Privatheit zweiter Ordnung: Vorsicht, Kamera

In der Galerie Mitte zeigen junge Künstlerinnen und Künstler aus Riga und Bremen Fotoarbeiten aus dem Grenzbereich zwischen Privatem und Öffentlichem​.

Zimmer hinter einem blauen Schleier

Gehüllt enthüllende Verschleierung in Gazestoff. (Ausschnitt) Foto: Galerie/Rihards Rusmanis

Was privat und was öffentlich ist, weiß man heute nicht und wusste es eigentlich noch nie so recht zu sagen. Auch nicht, wenn heute ständig überall das Verschwinden des Privaten beklagt wird. Irgendwo in der Vergangenheit imaginiert man eine schöne und reine Form dieser Privatheit. In Reinformen wie diesen zu denken, ist eigentlich immer falsch, und doch sind solche Reinformen notwendig, um überhaupt denken zu können.

In den Arbeiten, die zurzeit in der Ausstellung „Private/Public“ in der Galerie Mitte zu sehen sind, wird mehrheitlich die Vermittlung beider Bereiche verhandelt. Die künstlerische Leiterin der Galerie, Ele Hermel, hatte bereits im letzten Jahr insgesamt zehn junge Künstlerinnen und Künstler aus Bremen und Riga eingeladen, sich mit den Mitteln der Fotografie diesem Komplex zu widmen. Letztes Jahr waren die so entstandenen Arbeiten bereits in Bremens Partnerstadt Riga zu sehen.

Fotografie liegt als Mittel der Beschäftigung mit dieser Grenze, dem Übergang vom Privaten ins Öffentliche, nahe. Blicke transzendieren diese Grenzen. Sie können ambivalent und uneindeutig sein. Die Durchdringung von Grenzen wird mit dem Blick aus der Distanz heraus vollzogen. Hilfsmittel wie der Fotoapparat und erst recht eine per App gesteuerte Kamera wirken als Beschleuniger. So sind solcherlei Grenzüberschreitungen über größere Distanzen paradoxerweise hinweg möglich.

So etwa in Norbert Kluges Serie „Any Time Anywhere“. Hier erscheint der sphärendurchbrechende Blick als omnipotent. Kluges Fotos wurden von verschiedenen Webcams an unterschiedlichen Orten überall auf der Erde aufgenommen. So richtig weiß man nicht, wo man sich befindet, man könnte es aber theoretisch wissen. Dass in Innenstädten und an Bahnhöfen Überwachungskameras angebracht sind, hatte man ja gewusst. Allerdings sind manchmal auch die Fassaden von Wohnhäusern oder gezielte Ausschnitte davon zu sehen. Das erscheint dann weniger plausibel. Der Blick ist starr, aber unbeirrbar, der hier durch die Öffnungen der Fenster in die Wohnungen einfällt. Und so kann man Menschen beim Ein- oder Auskleiden beobachten. Auch Bilder eines Badestrandes hat Kluge ausgewählt. Der Künstler sitzt dabei an seinem Computer Hunderte von Kilometern entfernt von dem Strand, den er beobachtet. Das Prinzip einer Grenzüberschreitung auf Distanz war bereits mit einem Fernrohr zu haben. Die Computertechnik schafft vielleicht nichts grundlegend Neues. Die Beschleunigung alter Prinzipien aber schafft durchaus neue Formen der Wahrnehmung.

Einen völlig anderen Zugang wählt der Rigaer Fotograf Rihards Rusmanis. Auf seinen Bildern zeigt er Gebäude, die in blauen oder grünen Gazestoff gehüllt scheinen. Stoffbahnen ziehen sich wie fast durchsichtige Kleidungsstücke um alte und verwitterte Häuser in der Rigaer Altstadt, wo es offenbar üblich ist, auf diese Weise marode Bauten zu sichern, um zu verhindern, dass herabfallendes Mauerwerk Passanten verletzt oder Autos beschädigt. Doch gleich, was ihr Zweck ist, hier kommt es auf ihren Anblick an. Und da wird es interessant. Denn ein Wohnhaus hat zunächst ja die Funktion, Privatheit zu schaffen innerhalb eines Gemeinwesens. Ein Wall gegen die Öffentlichkeit, im Guten wie im Schlechten, auch Privatheit kann Terror bedeuten. Der Stoff aber lässt auch die Mauern transparent erscheinen.

Besonders beeindruckend ist die Arbeit der Rigaer Künstlerin Viktorija Eksta, die im Grunde performativ ist. Ihre Fotografien haben am ehesten dokumentarischen Charakter. Mit einer Mittelformatkamera hat sie sich selbst bei unterschiedlichen Tätigkeiten und in verschiedenen Aufzügen fotografiert. Das matte Licht und die trüben Farben lassen beinahe an eine Traumsequenz denken. Die Fotografin war allein auf einen verlassenen alten Hof gefahren. Eine alte, inzwischen verstorbene Frau hatte dort gewohnt. In diese verblichene private Welt tauchte Eksta ein ließ sie zu ihrer eigenen werden. In den Kleidern der Verstorbenen bereitet sie sich Essen zu, sortiert Blumen, wechselt eine Glühbirne. Es ist eine Art Privatheit zweiter Ordnung, die wir hier zu sehen bekommen. Oder eine Art Privatheit nach der Privatheit vielleicht.

„Private/Public“ ist noch bis zum 8. November in der Galerie Mitte im Kubo zu sehen

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