Pro & Contra zum RTL-Dschungelcamp: Im Herzen der Finsternis

Verdummt und verblödet, wer sich die dumme RTL-Sendung "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" anschaut? Oder gibt's da gar echte Gefühle? Zwei Meinungen.

Hinsehen oder lieber weggucken? Bild: dpa

WEGGUCKEN!

meint Arno Frank:

Einem Franz-Josef Wagner kann man in mancher Hinsicht so schnell nichts vormachen. Der irrlichternde Bild-Kolumnist erkennt eine perverse soziale Versuchsanordnung wie die des RTL-"Dschungelcamps" sofort als das, was sie ist: exotische Strafkolonie in der Tradition des britischen Empire und zugleich Vollzugsanstalt im Sinne Michel Foucaults. Warum sonst hätte er den Zeit-Kulturchef Jens Jessen unlängst am liebsten ab nach Australien geschickt, wo er publikumswirksam überwacht und gestraft werden könnte für seine freie Meinungsäußerung?

In England, wo das Format von "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" ersonnen wurde, gibt es für derlei Fernsehformate die passende Genre-Bezeichnung "car crash tv". Weil wir, wie bei einem schrecklichen Autounfall, eigentlich den Notarzt seinen Job machen lassen sollten - aber doch nicht umhin können, langsamer zu fahren und das Bestürzende zu beglotzen. Genau darauf nämlich reduzierte noch jede "Dschungelcamp"-Staffel seine Zuschauer, auf den inneren Affen, der nicht anders kann und genau diesen Kontrollverlust als lustvollen Kitzel empfindet. Irgendwann einmal, als wir alle gerade von den Bäumen gestiegen waren und uns allmählich aufgerichtet hatten im Gräsermeer der ostafrikanischen Steppe, da muss auf ganz ähnliche Weise das Lachen in die Welt gekommen sein, als geniale Grimasse aus Verzweiflung und Erleichterung. Wahrscheinlich ging es damals schon um irgendwelche abgetrennten Hoden, unheimliche Insekten und die Dümmsten im ganzen Rudel. Abstumpfung durch Anschauung, das macht fit fürs Leben. RTL zeigt uns, dass sich daran bis heute nichts geändert hat.

Mag sein, dass Voyeurismus eine irgendwie wertvolle Kulturtechnik ist. Beherrschen muss man sie nicht mehr.

HINSEHEN!

meint Lana Stille

Schön ist es nicht, Barbara Herzsprung beim Zerkauen eines Känguru-Hodens zuzuschauen, während ihr der Saft am Kinn herunterläuft. Aber das Dschungelcamp schaut man auch nicht aus ästhetischen Erwägungen. Übrigens schaut man es auch nicht wegen der Känguru-Hoden: Alles Viehzeug im australischen Busch, tot oder lebendig, ist nur Requisite, so wie das ganze Camp nur eine Bühne ist. Gegeben wird jeden Abend: ganz großes Drama.

Es geht um Menschen, um Gefühle und Konflikte. Inszeniert als Show zwar, aber echter als jede Seifenoper. Eike Immel etwa, früher Nationaltorwart, heute arbeitslos und pleite, ging ins Camp, um sich eine Hüftoperation leisten zu können. Eine Tragödie, die das Leben schreibt.

Applaus gibt es dafür von den Zuschauern, die massenhaft einschalten. Gebuht wird in den Medien. C- bis D-Prominente, die für ein bisschen Popularität Kakerlaken fressen, das ist Trash-TV für den tumben Pöbel. Die Kandidaten: Gescheiterte, die ihre Würde für ein wenig Geld verschachern. Die Zuschauer: ein geifernder Mob, der sich am Elend dieser Verzweifelten delektiert.

Dabei ist es natürlich albern, den Zuschauern ihren Voyeurismus vorzuwerfen. Zuschauer sind zum Zuschauen da, und auch die Dschungelcamper wollen kein Stück vor leeren Rängen spielen. Wenn sich abends um 22.15 Uhr der Vorhang öffnet, will der Interessierte Gefühle, Konflikte, Charaktere sehen, kurzum: Unterhaltung. Und die bekommt er hier, selbstironisch inszeniert und korrekt etikettiert sowieso. Also warum ist es eigentlich gesellschaftsfähiger, am Schicksal eines Eisbärbabys Anteil zu nehmen als an dem von Bata Illic? Dschungelcamp-Schauen ist wie das Verzehren von Tierhoden: Geschmackssache. Aber wirklich schaden kann es auch nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.