Pro Reli II: "Diesem Volksbegehren müssen wir widersprechen"

Der pensionierte Pfarrer Hans Simon lehnt das Volksbegehren "Pro Reli" ab. Seiner Meinung nach ist das Pflichtfach Ethik in einer multikulturellen Stadt wichtig, damit die Jugendlichen miteinander ins Gespräch kommen. Die Kritik kommt bei manchen Kirchenvertretern gar nicht gut an.

taz: Herr Simon, Sie rufen zusammen mit anderen Mitgliedern der evangelischen und katholischen Kirche dazu auf, das Volksbegehren "Pro Reli" nicht zu unterstützen. Warum?

Hans Simon: Im Religionsunterricht sind die jeweiligen konfessionellen Gruppen unter sich. Ich bin evangelischer Theologe und weiß, dass das auch seine Richtigkeit hat. Ein guter Religionsunterricht muss authentisch sein, das heißt, er muss von einem bekennenden Religionslehrer erteilt werden. Nun ist es aber so, dass in Berlin 42,7 Prozent der 6- bis 14-Jährigen nach Angaben des Statistischen Landesamts einen Migrationshintergrund haben. Das heißt: Wir leben in einer multikulturell geprägten Stadt. Und wir müssen uns davor hüten, dass Parallelgesellschaften entstehen.

Das ist in manchen Bezirken längst geschehen.

Gerade deshalb sollten wir dafür sorgen, dass Schülerinnen und Schüler verschiedener kultureller Herkunft miteinander ins Gespräch kommen. Der gesetzliche Unterricht Ethik will dem Rechnung tragen. Es klingt etwas pathetisch, aber es geht dabei tatsächlich um Erziehung zu einer Dialogkultur. Anders ist Integration nicht denkbar.

Lernen die Jugendlichen nicht in allen Fächern, sich auszutauschen?

Aber nur der Ethikunterricht ist ausdrücklich dafür da, kulturelle Unterschiede zu thematisieren. Wir sind deshalb nicht gegen den freiwilligen Religionsunterricht. Das wäre ein großes Missverständnis. Natürlich werden auch da andere Religionen behandelt oder mal eine Moschee oder eine Synagoge besucht. Aber wenn konfessionelle Gruppen unter sich bleiben, besteht immer die Gefahr, dass Vorurteile gegen die jeweils anderen nicht ausgeräumt, sondern eher verfestigt werden. Dem muss man etwas entgegensetzen. Ich verstehe auch gar nicht, was man gegen das Fach Ethik eigentlich haben kann.

Die Kirchen bemängeln, dass sich nach der Einführung von Ethik im Jahr 2006 viele Schüler in den betroffenen Jahrgängen vom Religionsunterricht abgemeldet haben.

Das stimmt. Trotzdem kann ich dem Argument nicht folgen. Wenn es Eltern und Schülern wirklich wichtig ist, mehr über Glauben zu erfahren, dann können sie sich doch nach wie vor für den freiwilligen Religionsunterricht entscheiden. Wem etwas daran liegt, der geht dort hin, auch wenn der Unterricht zusätzlich ist. Wenn sich aber viele Jugendliche abmelden, dann ist das offenbar auch eine Frage der Qualität des Unterrichts.

Sie als Theologe haben keine Sorge, dass die Kirchen die Schüler nicht mehr erreichen?

In der Grundschule besuchen nach wie vor viele Kinder den - übrigens zu 90 Prozent vom Senat finanzierten - Religionsunterricht. Und es gibt ja auch noch den Konfirmandenunterricht. Im Gegenteil: Wer das gemeinsame Pflichtfach Ethik abschaffen will, der vergibt eine riesengroße Chance. In diesem Unterricht können auch Schüler, die bisher nichts mit Religion zu tun hatten, aufhorchen und vielleicht die Gottesfrage stellen: Wo komme ich her? Wozu bin ich da? Wo gehe ich hin?

Um Ihre Position deutlich zu machen, haben Sie zusammen mit anderen eine Gruppe gegründet, die sich gegen "Pro Reli" ausspricht.

Gruppe wäre zu viel gesagt. Einige Freunde und ich, wir waren der Meinung, dass wir gegen dieses Volksbegehren, für das im Namen der Kirchen geworben wird, Einspruch erheben müssen. Wir haben uns also zusammengesetzt und an alle Berliner Gemeinden einen Brief geschickt mit der Bitte, ihre Unterstützung für das Begehren gründlich zu überdenken und ihre Mitglieder fair zu informieren.

In den Kirchen haben Sie sich damit sicher nicht beliebt gemacht.

Das stimmt. Wir werden ständig von irgendwoher befeuert. Das belastet mich schon. Leute rufen an oder schreiben Mails. Da ist auch harte Kritik dabei. Aber da muss man eben miteinander reden, sich austauschen. Es sind zum Glück auch viele positive Reaktionen gekommen.

Zum Beispiel?

Ein Pfarrer schrieb mir: Gott sei Dank, dass sich auch mal innerhalb der Kirche Leute melden und "Pro Reli" in Frage stellen.

Planen Sie demnächst weitere Aktionen?

Nein. Uns reicht es fürs Erste.INTERVIEW: ANTJE LANG-LENDORFF

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