Proteste China, Einbürgerung, WM-Aus: Moraltankstellen

Querflöten vergleichen China mit Deutschland. Der Feind von CDU und FDP heißt Realität. Und die WM muss ohne die deutsche Mannschaft klarkommen.

Menschen halten weiße Blätter in die Luft

Das weiße Papier wurde in China zum Protest-Symbol Foto: Thomas Peter/Reuters

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: In „Kanzler kompakt“ findet der Kanzler sich überraschend ganz gut.

Und was wird diese Woche besser?

Diskussion, ob „Kanzler kompakt“ eine Tautologie ist.

Jan Böhmermann und dessen satirischer RAF-FDP-Vergleich samt Fahndungsplakat sorgte für Aufregung. Hat er die Grenzen von Satire überschritten?

Man rechne die redaktionellen Beiträge darüber auf Anzeigenfläche um und multipliziere mit den Tarifen der jeweiligen Medien: Das ZDF spart mit diesen Nummern ein Vermögen. Auch und gerade, wenn einige Rezensionen Böhmermann „lauen Humor, nicht der Rede wert, bloße Provokation“ attestieren. Deshalb ist „Magazin Royale“ eben nicht „Monitor mit One Linern“, sondern eher rückwärts: „Um diesen maximalen Radau einzuheimsen, müssen wir uns was zusammenrecherchieren?“ Mal geht es, wie hier, auch ganz ohne Recherche. FDP und Böhmermann verbindet die alte Branchenregel „Hauptsache, der Name ist richtig geschrieben“. Win-win.

In China protestieren Menschen gegen die strenge Null-Covid-Politik. Dürfen die demokratischen Kräfte hoffen?

Manche hier, die sich für kräftige Demokraten halten, nageln jetzt Bilder drunter: Von krassen Polizeieinsätzen, kruden Ausgangsverboten und selbstverliebten „Man darf ja nichts mehr sagen“-Demos in Deutschland. Querflöten, die so wohlfeil China und Deutschland gleichsetzen, sind unbedingt vor einem mehrjährigen Belohnungsaufenthalt in China zu schützen. Auch wenn’s schwerfällt. Ansonsten: Bevor Chinas Diktatur an ein paar Tausend Mutigen implodiert, geißelt Putin sich auf dem Roten Platz mit der Neunschwänzigen.

Die Ampelkoalition möchte Regelungen zur Einbürgerung und doppelter Staatsbürgerschaft liberalisieren. Die FDP spielt Opposition in der Koalition und die CDU erinnert an die 90er Jahre. Parteipolitisches Kalkül oder tiefe Überzeugung?

In den 80ern prophezeite CDU-Gandalf Heiner Geißler, ungefähr jetzt wären wir ohne Zuwanderung an Inzest vergoren: Fachkräftemangel, Übergreisung, Infarkt der Sozialversicherungen. Die FDP daneben hatte immer die „Interessen der Wirtschaft“ im Auge, vulgo: So niedrig kann die Lohngruppe gar nicht sein, dass ein bisschen Konkurrenz von außen nicht noch mehr Druck auf die Gehälter brächte. Kurz: SchwarzGelb würde von ihrem bittersten Feind, der Realität, zu genau der Politik gezwungen, die Rot-Grün jetzt macht. Siehe Atomausstieg: Alsbald sie dran sind, werden sie diese Reformen ins Recht setzen. Also lauern sie drauf, dass die Ampel es tut – und sie solange ein bisschen gen AfD-Wähler mit dem Arsch wackeln dürfen.

Die Ver­kehrs­mi­nis­te­r:in­nen der Länder haben sich auf einen Starttermin für die Nachfolge des 9-Euro-Tickets aus dem Sommer geeinigt: Das 49-Euro-Ticket soll zum 1. April kommen. Sind Sie überrascht, dass es überhaupt kommen soll?

Ich möchte, dass mein Smartphone mich morgens nicht mehr fragt, ob ich noch „fünf Minuten schlummern“ möchte, sondern einfach aufblinkt: „Wissing?“ Der Erfolg des Tickets war so offensichtlich, dass nur ein paar wirklich lahme Studien ihn hätten aufhalten können – die sind nun offenbar fertig.

Vor 90 Jahren ließ Stalin in der Ukraine vier Millionen Menschen verhungern. Der Bundestag hat den Holodomor nun als Völkermord anerkannt. Was bedeutet das nun?

Drauf achten, sich nicht an jeder Moraltankstelle den Zapfhahn bis zum Erbrechen in den Hals zu rammen: Krieg gegen die Sowjetunion, also Russland und auch Ukraine, hat das Deutsche Reich geführt. 27 Millionen Tote. Die Lehre, nun müsse zum Ausgleich mal ein gerechter Krieg gegen Russland geführt werden, ist nicht die einzig mögliche.

Deutschland ist tatsächlich in der Vorrunde aus der Weltmeisterschaft geflogen. Erkennen sie darin einen versteckten Boykott?

Disclaimer: Wir haben eine ARD-Doku über das „Pflichtjahr“ produziert. Guter Film, mit Harald Schmidt, Campino, Kurt Krömer, AKK, Steinmeier und vielen jungen Betroffenen. Läuft nun Dienstag um 0.05 Uhr nach dem Achtelfinale einer WM ohne Würde und jetzt neu ohne deutsche Mannschaft. ARD und ZDF haben dafür 214 Mio. Euro bezahlt – plus interne Produktionskosten. Ich will jetzt nicht lamentieren, dass 214 Mio. Euro je nach production value 2140 interessante Dokus wären. Sondern … ach okay, ich will doch.

Und was machen eigentlich die Borussen?

Noch sechs BVB-Spieler im Turnier.

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Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".

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