Produktives Schlafen: Beim Träumen geht noch was

Bewusst zu träumen ist erlernbar. Im tibetischen Buddhismus ist das geübte Praxis. Aber wie funktioniert Klarträumen?

An einem Zaun hängt ein großes Band mit der Aufschrift "Träumst du?"

Wovon wir träumen, liegt vielleicht in unserer Macht. Die Autorin macht einen Selbstversuch Foto: dpa

Mit Füßen in Wollsocken stehe ich auf dem erdigen Boden und puste alles aus mir hinaus. Die Vergangenheit. Den Tag. Die Tatsache, dass ich in einem Menschenkreis im Kölner Stadtwald stehe und mit ihnen die Tore zwischen Traum und Realität beschwöre, sich zu öffnen. Eigentlich bin ich zum Klartraumworkshop gekommen, um diese Art des Träumens zu lernen. Gerade bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich bereit dafür bin. Könnte das alles bisher Vertraute umwerfen? Ist es nicht schön, dass Träumen eines der wenigen Dinge ist, die ich nicht beeinflussen kann?

Neben mir höre ich genüssliches Stöhnen. Es scheint, die anderen wissen, was sie erwartet. Sie haben sich vorher ausgiebig gedehnt. Und etwas für den Menschenkreis mitgebracht. In dessen Mitte hat jemand Sand und Rosenblätter gestreut. Darauf liegt nun ein Holzkreis mit Ornamenten, durchlässig wie ein Traumfänger, Glaskugeln drumherum. Zwei Kurs­teil­neh­me­r:in­nen legen Äpfel dazu. Mandira, die Trainerin, die auch Maria Spangler heißt, entzündet Kerzen.

Sie greift nach einer Trommel. Wir gehen zu unseren im Kreis aufgerollten Yogamatten zurück. Ich lege mich hin, wickele meine Fleece­decke um die Beine. Es ist doch frisch geworden, die Sonne linst leicht durch die Baumkronen. Ich schließe die Augen und höre, wie die Autos über die nahe Straße rollen. Dann beginnt Mandira die Trommel zu schlagen. Sie soll uns helfen, uns mit unseren Träumen zu verbinden und sie in diese Rea­lität mitzubringen.

Ich liege da, sehe Schwarz vor meinen Augen. Die Trommelschläge beschleunigen sich. Traum, wo bist du nur?, denke ich noch, dann sagt Mandira schon: „Und jetzt kehren wir langsam zurück und malen unser Traumbild.“ Der Reihe nach zeigen wir unsere Traumbilder. Eine Spirale. Ein Wolf. Ein Löwenkopf. Ein Fluss. Ich habe einen Rollschuh auf das leere Papier gemalt. Er tauchte plötzlich im Schwarz auf. Nicht so ein Flitzer, der sofort durchstartet. Einer mit Bremsklotz. Denn genau das ist mein Gefühl: nur nicht so schnell.

Jeder zweite Mensch soll klargeträumt haben

Aber dann beginnt Mandira vom Klarträumen zu erzählen, auch luzides Träumen genannt, in dem sich die träumende Person bewusst ist, dass sie träumt. Davon, wie sie im Traum stehen bleibt und sich umschaut. Wie sie bewusst in den Bauch atmet und sich dadurch entspannt. Wie sie Sachen berührt. Wie sie ihre Faust zum Himmel reckt und losfliegt.

Laut einer Studie von 2016 hat jeder zweite Mensch schon einmal klargeträumt, vor allem als Kind. Aber nur jeder fünfte Mensch wird regelmäßig luzid, nur ganz wenige können dabei ihren Traum beeinflussen.

Schon vor 2.300 Jahren hat Aristoteles die Fähigkeit des Klarträumens beschrieben. Dass luzides Träumen wirklich funktioniert, haben Ende der 1970er Jahre der Brite Keith Hearne und der Amerikaner Stephen LaBerge unabhängig voneinander nachgewiesen: Ihre Versuchspersonen sollten starke Augenbewegungen von links nach rechts machen, sobald sie im Traum luzid geworden sind. Denn guckt die träumende Person nach rechts, folgen auch ihre Augäpfel in die Richtung. Das verabredete Signal konnte gemessen werden und war deutlich von den schnellen Augenbewegungen der REM-Schlafphase zu unterscheiden.

Mandira hat auf einer Reise in Indien vor vier Jahren einen Guru kennengelernt, der dann ihr Guru wurde und ihr ihren Namen gab. Er war immer entspannt, aber sie sah ihn nie meditieren, wie die anderen im Aschram. „Das mache ich, während ich träume“, soll er zu ihr gesagt haben. Seitdem lehrt sie nicht nur Yoga, sondern auch luzides Träumen und Yoga Nidra, das Traum­yo­ga, das sie von ihm gelernt hat.

Schlaf als letzter Ort des Nichtstuns

2015 ließen Schlafwissenschaftler von der Universität Bern Versuchspersonen im Klartraum eine bestimmte Tastenabfolge auf einer Tastatur trainieren. Sie konnten sich genauso verbessern wie Versuchspersonen, die die Abfolge im Wachzustand übten. In einer anderen Studie fanden sie heraus, dass sich Herzschlag und Atem verändern, wenn Klar­träu­me­r:innen im Traum Kniebeugen machen. Kein Zufall, dass die Klartraumforschung in den letzten Jahren so boomt: Der Schlaf als letzter Ort des Nichtstuns kann dadurch mehr und mehr nutzbar gemacht werden. Wenn sich dieses Potenzial in der Leistungsgesellschaft weiter verbreitet, haben wir bald erst recht keinen ruhigen Schlaf mehr.

