Pro und Contra Paragraf 219a: Ist die Koalition das wert?

Das „Werben“ für Schwangerschaftsabbrüche ist verboten. Für den Koalitionsfrieden mit der Union will die SPD daran nichts ändern.

Eine Frau hat zwei Klebestreifen mit der Aufstrich „219a“ auf ihren Mund geklebt

„§ 219a muss weg“: Wenigstens die Demo-Teilnehmer*innen sind sich einig Foto: imago/IPON

Laut Paragraf 219a ist das „Werben“ für Schwangerschaftsabbrüche verboten. Die SPD wollte das ändern. Jetzt aber lässt sie doch nicht über ihren Antrag zu Paragraf 219 a abstimmen – um den Koalitionsfrieden zu wahren. Ist es das wert?

Ja

Natürlich wäre es schön, wenn die SPD einfach schnell zusammen mit FDP, Grünen und Linken den frauenfeindlichen Paragrafen 219a streichen könnte. Es wäre schön, wenn ÄrztInnen nicht mehr bestraft würden, weil sie (straffreie) Abtreibungen öffentlich anbieten.

Trotzdem ist es gut, dass die SPD jetzt darauf verzichtet, diese Gesetzesänderung gegen den Willen ihrer Koalitionspartnerinnen CDU und CSU im Bundestag durchzudrücken. Der Schaden wäre zu groß. Ein Pakt der SPD mit der Opposition zur Abschaffung eines Paragrafen könnte zur Abschaffung der Regierung führen, noch bevor sie richtig anfängt.

Gerade weil die Kampagne „§ 219 a muss weg“ so erfolgreich läuft und viel Resonanz findet, ist auch die Gegenseite auf den Bäumen. Die verbliebenen konservativen Christen in- und außerhalb der Union sind so aufgeregt, dass sogar Angela Merkel vielleicht tatsächlich lieber Neuwahlen riskieren würde, als einen Koalitionsbruch der SPD bei diesem Thema hinzunehmen. Das kann man stur oder verrückt nennen, aber auch versuchen zu verstehen. Vielleicht ist es sogar gut für die Gesellschaft. Eine Union, die noch mehr linksliberale Wünsche klaglos erfüllen würde als bisher unter Merkel, ließe rechts noch mehr Platz für wirklich gefährliche Gestalten.

Und es wäre extrem optimistisch, zu erwarten, dass bei Neuwahlen eine Mehrheit herauskäme, die liberaler tickt. Zumal die SPD bei einer schnellen Scheidung die schlechteren Karten hätte. Denn Koalitionsvertrag ist Koalitionsvertrag. Wer ihn bricht, ist am Zerwürfnis schuld. Anders kann eine Koalition schlicht nicht funktionieren. Die SPD will ja auch nicht, dass die Union den Familiennachzug für Flüchtlinge zusammen mit AfD und FDP komplett aussetzt.

Der Fehler der SPD ist deshalb nicht ihr jetziger Rückzieher. Der Fehler war, dass sie noch vor einer Woche einen anderen Eindruck erweckt und die Abschaffung des Paragrafen 219a in Aussicht gestellt hat. Mag sein, dass zwischendurch auch die Union ein Okay signalisiert hatte. Aber das ist Schnee von gestern. Seit Mittwoch ist die neue Regierung im Amt. Und die muss sich darauf verlassen können, dass niemand Alleingänge macht.

Statt auf die SPD zu schimpfen – was immer leicht ist –, sollten die GegnerInnen des Paragrafen 219a ihre schwungvolle Kampagne weiterführen. Dass solche Kampagnen keineswegs chancenlos sind, wurde bei der Ehe für alle bewiesen. Ist der Druck groß genug, gibt Merkel nach. Oder die Mehrheiten ändern sich. Und hoffentlich auch Koalitionen.

Lukas Wallraff

Nein

Was die SPD da veranstaltet, ist, gelinde gesagt: Mist. Es ist Mist für die Ärzt*innen, die den Schikanen selbsternannter Lebensschützer*innen ausgesetzt sind. Es ist Mist für ungewollt schwangere Frauen, die auf der Suche nach Information sind. Und es ist Mist für die SPD, falls diese noch mal irgendwem erzählen will, man könne sich auf sie verlassen.

Die Mehrheit für eine Streichung des Paragrafen 219a war zum Greifen nah. SPD, Grüne und Linke wollen ihn abschaffen, auch die FDP war schon beinahe mit an Bord. Zu diesem Sinneswandel hatten wochenlange Gespräche zwischen den Fraktionen geführt, in denen nicht zuletzt die SPD auf die Liberalen eingeredet hatte. Und kaum ist es so weit, erklären die Sozialdemokrat*innen: Hups, also wir sind dann doch raus. Ein Rückzieher sei das keineswegs, betont man nun fleißig, immerhin werde die schwarz-rote Regierung einen eigenen Vorschlag erarbeiten.

Was dabei aber herauskommen soll, ist fraglich. Es ist wohl nicht zu pessimistisch geschätzt, wenn man sagt: nichts. Man habe immer noch die „feste Absicht, Rechtssicherheit zu schaffen“, erklärt SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles. Aber wie soll das möglich sein mit einem Koalitionspartner, der schon mehrfach betont hat, die jetzige Situation sei genau richtig, so wie sie ist? Die Union will nicht nur keine Werbung für Abtreibungen – was übrigens niemand will; sie will auch partout an der Strafe für Ärzt*innen festhalten, die darüber informieren, dass sie diese durchführen.

Seit November hat die SPD immer wieder beteuert, wie wichtig eine Änderung der aktuellen Gesetzeslage sei. Wie sehr man für die Rechte der Frauen einstehe – und die der Ärzt*innen. Die Sozialdemokrat*innen hatten mit der Union abgemacht, ihren Gesetzentwurf doch noch einzubringen.

Die Union aber verhält sich plötzlich frei nach dem Motto: Gestern haben wir es euch erlaubt, liebe SPD, aber jetzt wollen wir das lieber doch nicht mehr. Klar, denn der Fraktion von CDU und CSU steigen die eigenen Abgeordneten aufs Dach.

Das Skandalöse ist aber, dass die SPD sich den Stimmungsschwankungen ihrer Koalitionspartner unterordnet – und damit pünktlich zur Wiederwahl der Kanzlerin ziemlich deutlich zeigt, wie wenig Gewicht sie in der neuen Koalition haben wird.

Wenn die SPD sich nicht mal bei bereits getroffenen Abmachungen mit der Union durchsetzen kann – wer soll ihr dann glauben, dass mit ihr die nächsten Jahre irgendwelche fortschrittliche Politik zu machen ist? Eine solche Koalition ist, wie gesagt: Mist.

Dinah Riese

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seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens

leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.

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