Pro & Contra Piratenpartei: Eine politische Eintagsfliege?

Die Piratenpartei sitzt in zwei Landtagen und könnte es auch im Bund schaffen. Ihre Kritiker nennen sie weiter "Ein-Themen-Partei". Beginnt bald der Niedergang? Ein Pro und Contra.

Krawatten tragen sie auch schon. Bild: dpa

Pro

Zwei Gefühle blähen derzeit die Segel der Piraten: Wut und Eitelkeit. Wut auf die etablierten Parteien und deren Repräsentanten, die in ihrer Gesamtheit von einem beständig wachsenden Teil der Bevölkerung als inkompetent, als egoistisch, als fantasielos, als weit entfernt vom Leben der Durchschnittsbürger gesehen werden. Und die Eitelkeit, klüger zu sein als frühere Generationen, also keinesfalls den Fehler wiederholen zu wollen, den die Großeltern im Hinblick auf die Grünen gemacht haben.

Die hatten vor gut 30 Jahren der damals neuen Partei herablassend erklärt, dass und warum sie nicht ernst zu nehmen sei. Um dann über Jahre hinweg jeden Wahlerfolg als Betriebsunfall zu werten, der von den Erwachsenen schnell korrigiert werden würde. Wie wir heute wissen, zeugte das von historischer Bewusstlosigkeit.

ist politische Korrespondentin der taz. Zuvor leitete die studierte Politologin das Parlamentsbüro unserer Zeitung, war taz-Korrespondentin in Nairobi und Redakteurin der Deutschen Welle. Ihr neuestes Buch, "Der unterschätzte Kontinent: Reise zu den Mittelschichten Afrikas", erschien im Herbst vergangenen Jahres bei Eichborn.

ist Redakteur im Inlandsressort der taz; davor hat er in den Ressorts Kultur sowie Meinung und Debatte gearbeitet. Er schreibt seit Jahren über Einwanderungsthemen und Migrationsdebatten, über Außenpolitik und Popkultur. Er hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und zählt eher zu den digital immigrants" - er ist bei Facebook, aber er twittert nicht.

Das soll nicht noch einmal passieren. Derart spießig und engstirnig wie frühere Generationen will niemand sein. Seit Jahrzehnten kann sich deshalb eine neue Partei oder eine Bewegung gar nicht so blöd anstellen, dass sie nicht vom ersten Wahlerfolg an ehrfürchtig als Botschafterin einer vielversprechenden Zukunft betrachtet werden würde. Davon hat zu Beginn des Jahrtausends sogar eine so unsägliche Zusammenrottung wie die des Rechtspopulisten Ronald Schill in Hamburg profitiert.

Nun besteht die Piratenpartei weder aus Rechtspopulisten noch gar aus Idioten. Im Gegenteil: Immer mal wieder veröffentlichen Leute, von denen man noch nie gehört hat, aber gerne mehr hören würde, ausgesprochen kluge Texte. Beispielsweise zu der bedrohlichen Machtkonzentration, die gigantische Informationskonzerne wie Google, Amazon und Apple auf sich vereinigen und mit der sie immer größere Lebensbereiche der Bevölkerung beherrschen. Dass derlei Themen von den Altparteien sträflich vernachlässigt worden sind, ist unbestreitbar. Hinweise darauf, dass sich einzelne Fraktionskollegen doch schon lange mit Netzpolitik befasst hätten und die Bedeutung des Internets erkannt sei, klingen bestenfalls hilflos. Und wenn Peter Altmaier von der CDU die Öffentlichkeit daran teilhaben lässt, wie er das Twittern entdeckt, dann wird es sogar lustig.

Aber ein Zusammenschluss kluger Fachleute mit demselben Spezialinteresse ist eben noch keine Partei. Aus keinem einzelnen Anliegen heraus lässt sich ein übergreifendes Gesellschaftsbild erarbeiten – und sei das Anliegen noch so wichtig. Wer von Außenpolitik, Wirtschaftspolitik und Rechtspolitik nichts versteht, wird weder erfolgreich gegen Militarisierung der Außenpolitik noch für soziale Gerechtigkeit oder wirksamen Umweltschutz kämpfen können. Um einige andere Kernthemen zu nennen. Was für diese gilt, gilt auch für Netzpolitik.

Nun bestreiten die Piraten das ja gar nicht, und sie zeigen sich durchaus lernwillig. Möglicherweise sind sie auch lernfähig. Aber wenn sie erst einmal denen ähneln, von denen sie sich jetzt zu unterscheiden wünschen, dann sind sie für ihre bisherigen Anhänger nicht mehr attraktiv. Vermutlich gewinnen sie in Nordrhein-Westfalen, vielleicht reicht es auch noch für den Einzug in den nächsten Bundestag. Sollten sie dort jedoch konstruktiv mitarbeiten, dann werden sie schnell als Verräter gelten.

Denn die Wählerinnen und Wähler der Piratenpartei sind bislang vor allem Protestwähler. Die Stimmen kommen von Erstwählern, von vormaligen Nichtwählern – und außerdem aus den Lagern aller etablierten Parteien. Glaubt irgendjemand, dass diese bunte Mischung vor allem die Sehnsucht eint, dem Urheberrecht zu Leibe zu rücken? Ach, Unfug. Denen „da oben“ will man es zeigen, wie und womit auch immer. Für diesen Wunsch bieten die Piraten nur so lange ein Ventil, wie sie nicht verdächtigt werden, mit den Herrschenden gemeinsame Sache zu machen.

