Projekte gegen Antisemitismus: Förderfilz der CDU
Die Berliner Kultursenatoren Chialo und Wedl-Wilson haben willkürlich Millionen Euro Fördergelder vergeben – nach Druck aus der Fraktion.
taz | Mehrere Millionen Euro an Fördergeldern für Projekte gegen Antisemitismus sind in Berlin offenbar irregulär vergeben worden. Durchgesetzt wurde die Förderung von mehr als einem Dutzend Projekte im Haushaltsjahr 2025 auf Drängen des ehemaligen Kultursenators Joe Chialo (CDU) und seiner parteilosen Nachfolgerin Sarah Wedl-Wilson – gegen massive Bedenken und entschiedenen Widerstand aus der Verwaltung. Das geht aus einer Akteneinsicht von Grünen-Abgeordneten hervor, die zuvor eine Kleine Anfrage im Abgeordnetenhaus gestellt hatten. Eine Liste der zu fördernden Projektträger war zunächst in der CDU-Fraktion erstellt worden.
„Alles deutet auf ein beispielloses System zwischen der Leitung der Kulturverwaltung und der CDU-Fraktion hin, bei dem öffentliche Mittel verschoben und unter rein parteipolitischen Gesichtspunkten verausgabt werden“, heißt es dazu in einem Statement der Grünen-Fraktionschefs Bettina Jarasch und Werner Graf. Im Raum stehe der Verdacht, „dass öffentliche Mittel für den Kampf gegen Antisemitismus im Hinterzimmer verteilt, ohne die erforderliche Prüfung vergeben und gegen geltendes Haushaltsrecht bewilligt worden sind“.
Im Zuge der Haushaltsaufstellung für 2024/25, bei dem insbesondere im Kulturbereich massiv gekürzt wurde, hatte der schwarz-rote Senat auch als Reaktion auf den Hamas-Angriff auf Israel eine Förderung für „Projekte gegen Antisemitismus und zur Förderung des interreligiösen Dialogs“ in Höhe von 10 Millionen Euro beschlossen. Dieser Topf erhielt in diesem Jahr eine zusätzliche Fördersäule mit dem Titel „Projekte von besonderer politischer Bedeutung“ mit einem Volumen von 3,4 Millionen. Auf die Festlegung von Förderkriterien, die regeln, wer sich darauf unter welchen Bedingungen bewerben darf, wurde dabei entgegen der geltenden Regeln verzichtet.
Wie aus der Akteneinsicht hervorgeht, entschied der damalige Senator Chialo bereits im Februar, dass eine Liste von Projektträgern Mittel aus dem Haushaltstitel erhalten sollen. Er schrieb: „Eines zentralisierten Antragsverfahrens bedarf es hierzu nicht. Die in der Anlage 1 genannten Institutionen und Projektträger werden zur Antragstellung direkt aufgefordert.“ Die angehängte Liste mit 18 Projekten hatte Chialo von CDU-Fraktionschef Dirk Stettner und dem haushaltspolitischen Sprecher Christian Goiny erhalten, die er im Februar zu einem „politischen Termin ohne Referatsbeteiligung“ getroffen hatte. Die zu fördernden Projekte jedoch waren der Kulturverwaltung überwiegend unbekannt und hatten selbst noch gar keine Anträge gestellt.
Fragwürdige Projekte
Dennoch wurden bis September 2,65 Millionen Euro bewilligt, etwa die Hälfte für eine aktuell laufende Ausstellung über das Nova Musik Festival, das am 7. Oktober 2023 von der Hamas angegriffen wurde. 390.000 Euro gingen an das Zera Institute, das, wie der Tagesspiegel berichtete, von Maral Salmassi geleitet wird, eine Kollegin von Goiny im Vorstand der CDU Lichterfelde.
Geld floss zudem an Projekte, an deren Kompetenz es ernsthafte Zweifel gibt. Etwa 90.000 Euro erhielt eine Between Worlds GmbH, zu der sich im Internet nichts als ein Firmenregistereintrag findet. 39.000 Euro flossen an die Immobilienverwaltung FaBlhaft GmbH & Co. KG. Weitere Projekte sind aktuell noch im Verfahren. Dagegen haben sich drei Projekte der ursprünglichen Liste niemals um eine Förderung beworben.
In der Verwaltung stieß das Anliegen von Beginn an auf Widerstand. In diversen Vermerken und E-Mails, die der taz vorliegen, wurde etwa darauf verwiesen, dass auf eine Zuwendung ohne inhaltliche Prüfung aus zuwendungsrechtlicher Sicht abzuraten sei. Gewarnt wurde vor Projekten ohne ordnungsgemäße Geschäftsführung und solchen, die nicht ihren finanziellen Eigenanteil leisten können – mit drohenden Schadensfolgen. Mitte April entzog Chialo seinem Staatssekretär Oliver Friederici die Zuständigkeit, weil die Gelder noch nicht genehmigt waren.
Wedl-Wilson in Chialos Fußstapfen
Nach dem Rücktritt Chialos im Mai, hielt Christian Goiny den Druck aufrecht. Entgegen der Grundsätze der Gewaltenteilung wandte sich Goiny wiederholt direkt an Verwaltungsmitarbeiter. Per E-Mail beschwerte er sich zudem bei Chialos Nachfolgerin Sarah Wedl-Wilson über die anhaltende Verzögerung; dabei seien die Anträge inzwischen – auf einer extra eingerichteten E-Mail-Adresse – eingegangen.
Zwar befand die Verwaltung, dass keiner der Anträge vollständig sei, doch Wedl-Wilson hielt an dem Vorhaben fest. Sie wies die Verwaltung an, auf die Forderung nach einem Eigenanteil zu verzichten, zu einem besonders in der Kritik stehenden Projekt schrieb sie: „Es besteht der politische Wille, das Projekt zu fördern.“ Ebenso setzte sie sich dafür ein, noch weitere Projekte aufzunehmen, darunter auch solche, die zuvor bei der regulären Bewerbung um Mittel anderer Fördersäulen leer ausgegangen waren, auch dies offenbar auf Wunsch aus der CDU-Fraktion.
Mitte Juli erfolgte die Schlusszeichnung der Leitungsvorlage durch die Senatorin. In einem ausführlichen Vermerk der zuständigen Fachverwaltung, die schon zuvor darauf gedrungen hatte, dass die Bescheidung „in vollständiger Verantwortung der Hausleitung“ erfolge, hieß es, die Senatorin habe kundgetan, „dass sie die von der Fachebene vorgebrachten Bedenken nicht für so wesentlich hält, dass sie einer Bewilligung der Zuwendung entgegenstehen“.
Während die SPD jede Mitverantwortung von sich weist, hält man sich in der CDU bislang bedeckt. Bürgermeister Kai Wegner sagte am Dienstag: „Ich habe keinen Zweifel, dass die Kultursenatorin ordnungsgemäß gehandelt hat.“ Dies gelte auch für Joe Chialo. Von der Linken-Fraktionschefin Anne Helm kam der Ruf nach „Konsequenzen, sollte sich bewahrheiten, dass öffentliche Mittel nach Gutsherrenart an persönlich oder politisch nahestehende Projekte verteilt wurden“. Für Mittwoch haben Grüne und Linke zu einer Pressekonferenz ins Abgeordnetenhaus geladen.
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