Protest gegen Mastanlagen: Mahnwache gegen Keimschleudern

Mit der "Critical Mast-Fahrradtour" protestieren Aktivisten gegen Schlachthöfe und Mastanlagen. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge kommen von dort multiresistente Keime.

Umstritten: Schlachthof in Wietze bei Celle. Bild: dpa

WIETZE taz | Direkt nach Verlassen des Waldes, noch kurz vorm Ortsschild schiebt sich die Schlachtfabrik in den Blick, so unpassend wie ein Meteorit, der eben eingeschlagen hat: Die viereinhalb Meter hohen Zäune wirken fast grazil im vergleich zum Hauptgebäude. Männer patrouillieren am helllichten Tage entlang dieser Grenze. „Der gesamte Bereich wird Video überwacht“, steht alle paar Meter auf Panels am Zaun.

Geradezu lächerlich klein drückt sich die Mahnwache der Critical Mast-Fahrradtour keine 200 Meter Luftlinie entfernt auf eine Brache, kaum sichtbar, weitab von Bundesstraße und Bürgersteig, „Wir wollten eigentlich näher an den Schlachthof ran“, sagt Mo, die zu den OrganisatorInnen der Runde durch Niedersachsen gehört. „Das war aber offenbar der einzige freie Platz in der Nähe, auf den die Gemeinde noch Zugriff hat.“

Die etwa 20 TeilnehmerInnen der Protest-Rundfahrt durch Niedersachsen, die am Pfingstmontag zu Ende ging, haben sich davon nicht entmutigen lassen, als sie in Wietze angekommen waren. Mahnwache ist schließlich Mahnwache, ob gut sichtbar oder nicht: Die Aufmerksamkeit ist ja trotzdem da gewesen, auf allen Stationen der Tour, im Wendland bei Teplingen, in Sprötze, in Celle und jetzt hier in Wietze. Die Reaktionen – geteilt. „Es gab immer auch Leute, die uns angemotzt haben“, sagt Mo.

Infektionen durch Methicillin-resistente Staphylococcus aureus Stämme (MRSA) verlaufen zu einem sehr hohen Prozentsatz dramatisch:

Oberflächliche und tiefe Haut- und Weichteilinfektionen wie Abszess, Furunkel, Karbunkel, Impetigo, Phlegmone, Erysipel und Arthritis;

Lungenentzündung und nekrotisierende Lungenentzündung;

Endokarditis (Entzündung der Herzinnenhaut);

Sepsis (Blutvergiftung), das heißt eine Überschwemmung mit dem Keim, die zum Komplett-Kollaps des Immunsystems führt;

TSS und TSS-like-Illness (Toxisches Schock-Syndrom).

In Celle sind einige AktivistInnen sogar von der Polizei abgeführt worden, als sie sich in einen Erörterungstermin zu den im Landkreis geplanten 84.000-Broiler-Mastanlagen eingebracht hatten. Und Ärger gab’s auch, als sie in Wietze einen leeren Hühnerlaster an der Rückfahrt hinderten. „Aber“, so Mo, „es gab immer auch solche, die uns zugerufen haben: Super, macht weiter so, das ist genau richtig!“

„Uns ist klar, dass die meisten Leute unsere Position nicht teilen“, sagt ein anderer Aktivist: Viele im Camp leben vegan, lehnen die Ausbeutung von Tieren generell ab. Aber mittlerweile gibt es doch schon eine ganze Menge Schnittpunkte zur Mehrheitsmeinung. Für Quälerei hält diese die Schnellmast von Schweinen oder Geflügel in großen Anlagen, die den Tieren in der Endphase ihres kurzen Lebens kaum Bewegung jenseits des Blinzelns gestattet. Momentan verlagert sich der Fokus: „Die Diskussion um antibiotikaresistente Erreger ist ziemlich präsent“, haben auch die Critical-Mast-Leute bemerkt.

