Pro und Contra Google Street View: Ein Land im Pixelrausch

Kein anderes Land spaltet der Internet-Geodienst Google Street View so wie Deutschland. Ist die öffentliche Empörung überzogen oder gerechtfertigt? Ein Pro und Contra.

Street View Auto in Kanada. Bild: dpa

PRO

Was für ein Bohei! Während es kaum jemanden anhebt, dass in Deutschland unser Leben, gefilmt von tausenden Videokameras (allein 3.000 an den Bahnhöfen), live im Überwachungsprogramm läuft, regen sich nun alle über das Standbild auf: Google Street View.

Da stehen sie nun unbeweglich im Internet, unsere Hütten und Paläste. Vor allem die Letzteren sind wohl ein Grund dafür, dass gegen Street View derart Sturm gelaufen wird. Politiker wie Thomas Oppermann, führender Innenexperte der Bundes-SPD, oder Monika Grütters, Vizechefin der Berliner CDU, die keinerlei Problem damit hatten, im Bundestag für eine sechsmonatige Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten zu stimmen oder die Online-Durchsuchung gutzufinden, blasen nun zum Sturmlauf. Und die Eigenheimbesitzer von Initiaven wie "Unser Lotharviertel" aus Düsseldorf tapern hinterher.

Es ist ein Klischee, dass Politiker per se zur Oberschicht gehören, und auch Hausbesitzer sind nicht per se reich. Aber es ist trotzdem auffällig, dass sich kein Schwein für Überwachung interessiert, wenn sie vermeintlich nur Kinderschänder, bärtige Terroristen und die Säuferclique vorm Aldi, Außenseiter also, trifft. Kaum fühlt sich die Mittelschicht aufwärts beobachtet, gibt es einen Volksaufstand.

Überwachung ist auch eine Herrschafts- und Machtfrage, die in der Regel von oben nach unten beantwortet wird, das ließ sich schon an der Selbstverständlichkeit ablesen, mit der das Management von Bahn und Lidl ihre Angestellten ausspionieren ließ.

Nun werden gutgläubige Menschen einwenden: Aber Google Street View macht den Deutschen endlich deutlich, was Überwachung anrichten kann, und dann werden sie künftig auch kritischer damit umgehen.

Es ist auch nichts dagegen zu sagen, wenn jemand sein Haus verpixeln lässt, und vielleicht sensibilisiert das tatsächlich ein paar Menschen für Überwachungsthemen.

Allein, mehr wird nicht passieren. Wirkungsmächtiger Protest geht in Deutschland von politisch relevanten Gruppen aus - ob nun bei Hartz IV oder Spionage. Die Anliegen, die vermeintlich nur Sache der Unterprivilegierten sind, werden auch weiterhin untergehen. DANIEL SCHULZ

CONTRA

Ich nutze Geodienste mit Begeisterung, schon vor Jahren habe ich mir über das Nasa-Programm World Wind die Niagarafälle angeschaut oder bin mit der italienischen Seite paginegialle.it virtuell durch die Straßen von Florenz geschlendert. Und trotzdem habe ich jetzt bei Google Street View online mein Veto eingelegt. Mein Wohnhaus soll nicht gezeigt werden. Ein Widerspruch? Meinetwegen.

Mein Nein zu Google Street View richtet sich nicht gegen den Dienst allein, sondern spiegelt ein allgemeines Unbehagen gegenüber Google wider. Der Weltkonzern ist ursprünglich mit dem Slogan "Don't be evil" angetreten. Mir kommt das inzwischen wie Orwell'scher Neusprech vor. Google war in den vergangenen Monaten mehrere Male ziemlich evil.

So wurde bekannt, dass die Google-Street-View-Autos nicht nur Straßen abfotografierten, sondern auch private Daten aus WLAN-Netzen mitschnitten. Ein Versehen, sagt Google. Ich glaube denen kein Wort. Denn dass dem Unternehmen der Datenschutz egal ist, hat es auch bei anderen Gelegenheiten bewiesen. Als es sein soziales Netzwerk Buzz startete, erstellte es automatisch aus dem Mail-Account eine Freundesliste. Jeder, der es wissen wollte, konnte also erfahren, wer mit wem in regem Mailkontakt steht. Auch das wurde erst nach heftigem Protest rückgängig gemacht - genau wie Google in Deutschland erst auf Druck von Datenschützern das Recht einräumte, noch vor dem Start des Street-View-Dienstes das Zeigen des eigenen Häuschens zu verhindern.

Wie weit sich Google von seinem ursprünglichen Leitspruch verabschiedet hat, zeigt ein denkwürdiger Satz des Unternehmenschefs Eric Schmidt: "Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht ohnehin nicht tun." Eine Privatsphäre gibt es in einem solchen Weltbild nicht mehr.

Noch unheimlicher wird der Satz, wenn man bedenkt, auf wie vielen Feldern Google inzwischen mitmischt: Suchmaschine, Videoplattform, Kartendienst, Onlinewerbung, Smartphones, Übersetzungsprogramm, elektronische Gesundheitsakte, Fotodienst, Browser - all das ist Google. WOLF SCHMIDT

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.

Jahrgang 1979. War bis 2013 in der taz zuständig für die Themen Rechtsextremismus, Terrorismus, Sicherheit und Datenschutz. Wechsel dann ins Investigativressort der Wochenzeitung „Die Zeit“.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.