piwik no script img

Protest auf Nordseeinsel BorkumGegen Gasförderung im Wattenmeer

Auf Borkum protestieren Hunderte gegen die Erdgasförderung. Der haben Bund und Niedersachsen gerade den Weg bereitet – trotz noch anhängiger Klagen.

Schreckensvision Bohrinsel vorm Badestrand: Teilnehme­r:innen des Protestcamps auf Borkum am Freitag Foto: FFF

Osnabrück taz | Weit mehr Menschen als erwartet haben am Wochenende auf der Nordseeinsel Borkum am Protest gegen die Gasförderung teilgenommen. Insgesamt hätten rund 800 Menschen protestiert, teilten die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen von Fridays for Future (FFF) mit. Über 200 hätten sich am eigentlichen Protestcamp beteiligt.

Bei einem Demonstrationszug über die Insel samt Kundgebung am Strand zählte die Polizei 400 Menschen, erwartet hatte sie 150. „Wir erhalten sehr viel Unterstützung von den Insulanerinnen und Isulanern“, sagte Nele Evers von FFF.

Die Proteste richten sich gegen den ­nieder­ländischen Energie­kon­zern ONE-Dyas, der rund 20 Kilometer nordwestlich der Insel Erdgas fördern will, am Natio­nalpark ­Nieder­säch­sisches Wattenmeer. Aber auch die schwarz-rote Bundesregierung und Nieder­sach­sens rot-grüne Landesregierung stehen in der Kritik. Zuletzt haben sie gemeinsam den Weg für einen Beginn der Bohrungen freigemacht.

In sechs Schutz­ge­bieten ist die Förderung verboten

Ende August haben Deutschland und die Niederlande ein von Katherina Reiche (CDU), Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, vorgelegtes sogenanntes Unitarisierungsabkommen unterzeichnet. Damit sichern sie das ONE-Dyas-Vorhaben völkerrechtlich ab. Das Bundeska­binett hatte zugestimmt, Reiche dabei die „Versorgungssicherheit“ beschworen.

Anfang September hat das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) dem Antrag auf „Sofortvollzug“ der Bohrungen zugestimmt. Seine Entscheidung komme „dem überwiegenden öffentlichen Interesse an einer sicheren Energieversorgung nach“, erklärte das LBEG, das dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium unter Grant Hendrik Tonne (SPD) untersteht.

Anfang September hat die Bundesregierung indes eine Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes beschlossen: In sechs Schutz­ge­bieten in Nord- und Ostsee ist künftig die Exploration und Förderung von Öl und Gas verboten. „Der Schutz der Meeresnatur und der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energien“, so Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD), passe „mit Öl- und Gasbohrungen nicht zusammen“.

Es geht um eine Wegbereitung für die Erschließung weiterer Gasvorkommen im Wattenmeer

Marie Kollenrott, grüne Landtagsabgeordnete

Einerseits wird die Förderung fossiler Energieträger im Meer gefördert, anderer­seits eingeschränkt? Auf das ONE-Dyas-Vorhaben vor Borkum haben Schneiders Verbote keine Auswirkungen. Sie gelten nur für die Seegebiete in der Ausschließli­chen Wirtschaftszone, die das innerhalb der 12-Meilen-Zone gelegene Küstenmeer nicht einschließt.

Marie Kollenrott, Sprecherin für Energie und Klimaschutz der Grünen-Landtagsfraktion in Hannover und Kritikerin des ONE-Dyas-Vorhabens, wertet Schneiders Vor­stoß als Ver­schleierung. „Ich sehe das auch als politisches Manöver“, sagt sie der taz, „als Versuch, von der LBEG-Entscheidung und dem Unitarisierungs­abkommen abzulenken.“

Jedes Plus für den Meeres­schutz sei natürlich gut. „Aber Schneider greift zu kurz. Warum gibt es kein gesetzlich geregeltes Verbot für küstennahe Gebiete?“ Zu­dem gelte es, das Bundes-Bergrecht endlich um Klimaschutz- und Umweltziele zu erweitern. „Stattdessen wirft Schneider Nebelkerzen“, sagt Kollenrott.

Keine Gas-Mangellage mehr

Vor dem Hintergrund von Niedersachsens Selbstverpflichtung, 2040 klimaneutral zu sein, seien Fördervorhaben wie das vor Borkum widersinnig. Hinzu komme, so Kollenrott: „Zur Sicherstellung der Wärmeversorgung brauchen wir das Borkumer Gas nicht; es gibt ja keine Gas-Mangellage mehr.“ Es gehe um die Steigerung der Profite der Gasindustrie. „Und es geht um eine Wegbereitung für die Erschließung weiterer Gasvorkommen im Wattenmeer. ONE-Dyas hat daran ja schon deutlich Interes­se bekundet.“

Auch das von Greenpeace bei der Hamburger Völkerrechtlerin Roda Verheyen in Auftrag gegebene Rechtsgutachten mit dem Titel „Gasförderung vor Borkum. Unitarisierungsabkommen verstößt gegen Grundgesetz und Völkerrecht“, sieht diese Gefahr: Das Abkommen ermögliche „die Realisierung einer unbegrenzten Anzahl an Erdgasförderprojekten im Grenzgebiet zwischen Deutschland und den Niederlanden im Bereich des Festlandsockels“.

Eine Konfliktdebatte, bei der Kollenrott die Bundesebene in der Verantwortung sieht. „Bundesrecht bricht Landesrecht. Das Land genehmigt immer auf dessen Grundlage. Tut es das nicht, wird es verklagt werden – und verliert vor Gericht.“ Das Land sei Prüfer ohne Exit-Option. Die politische Entscheidung, ob gefördert werde, liege klar beim Bund.

Landesamt hätte Sofort­voll­zug nicht genehmigen müssen

Erklärt das, warum Niedersachsens Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz, Christian Meyer (Grüne), obwohl erklärtermaßen „kritisch gegenüber neuen fossilen Förderungen“, so machtlos wirkte?

„Das Unitarisie­rungs­ab­kommen hätte vom Bund nicht unterschrieben werden dürfen“, sagt Kollenrott. „Das war eine rein politische Entscheidung der Bundesregierung. Ohne Unterschrift keine Gasförderung.“ Aber auch in Niedersachsen werden Entscheidungen getroffen: Das LBEG hätte den Sofort­voll­zug nicht genehmigen müssen.

Unverständlich ist zudem, dass mit alldem nicht gewartet wurde, bis in Sachen ONE-Dyas juristisch entschieden ist. Die Gemeinde Borkum klagt derzeit noch gegen die Bohrgenehmigung, an der Seite der Deutschen Umwelthilfe und der Bürgerinitiative Saubere Luft Ostfriesland,

Mit Material von dpa und epd

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare