Protest gegen Flüchtlingspolitik: Bis ins Kanzleramt

Wer hätte es gedacht: Das Zentrum für Politische Schönheit wird zusammen mit zwei Holocaustüberlebenden im Kanzleramt empfangen. Ein Ortstermin.

Syrische Flüchtlinge an der Landesgrenze zu Jordanien. Bild: dpa

BERLIN taz | Der Protest geht weiter, online und in der realen Welt. Am Donnerstag erst war ein neues Video der Aktionsgruppe Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) im Netz aufgetaucht. Nicht nur, dass Manuela Schwesig 55.000 syrische Flüchtlingskinder in Deutschland aufzunehmen plant. Nein, jetzt will sie sogar selbst ins Krisengebiet reisen und die Kinder dort treffen. So zumindest will es das Video einen glauben machen.

Es ist eine kleine Sensation: Nur vier Tage, nachdem die Webseite der fingierten Kindertransporthilfe des Bundes gelauncht wurde, wird die Künstlergruppe um Philipp Ruch im Bundeskanzleramt empfangen. Bekannt war der Termin schon die ganze Woche über. Das ZPS hatte ihn im Rahmen ihrer Aktion einfach festgelegt. Am Donnerstag aber war plötzlich Regierungssprecher Steffen Seibert am Apparat und bestätigte der Gruppe einen offiziellen Termin.

Ruch erscheint mit zwei Überlebenden des Holocaust. Kurt Gutmann (87) und Inge Lammel (90) wurden beide durch die Kindertransporte 1939 nach Großbritannien gerettet. Das Schicksal ihrer Familien blieb ihnen dadurch erspart: Bis auf eine angeheiratete Tante hat Inge Lammel alle Angehörigen in Auschwitz verloren, Gutmanns Familie kam im Vernichtungslager Sobibor ums Leben.

75 Jahre später begleiten sie nun Philipp Ruch ins Kanzleramt, um mit zwei hochrangigen Fachreferenten über die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik zu diskutieren. An der Einfahrt zum Bundeskanzleramt müssen sie aussteigen, Inge Lammel geht mit ihrem Rollator bis zur Eingangstür, Kurt Gutmann wird im Rollstuhl geschoben. Bis ganz nach vorne zu fahren sei leider nicht möglich, erklären die Kontrollbeamten.

Warum das Zentrum für Politische Schönheit ihr Hilfsprogramm nur auf Kinder beziehe, diese Frage musste Ruch in den letzten Tagen immer wieder beantworten. „Ich persönlich finde das schrecklich, ich würde niemals nur Kinder retten und von ihren Familien losreißen wollen“, sagt er, „aber wir spielen damit die Kindertransporte von 1939 nach.“ Gerade vor diesem Hintergrund dürfe die Bundesregierung keine Flüchtlingsabwehrpolitik betreiben.

„Schon ein wenig ernüchternd“

Etwa eine Stunde verbringt Philipp Ruch mit Inge Lammel und Kurt Gutmann im Kanzleramt. Als sie nach dem Gespräch wieder vor dem Kanzleramt erscheinen, ist ihre Stimmung nicht gerade euphorisch. „Es war schon ein wenig ernüchternd“, meint Lammel, „man hat sich ausgetauscht, aber wirklich Konkretes kam dabei nicht rum.“

Ihr Anliegen bestand vor allem darin, die Regierungsvertreter davon zu überzeugen, dass 10.000 Flüchtlinge viel zu wenig sind. So viel nämlich hat die Bundesregierung bislang bestätigt, aufzunehmen. „Wir möchten, dass 75.000 Flüchtlinge einreisen dürfen,“ sagt Gutmann. „Verantwortlich in dieser Frage ist Deutschland ganz besonders“.

76.000 Asylanträge lägen derzeit vor, so Philipp Ruch. Im Kanzleramt sei ihnen nun gesagt worden, dass die Regierung von dieser Zahl nichts wisse. „Das zeigt auf erschreckende Weise, wie nachlässig mit dieser größten humanitären Katastrophe des 21. Jahrhunderts hier umgegangen wird“, lautet sein Fazit. Laut einer Meldung des Bundesinnenministeriums vom Donnerstag haben bislang 50.000 Syrer um Asyl gebeten.

Kurt Gutmann und Inge Lammel wollen sich weiterhin für die syrischen Flüchtlinge einsetzen. Gutmann ist überzeugt: „Diese Menschen haben ein Recht darauf, zu überleben. Man sollte es ihnen auch geben.“ Gerade weil Deutschland „ein reiches Land ist, das es sich leisten kann, diese jungen Menschen aufzunehmen,“ sagt Inge Lammel.

Der Protest wird weitergehen. Das Zentrum für Politische Schönheit hat für nächste Woche bereits weitere Aktionen angekündigt.

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