Denn einerseits verursachen die Erreger Riesenkosten fürs Gesundheitssystem: Die Behandlung von befallenen PatientInnen ist gut doppelt so teuer wie die von Normalkranken. Und die Erkrankungen nehmen, weil kaum einzudämmen, einen besonders unerfreulichen Verlauf: Eine Harnwegsentzündung wird zum tödlichen Risiko, die simple Lungenentzündung mutiert zur Nekrose bildenden Pneumonie, die Furunkulose lässt sich nur per Beinamputation stoppen – woraufhin sich der Erreger eine neue Krankheit „ausdenkt“.

Mindestens 15.000 Menschen jährlich sterben in Deutschland allein an Infektionen durch Methicillin-resistente Staphylococcus aureus Stämme (MRSA), oft nach einem vieljährigen Leidensweg durch die Krankenhäuser. Zum Vergleich: Bei Aids ist derzeit von deutlich unter 1.000 Toten auszugehen.

Und während der niedersächsische Agrarministerium bezweifelt, dass es einen Zusammenhang zwischen industrieller Haltungsform und Ausbreitung der resistenten Erreger gibt, hält die mikrobiologische Forschung eben diesen für erwiesen. „It depends where you are“, es hängt davon ab, wo du lebst, fasste Wolfgang Witte die Gefährdungslage auf einem Fachtag zusammen, den Christian Meyer, agrarpolitischer Sprecher der niedersächsischen Grünen-Fraktion, am Freitag organisiert hatte. Witte war von 2006 an Leiter des Staphylokokken-Zentrums des Robert-Koch-Instituts: die Forschung über MRSA, das war bis zur Emeritierung Ende vergangenen Jahres sein Job.

Und: Wenn du in Cloppenburg oder Vechta oder dem Landkreis Emsland lebst, bist du diesbezüglich angeschissen: Bei der Schweine-, noch mehr aber in der konventionellen Geflügelmast „können keine Einzeltiere behandelt werden, sondern nur ganze Bestände“, so der Molekularbiologe. Dadurch wachse der sogenannte Selektionsdruck, sprich, die Überlebenschancen von Bakterien, die antibiotika-resistent sind, steigen in diesen Anlagen sprunghaft an.

Neben MSRA züchtet man in den Mastanlagen auch jene noch schwieriger einzugrenzenden und zu bekämpfenden Bakterien, die gelernt haben, das ESBL-Enzym zu bilden. Das zerstört das Lactam, einen Baustein fast aller Antibiotika. Folge: Sie werden unwirksam. Solche Erreger bläst die Lüftung der Stallanlagen in die Umgegend. Sie können mehrere Tage an der frischen Luft überleben – die ESBL-Bildner sogar fast ewig.

Witte und sein Team hatten bereits 2006 im Landkreis Vechta Vergleiche zwischen konventionellen Schweinefarmen und jenen durchgeführt, die sich zu einer artgerechten Haltung verpflichten. Und während die Forscher bei ersteren MRSA bei über 80 Prozent der Tiere feststellten und bei fast 90 Prozent ihrer Halter eine Besiedlung mit dem Keim nachwiesen, gab es bei den Neuland-Haltern kein gesteigertes Risiko, sich den Erreger einzuhandeln.

Die Erreger bleiben virulent noch im tiefgekühlten Fleisch: „Wir haben sie im Auftauwasser von konventionellen Brathähnchen in mehr als 30 Prozent der Proben festgestellt“, sagt Witte. Hochwahrscheinlich werden sie über den als Dünger verwendeten Kot der Tiere von den Pflanzen aufgenommen und bis in den Fruchtkörper transportiert.

Als eine Minimalforderung hat Grünen-Politiker Meyer einen 14-Punkte-Plan zur besseren Kontrolle der Antibiotika-Abgabe an Masttiere vorgestellt. Im Grunde aber müsse man „die bisherigen Haltungsformen mit dichtem Besatz von mehreren zehntausend Tieren in einem Stall aufgeben“, so der Agrarpolitiker. Alles andere sei „nur ein Herumdoktern an Symptomen“.

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