Protest gegen Braunkohle: Leben an der Furche

Eine riesige Menschenkette soll sich am Samstag in der Lausitz bilden. Aktivisten protestieren gegen Braunkohle. Ein neues Wendland wird daraus nicht.

Menschenkette von Braunkohlegegnern in Proschim. Bild: dpa

Nur 500 Menschen leben in Kerkwitz, aber sie sind sehr verschieden. Es gibt die Eiligen, die hier nichts hält und die die Entschädigung möglichst schnell haben wollen. Da sind die Fatalisten, die sagen, den Tagebau gab es schon in der DDR, kann man nichts machen. Es gibt die leicht kämpferischen, die hin und wieder demonstrieren. „Und dann gibt es die, die sagen: Mich tragen sie hier nur mit den Füßen voran weg.“

Andreas Stahlberg ist „Sachbearbeiter für bergbaubedingte Sonderaufgaben“ bei der Gemeinde Schenkendöbern in der Lausitz. Seit 40 Jahren tragen Bagger im nahen Tagebau Jänschwalde die meterdicke Kohleschicht ab. Fünf Dörfer haben sie verschwinden lassen und wenn es nach Vattenfall geht, kommen hier bald drei weitere dazu: Kerkwitz, Atterwasch und Grabko, derzeit bewohnt von insgesamt 900 Menschen.

Seit Vattenfalls Pläne bekannt wurden, veranstalten die Dorfbewohner jedes Jahr einen Sternmarsch. „Keine Großdemo, aber man sieht, dass man nicht alleine ist“, sagt Stahlberg.

An diesem Samstag sollen es mehr werden. Seit Februar planen lokale Aktivisten, Kohlegegner und große Umweltverbände eine Menschenkette gegen eine der „größten Umweltkatastrophen der Staatengemeinschaft“, wie es im Aufruf heißt: 8.000 Menschen, acht Kilometer zu beiden Seiten der Neiße, auch in Polen sollen bald die Bagger anrücken. Das westliche Ende der Kette wird in Kerkwitz liegen.

Abschluss des Camps

Sie bildet den Abschluss eines Protestcamps, seit Anfang der Woche zelten etwa 100 Aktivisten auf der Wiese hinter dem Haus der Freiwilligen Feuerwehr. Keine Massen, die aus Sorge um das Weltklima zum Protest in die Lausitz strömen würden. Wenn am Abend Theatergruppen im kleinen Zirkuszelt auftreten oder Lobbykritiker über die PR-Strategien der Stromkonzerne referieren, findet sich immer noch ein freier Platz auf den Bänken zwischen den Kerkwitzern, die sich zu den angereisten Klimaschützern gesellen.

Anders als beim Atommüll im Wendland leben die Menschen hier von der Kohle, viele sind deswegen hergezogen. 136 Dörfer haben die Kohlebagger in der Region weggefressen, die gigantischen Furchen in der Erde werden von einigen als Preis akzeptiert. 8.200 Arbeitsplätze bietet der Lausitzer Bergbau heute noch direkt. Demoskopen rechnen für die nächsten Jahrzehnte mit einer Abwanderung der Bevölkerung um ein Drittel. Schlechte Voraussetzungen für eine Massenbewegung gegen die Kohle. Die Frage, wie man auf die drohende Vernichtung des Lebensraums reagiert, zerfrisst die Dorfgemeinschaften wie die Bagger die Lausitzer Erde.

In Stahlbergs Typologie fallen Klaus und Elke Schneider wohl in Kategorie 4. Während im Camp die Aktivisten die Logistik der Menschenkette besprechen, steht Schneider, beiges Hemd, Deutschland-Käppi, in seinem Garten auf einer Leiter und beschneidet einen Fliederbusch. Seine Frau hält die Leiter und legt die Zweige in eine Schubkarre. „Die Jungen wollen sowieso weg, und manche Alte finden es auch besser, in der Stadt zu wohnen, wo es Ärzte gibt.“ Nur rund die Hälfte der Kerkwitzer seien gegen Vattenfall. „Manche lachen uns aus und sagen: ’Geht beten, vielleicht hilft das ja.‘“

„Die Schäden werden doch runtergespielt“, sagt Schneider, der jeden Tag am Tagebau vorbei fährt. Die Asthmakranken, die vielen Kinder mit dem Pseudokrupp genannten Husten, die Türschlösser, die der Feinstaub des Kohlekraftwerks zerstört.

„Das ist eine Vertreibung“

Elke Schneiders Chef gehört irgendwo zwischen die Kategorie 1 und 2. „Wo ist das Problem?“, habe der gefragt. „Das Problem ist, dass ich mich hier zu Hause fühle“, hat Schneider geantwortet. Ihr Mann ist 62 und in Kerkwitz geboren, vor 40 Jahren zog sie zu ihm. Die Kinder sind weg, die Großmutter wohnt im ersten Stock. „Das ist keine Umsiedlung, sondern eine Vertreibung“, sagt Klaus Schneider.

„Die Leute solidarisieren sich nicht, solange es nicht um sie selbst geht, das haben wir bei Horno auch nicht gemacht“, sagt Elke Schneider. Horno ist das letzte Dorf, das für Jänschwalde weichen musste. Die Schneiders haben sich in dem von Vattenfall bezahlten Neu-Horno umgesehen. „Das ist ganz komisch dort, das ist keine Heimat“, sagt sie. „Viele sind darüber ins Unglück gestürzt, die verkraften das nicht“, sagt er. „Der Hühnerschuppen muss alt sein, sonst fühlt es sich nicht nach Land an.“

Ihr Haus wurde 1957 gebaut, drei mal haben die Schneiders renoviert, Bäume gepflanzt, „da wollen wir drunter sitzen, wenn wir in Rente sind“, lange dauert das nicht mehr. Am Samstag wollen sie zur Menschenkette gehen. „Machen kann man nicht viel, aber verstecken darf man sich auch nicht“, sagt Elke Schneider. Das sei immerhin ein Fortschritt. „In der DDR, haben wir geschimpft wie die Rohrspatzen, aber nur, wenn das Fenster zu war. Sonst stand irgendwann die grüne Minna vor der Tür.“ 1989 fiel die Mauer, die Bagger aber blieben. Dabei hätten es die Ministerpräsidenten anders versprochen: „Manfred Stolpe war damals hier und hat gesagt: Horno ist das Allerletzte, das weggebaggert wird.“ Dann sei er „umgefallen, genau wie alle anderen nach ihm“, sagt Schneider.

Am 14. September wird in Brandenburg gewählt. SPD, Linke und CDU sind für den Abbau. Obwohl der Kohlestrom ohnehin nur für den Export wäre, weil Brandenburg genug Ökostrom für sich selbst und bald auch für Berlin produzieren wird, sollten die Bagger einmal nach Kerkwitz kommen. Der Wahltermin ist nicht der wichtigste für die Schneiders. 2015, vielleicht 2016, wird der „Braunkohleplan“ für Jänschwalde fertig sein. Dann können sie Widerspruch einlegen. „Dann geht der Kampf erst los“, sagt Elke Schneider.

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