Pro und Contra: Grüne wählen, lohnt sich das?

Die Grünen haben kaum eine Chance, nach der nächsten Wahl zu regieren. Sollte man sie trotzdem wählen?

Wählen oder kicken? Grünes Topspitzenteam Künast und Trittin. Bild: ap

Pro

Man verschwendet seine Zweitstimme nicht, wenn man sie den Grünen gibt, auch wenn sie keine Chance haben, in die Regierung zu kommen. Denn eine weitere Legislaturperiode in der Opposition - wo sich voraussichtlich auch die SPD wiederfinden wird - würde für die kleine Umweltpartei nicht nur schlecht sein.

Die Zukunft einer Politik links von der Mitte liegt in einer rot-rot-grünen Koalition, und diese ist ein langfristiges Projekt. Sie allein bietet die Möglichkeit, an den Errungenschaften der rot-grünen Koalition anzuknüpfen. Wie in dem alten, so werden die Grünen auch in dem neuen Bündnis die treibende Kraft sein. Das größte Hindernis ist dabei nicht die SPD, sondern Die Linke. Deren Positionen zu Auslandseinsätzen und der EU machen sie regierungsunfähig und illustrieren, dass Die Linke momentan kein Interesse hat, an die Macht zu kommen. In der Opposition werden sich die Grünen also mit den beiden roten Parteien inhaltlich und taktisch auseinandersetzen müssen, um eine Basis für eine neue Perspektive links von der Mitte aufzubauen.

Mit Barack Obama und der Finanzkrise hat eine innovative Reformpolitik völlig neue Möglichkeiten. Deutschland allerdings hat sich vom Pionier zum Nachzügler gewandelt. In dieser Situation sind die Grünen die einzige Partei, die sich nicht davor fürchtet, erfinderisch über Reformen nachzudenken (New Green Deal). Keine andere Partei steht der Obama-Regierung so nah.

Außerdem ist es wichtig, wenn die FDP in die Regierung kommt, eine Partei mit starken bürgerlichen und liberalen Grundlagen in der Opposition zu haben. Übrigens: Es versteht sich von selbst, bei den Europawahlen die Grünen als genuin europäische Partei zu wählen.

Auch wenn andere Parteien mittlerweile grüne Positionen diskutieren, wenn es hart auf hart kommt, sind es nur die Grünen, denen soziale und ökologische Nachhaltigkeit in die DNA geschrieben sind.

PAUL HOCKENOS, amerikanischer Autor und Journalist

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Contra

Grüne Stammwähler sind rar, und selbst sie überlegen, ob sie in diesem Jahr zur Wahl gehen. Zwei Gründe sprechen dagegen: die Verwechselbarkeit grüner Politik und die schwache Aussicht auf eine Koalition, in der eine Politik der Nachhaltigkeit eine beachtliche Rolle spielt. Auch als Zünglein an der Waage können die Grünen keiner Konstellation ihren Stempel aufdrücken.

Leider sind die Grünen angesichts der scharfen Umwelt- und Klimakrise nicht zum ökologischen Kerngeschäft zurückgekehrt, das die Endlichkeit des Wachstums in Rechnung stellt und unumgängliche Verzichte (auf Wirtschaftswachstum, Wohlstand, Mobilität, etc.) als Gewinn an Freiheit und Lebensqualität ausweist.

Leider haben sie sich im Lauf ihrer kurzen Geschichte den Schneid abkaufen lassen und in Gefangenschaft des rot-grünen Projekts begeben, das Ökologie und Ökonomie versöhnen sollte. Solche pflaumenweichen Formeln verkennen die historische Krise und den Wandel der industriellen Zivilisation. Eine grüne Alternative müsste jetzt die große Koalition des "Weiter so!" herausfordern, die das für den Klimaschutz notwendige Geld für Abwrackprämien und dergleichen verschleudert.

Sie müsste Klartext reden, Transformationswege in eine bessere Zukunft weisen und die Agenten des Wandels unterstützen. Da auch keine andere Partei den Mut dazu hat, bleibt nach einer durchaus Erfolg versprechenden Phase realpolitischer Parlamentarisierung wohl nur eine neue außerparlamentarische Mobilisierung. Es geht dabei nicht um eine Neuauflage neuer sozialer Bewegungen der 1970er-Jahre, aus denen die Antipartei hervorging, sondern um die intelligente Vertretung nicht marginaler Milieus, die neue Konsum- und Lebensstile praktizieren. Sie sind politisch heimatlos und wählen Grün höchstens noch als kleineres Übel.

CLAUS LEGGEWIE, Politikwissenschaftler

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