Protest gegen Bildungsreform in Kolumbien: Studieren ohne Scheuklappen

Mehr als 150.000 Studierende haben in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá gegen eine Bildungsreform demonstriert. Staatspräsident Santos scheint einzulenken.

Will ordentlich studieren können: Demonstrant in Bogotá. Bild: reuters

BUENOS AIRES taz | Zu Tausenden kamen sie zur "Toma de Bogotá". Mit der symbolischen Besetzung der Hauptstadt hat der Streik von Kolumbiens Studierenden einen neuen Höhepunkt erreicht. Während die Veranstalter von über 200.000 Teilnehmenden sprachen, räumten die Behörden der Hauptstadt 150.000 Teilnehmende ein. Aber nicht nur in Bogotá, auch in anderen Universitätsstädten wie Cali und Medellín waren am Donnerstag die Studierenden durch die Straßen gezogen.

Noch am frühen Morgen hatten die Sicherheitskräfte in Bogotá versucht ein Schreckensszenario zu verbreiten und sprachen von potentiellen Farc-Guerilleros, die sich unter die Demonstranten mischen könnten. Von rund zehn Treffpunkten aus waren die Protestierenden zur Plaza de Bolívar gezogen, auf der am frühen Nachmittag die Abschlusskundgebung im strömenden Regen stattfand. "Die Studierenden haben heute politische Stärke gezeigt", so Carlos Mario Restrepo vom Studierendenverband ACEU.

Seit Monaten wehren sich die Studierenden sich gegen eine Reform des Bildungsgesetzes. Die Unterstützung kommt längst aus vielen gesellschaftlichen Bereichen. Außer den Studierenden marschierten am Donnerstag auch SchülerInnen, Lehrkräfte, Gewerkschafter und Eltern auf den Straßen.

Quantität statt Qualität

Die Reform sieht eine Umschichtung der staatlichen Ausgaben für den Bildungsbereich vor, die zwar eine Anhebung der finanziellen Mittel beinhaltet, die jedoch an das jährliche Wirtschaftswachstum angekoppelt wird. Zudem ist mit ihr eine beträchtliche Erhöhung der Zahl der Studienplätze und eine weitgehende Autonomie der Bildungseinrichtungen vorgesehen.

Nach Auffassung der Studierenden reicht jedoch das zusätzlich in Aussicht gestellte Geld bei der gleichzeitig veranschlagten Aufstockung der Studienplätze bei weitem nicht aus. Was die Hochschulen und Universitäten an Quantität gewinnen, werden sie an Qualität verlieren.

Als Konsequenz befürchten die Studierenden die Anhebung der Semestergebühren. Und die zugestandene Autonomie werde viele Hochschulen dazu verleiten, sich privaten Geldgebern und privaten Forschungszwecken zu unterwerfen.

Zwei Drittel der zusätzlichen Mittel würden ohnehin direkt in das staatliche Bildungskreditprogramm fließen, über das sich viele Studierende ihr Studium finanzieren. Wer zukünftig zügig und mit guten Resultaten studiert, bekomme zwar ein Teil seiner aufgenommen Kredite erlassen, werde aber zu einem Scheuklappenstudium im Schnelldurchlauf gezwungen, ist die Befürchtung der Studierenden.

Präsident macht Angebot

Staatspräsident José Manuel Santos hatte noch am Mittwoch versucht die "Toma de Bogotá" zu verhindern. "Wir ziehen die Reform zurück, wenn die Studenten ihren Streik beenden und in die Hörsäle zurückgehen," so der Präsident. Nach Innenminister Germán Vargas Lleras verhindere der Streik nur, dass "500.000 Studenten ihre Semester abschließen können", so Vargas Lleras. Dass die Regierung jetzt zurückrudern will, ist nicht nur mit dem drohenden Verlust eines Semesters für den gesamten Hochschul- und Universitätsbereich in Kolumbien geschuldet.

Nach Auffassung Juan Sebastián López vom studentischen Koordinierungsgremium Mesa Amplia Nacional Estudiantil (Mane) gibt es im Parlament zunehmend Vorbehalte, die Reform jetzt und in dieser Form durchzuführen. "Unser Protest hat gezeigt, dass es dafür keinen Konsens in der Bevölkerung gibt," so López.

Präsident Santos hat seine Botschaft am Donnerstag wiederholt. "Wir ziehen die Reform zurück, wenn der Streik umgehend beendet wird." Dann werde man sich zusammen an einen Tisch setzen und für 2012 einen neuen Reformvorschlag ausarbeiten, so Santos.

Die Erklärung des Präsidenten sei eine wichtiger Schritt und dem Druck der studentischen Bewegung zu verdanken, so Jairo Rivera vom Koordinierungsgremium Mane. Ob die Studierenden auf Santos‘ Vorschlag eingehen werden, wollen sie am Wochenende entscheiden.

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