Das ist alarmierend. Es ist eine Binsenweisheit, dass nicht etwa Oppositionsparteien gewählt, sondern Regierungen abgewählt werden. Jeder Regierungswechsel ist immer auch eine Protestwahl. Wenn aber der Punkt erreicht ist, an dem das Establishment als Ganzes von einem nennenswerten Teil der Bevölkerung nur noch verachtet wird, dann bedroht jede Anpassung an eingespielte Regeln eine neue Partei in ihrer Existenz, und die Schlange beißt sich in den Schwanz. Anders ausgedrückt: Gerade der Erfolg der Piraten zeigt, wie schwer es eine neue Partei – jede neue Partei – langfristig haben wird.

(Bettina Gaus)

Contra

Wer nach ihrem Einzug ins zweite Landesparlament noch glaubt, die Piraten seien eine Eintagsfliege, der verkennt die Grundlage ihres Erfolgs. Und wer weiter meint, das sei eine Einthemenpartei, die für „irgendwas mit Internet“ stehe, zeigt nur, dass er sich bisher nicht ernsthaft mit den Piraten beschäftigt hat. Dafür ist es jetzt Zeit, bevor sie auch in Kiel und Düsseldorf ins Parlament einziehen – und nächstes Jahr in den Bundestag.

Der Erfolg der Piraten beruht darauf, dass sie radikale, im besten Sinne sozialliberale Forderungen mit neuen Politikformen – direkter Demokratie und Onlinekommunikation – verbinden. Das mag die zeitgemäße Form sein, die sie für viele jüngere Wähler attraktiv macht. Aber ohne das Bündel an politischen Ideen, mit dem die Piraten neue Farbe ins grau gewordene Parteienspektrum bringen, ist ihr Erfolg nicht zu erklären.

Allen Zweiflern zum Trotz, die den Piraten eine diffuse Programmatik unterstellen, vertreten sie bei einer ganze Reihe von Themen klare Positionen. In Berlin und im Saarland waren sie sogar die einzige Partei, die auf ihren cleveren Plakaten konkrete Ziele formulierte. Während die anderen Köpfe plakatierten, setzten die Piraten ganz altmodisch auf Inhalte – und zeigten damit, dass sie ihre Wähler ernst nehmen, statt sie als Zielgruppe für oberflächliche Werbebotschaften zu missbrauchen. Genau dafür wurden sie belohnt.

Zu den Forderungen der Piraten gehört nicht nur ihr zentrales Anliegen, „Netze in Nutzerhand“, sondern auch der Ruf nach mehr direkter Demokratie, mehr Partizipationsmöglichkeiten, mehr Transparenz. Hinzu kommt der Wunsch nach einer anderen Bildungspolitik, der vollen rechtlichen Gleichstellung von sexuellen Minderheiten und Einwanderern sowie der Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre. Sie spiegeln damit das urbane Lebensgefühl eines Milieus wider, das sich bisher bei Grünen oder Linkspartei zu Hause fühlte. Aber die Piraten gehen in vielen Punkten weiter, als diese sich das heute trauen würden – etwa mit ihren Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, der Legalisierung weicher Drogen, einer strikteren Trennung von Staat und Religion sowie kostenlosem Nahverkehr.

Weil die Piraten keine Angst haben, mögliche Mehrheiten zu verprellen, erlauben sie sich den Luxus, Maximalforderungen zu erheben – und bringen damit ein utopisches Element in die Politik zurück, das bei den anderen Parteien längst verloren gegangen ist. Ihr Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr: Wer gesehen hat, wie das Internet die Welt zusammengerückt hat, wie Revolutionen durch soziale Netzwerke ausgelöst und Regime zum Einsturz gebracht werden, der lässt sich eben nicht mehr jeden lauwarmen Kompromiss als „alternativlos“ verkaufen.

Es ist lustig, zu sehen, wie die etablierten Parteien – Grüne und Linke inklusive – darauf mit den gleichen Reflexen und Vorbehalten reagieren, wie einst auf Grüne und Linke reagiert wurde: Das ist doch bloß eine Protestpartei! Diesen Kindergarten kann man nicht ernst nehmen! Die wollen doch bloß spielen!

Dieses Unverständnis erinnert an die Reaktionen der Live-Rock’-n’-Roller und Punks, als in den 1990ern Techno aufkam: Ist das überhaupt Musik? Das hört sich doch alles gleich an! Wo bleibt da die Rebellion? Trotzdem haben elektronische Klänge die Musikwelt revolutioniert – genauso wie der Erfolg der Piraten bereits jetzt die etablierte Politik verändert. Das erkennt man nicht nur daran, dass immer mehr Politiker twittern und auch Angela Merkel auf Video-Podcasts und „Bürgerdialog“ setzt, sondern auch an dem neuen Schwung in den Debatten über Datenschutz und Copyright.

Dass ausgerechnet Grüne die Piraten heute auf ein bloßes Abfallprodukt neuer Kommunikationstechnologien reduzieren wollen, zeugt von Vergesslichkeit. Schließlich hatte auch die Alternativbewegung, aus der die Grünen hervorgingen, ihr Aufblühen in den 1980er Jahren nicht zuletzt dem technischen Fortschritt zu verdanken: Fotokopierer machten es möglich, Flugblätter und Szenehefte leicht und billig zu vervielfältigen, durch freie Radios und eigene Zeitungen wie die taz entstand eine „Gegenöffentlichkeit“. Nicht anders artikuliert sich die „Schwarmintelligenz“, der die Piraten heute eine Stimme geben, in neuen Kanälen und sozialen Netzwerken. Bislang formulieren die Piraten nicht viel mehr als ein Versprechen. Aber: Sie sind gekommen, um zu bleiben.

(Daniel Bax)

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