Ich schaue mich um. Eine ist hier, weil sie so wenige Träume hat. Eine hat zu viele Albträume. Einer ist da, weil er aufwacht und seinen Körper nicht bewegen kann, Schlafparalyse genannt. Ein anderer, weil er im Klartraum nicht fliegen kann. Alle sprechen sie ganz liebevoll von ihren Träumen, sie wollen ihnen durch das Klarträumen mehr Raum in ihrem Leben geben. Raum, den es in unserer Kultur zu wenig gebe, sagt Mandira.

Das Wichtigste dafür ist der sogenannte Realitätscheck: Wache oder träume ich? Schließlich sind die meisten Menschen im Traum vollkommen überzeugt, dass es keiner ist. Wie wir so im Kreis sitzen, zwischen uns Kerzen, um uns herum Bäume, scheint es, als hätten sich die Tore zur Traumwelt längst geöffnet.

Kein Zufall, dass die Klar­traum­forschung in den letzten Jahren so boomt: Der Schlaf als letzter Ort des Nichtstuns kann dadurch mehr und mehr nutzbar gemacht werden

Wir strecken unsere Hände vor uns aus, schauen sie an, zählen die Finger. Zehn. Wir versuchen mit den Fingerspitzen der einen Hand durch die Handfläche der anderen zu stoßen. Im Traum könne das funktionieren, sagt Mandira. Manchmal habe man auch auf einmal elf Finger. Alles Hilfsmittel, die zeigen, ob es ein Traum ist oder nicht. Wenn wir sie regelmäßig im Wachzustand überprüfen, tun wir es bald auch im Traum.

Heute werde ich luzid

Den, der im Traum nicht fliegen kann, reiße es dann manchmal vor lauter Aufregung aus dem Traum, wenn er bemerkt, dass er luzid geworden ist. Mandira kennt das. Sie redet sich dann gut zu, dreht sich im Kreis oder streichelt die Oberarme ihres Traumkörpers. Manchmal ruft sie auch laut „Klarheit“ in den Traum hinein. Klingt toll, das will ich auch.

Zu Hause schreibe ich „Heute werde ich luzid und ich werde fliegen“ in ein leeres Notizbuch, so wie Mandira es vorgeschlagen hat. Das Traumtagebuch ist das zweitwichtigste Hilfsmittel für das Klarträumen. Ich lege es mit dem Stift neben mich auf das Bett. Dann atme ich dreimal lang ein und aus, atme dreimal tief in den Bauch, zähle meine Finger, sage den Satz auf, den ich aufgeschrieben habe, stelle mir vor, wie ich wohl fliegen werde, und liege dann wach. Draußen geht jemand die Straße entlang, die Federn der Matratze knarren.

Als der Wecker klingelt, ist es zu früh, um geschlafen oder gar geträumt zu haben. Ich bleibe liegen und fange an, wenigstens dieses Gefühl aufzuschreiben. Mitten im Schreiben taucht dann ein Bild auf, eine abgewandelte Version meiner WG-Küche. Ich habe doch geträumt! Nicht luzid, aber ich habe es geschafft, den Traum in meine Erinnerung zurückzuholen.

Traumfragmente voller Details

So geht es die nächsten Tage weiter. Während ich mich vorher etwa jeden zweiten Tag an einen Traum erinnert habe, vergeht kein Tag, an dem ich morgens nicht bis zu drei Traumfragmente voller Details notiere. Die dunklen Verzierungen auf einer weißen Anrichte. Das mit Filz überzogene Gesicht eines Mannes. Ein Plakat, das verkündet, dass „Der Schuh des Manitu“ in die Liste der historischen Filme aufgenommen wurde. Traumszenen, die ich wie einen Film guckte. An meine Hände erinnere ich mich nie, vielleicht habe ich sie im Traum gar nicht dabei.

All die Details nehme ich mit in den Tag, denke immer wieder an sie. Während ich mich früher über ein, zwei erinnerte Details amüsierte, will ich jetzt eigentlich nur schlafen, nichts träumen, schon gar nicht erinnern. Ich schreibe immer häufiger auf, dass ich müde bin, genervt vom Aufschreiben, manchmal erzähle ich die Träume pflichtbewusst meinem Sprachrekorder.

Zwei Wochen später eröffnet Moderatorin Mandira das Zoom-Meeting. Der Klartraumzirkel beginnt. Wieder beschwören wir die Tore. Während wir beim Workshop Übungen gemacht haben, tauschen wir uns jetzt über unsere Erfahrungen und Träume aus. Wir reden Englisch, zwei Frauen sind aus Palästina zugeschaltet, ein Typ aus Argentinien.

Ich erzähle, dass ich es nicht schaffe, luzid zu werden, aber ganz viele Erinnerungen habe. Ein wichtiger Schritt, sagt Mandira. Bei ihr sei es am Anfang umgekehrt gewesen, sie konnte sich selten erinnern. Ich erzähle, vom vielen Träumen manchmal müde zu sein. Auch eine andere Teilnehmerin wacht in letzter Zeit energielos auf. „Setzt euch kleinere Ziele“, sagt Mandira. Wir sollen uns vom Traum lieber etwas Magisches zeigen lassen, als uns vorzunehmen, mit unseren Träumen zu arbeiten. „So soll es sein“, schließen wir den Kreis.

Ich werde es weiterprobieren, Klarträumen könnte mir helfen, besser mit den vielen Traumdetails umzugehen. Wenn es nicht klappt, nicht schlimm. Dann dürfen meine Träume das bleiben, was mich an ihnen fasziniert: unerwartet, schräg und vor allem flüchtig.

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