassungsrang bekam, hatten auch die kantonalen Kommissionen fast nur Absegnungsfunktion - ganz wie die der Länder. Und so wie die Juristen der Zürcher Neurowissenschaftler, baut auch der von der Bremer Uni mit der Sache betraute Bonner Star-Jurist Wolfgang Löwer darauf, dass sich daran wesentlich nichts geändert hätte, dass es keiner über den Erkenntnisgewinn hinausreichende Rechtfertigung bedürfe.

Die Richter von Lausanne hingegen stellen klar, dass bei der Abwägung per se "weder die Forschungsfreiheit noch der Tierschutz Vorrang" hat. Sie folgen Verhaltensforschern und Tierethikern in der Einschätzung, dass "Flüssigkeitsbeschränkungen", "Fixierung des Kopfes" und "das Sitzen im Primatenstuhl" Belastungen sind, die "dem höchsten Schweregrad" entsprechen. Und sie weisen darauf hin, dass, juristisch betrachtet, "der Nutzen des zu erwartenden Erkenntnisgewinns relativ tief ist" - und zwar "aufgrund der äußerst ungewissen klinischen Verwendbarkeit". Das sind Annahmen, die nicht an der Grenze halt machen. Sie sind an kein Rechtssystem gebunden. Und sie passen ganz direkt auch auf Kreiters Bremer Experimente.

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