Proteste der Studierenden: "Reiche Eltern für alle!"

Sie fordern Entlastung im Stundenplan und freien Zugang zum Master: Beim bundesweiten Aktionstag gingen zehntausende Studenten und Schüler für bessere Bildung auf die Straße.

"Wir sind unglaublich scheiß viele": Studenten in München. Bild: dpa

MÜNCHEN/BERLIN taz | Nein, eine Hochburg studentischer Proteste war München in den vergangen Jahren nicht gewesen. An diesem Dienstag aber gibt die bayerische Landeshauptstadt, genauer: der Platz vor der Ludwig-Maximilians-Universität, ein ganz anderes Bild ab. Schon früh am Morgen drängen sich dort Studierende und Schüler; 10.000 sollen es den Veranstalter zufolge am Ende werden. "Wir sind unglaublich scheiß viele", schreit jemand vom Lautsprecherwagen.

Auf eine Mauer aus Pappkartons haben die Demonstranten aufgeschrieben, was ihnen am Bildungssystems missfällt: "Studiengebühren", "G 8", "Lehrermangel", "Soziale Selektion". Zum Start der Demonstration wird die Mauer unter lautem Jubel über den Haufen gerannt.

"Bei uns findet die Ökonomisierung der Bildung an den Schulen genauso statt wie an den Unis", sagt die 17-jährige Gymnasiastin Anna Hinrichs aus Tutzing, die zu den Organisatoren des Streiks gehört. Die Einführung des Turbo-Gymnasiums G 8 habe den Druck auf die Schüler erhöht.

"Bayern ist heute mit seinen Studiengebühren unter den Bundesländern nicht mehr in der Mehrheit, sondern in der Minderheit", ruft ein anderer Mitorganisator, der 23-jährige Student Malte Pennekamp den Demonstranten zu. Es ist ein friedlicher, bunter Protest. Medizinstudenten haben sich weiße Kittel angezogen. Auf einem Transparent warnen sie schon mal vor den Spätfolgen eines Schmalspurstudiums: "Ich werd ein schlechter Arzt."

Insgesamt sind es zehntausende Studierende, die in rund 50 Städten für ein besseres Bildungssystem demonstrieren. Entlastungen im Stundenplan, mehr Demokratie an den Universitäten, Geld für Bildung und einen freien Zugang zum Master, lauten ihre häufigsten Forderungen. Schüler, die sich vielerorts beteiligen, verlangen vor allem kleinere Klassen.

Die bundesweit größte Demonstration - den Veranstaltern zufolge sind es 15.000 Teilnehmer - erlebt Berlin. Sambatrommeln, eine Tuba und mehrere Lautsprecherwagen begleiten den Demonstrationszug - und trotzdem sind die Parolen der Demonstranten lauter: "Wir sind hier und wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut", rufen sie vor dem Roten Rathaus.

Dabei sind nicht nur Lehrer und Mitglieder der GEW und von Ver.di, auch die Gebäudereiniger der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt unterstützen den Protest.

Die Forderungen auf den Transparenten lesen sich vielfältig - von konkret bis allgemein, von lokal bis global. Eine Gruppe Studierender von kleinen Fächern fordert deren Erhalt, andere wollen Bildungspolitik zur Bundessache machen, und eine ganze Reihe Demonstranten wünscht sich "Reiche Eltern für alle!" Dabei kritisieren Schüler wie Studenten auf ihrer Route durch die Stadtmitte vor allem eine Ausrichtung der Ausbildung auf ökonomische Ziele. "Wir wollen Menschen sein und kein Humankapital", ruft ein Redner des Schülerbündnisses "Bildungsblockaden einreißen" und bekommt auch von den Gewerkschaftern Applaus. "Der Föderalismus des Bildungssystems stört mich ganz stark", sagt eine Studentin. Was sie noch stört? Die Bachelor- und Masterstudiengänge, natürlich.

Weit weniger, nämlich nur 3.000 Menschen, sind währenddessen in Köln auf der Straße - mindestens die Häfte davon Schülerinnen und Schüler. Die Studierenden zu motivieren sei schwierig gewesen, meint die 22-jährige Hanna-Sophie Stumpf vom Arbeitskreis Bildungsstreik an der Universität Köln. Der Glaube, durch Demonstrationen etwas ändern zu können, sei abhandengekommen. Außerdem hätten die Studierenden durch Anwesenheitspflicht und Leistungsdruck kaum Zeit für politische Aktivitäten. Doch daran allein kann es nicht liegen: Für die Demonstration waren sie vom Rektor der Universität freigestellt worden. Zufrieden mit der Beteiligung ist hingegen der 20-jährige Conny Keil von der BezirksschülerInnenvertretung: "Die Mobilisierung ist sehr gut gelaufen", sagt sie.

In Hamburg laufen derweil die Vorbereitungen für die Demo am Abend. Die Wut der StudentInnen richtet sich besonders auf den Präsidenten der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen, der als neuer Präsident nach Hamburg kommen soll. Im Foyer hängen Plakate: "Dieter Lenzen No Go!" Lenzen pflege einen genauso autoritären Führungsstil wie die eben deswegen geschasste ehemalige Uni-Präsidentin Monika Auweter-Kurtz, befürchten die Studenten.

Am späten Nachmittag versammeln sich rund 10.000 Menschen in der Innenstadt: Schüler, Studierende, Lehrer und Professoren sprechen zum Auftakt, darunter der Pädagogikprofessor Karl-Josef Pazzini. Angeschlossen haben sich ferner Vertreter des Hamburger Kita-Bündnisses, von Gewerkschaften und politischen Verbänden. "Bei den Banken seid Ihr fix - für die Bildung tut Ihr nix", lautet hier die beliebteste Demoparole.

In anderen Städten sind Demonstrationen für die kommenden Tage geplant. Mancherorts gibt es dennoch kleinere, spontane Kundgebungen. Rings um den Dresdner Theaterplatz etwa skandieren 150 Studierende "Bildungsstreik!"

Nein, ein Streik sei das nicht, sagt Anja in der "Zentrale", dem seit einer Woche besetzten Hörsaal 81 im Potthoff-Bau der Verkehrsfakultät. Gleich muss sie zu einer Übung - auch Besetzer boykottieren nicht alle Lehrveranstaltungen. "Wir wollen möglichst viele für die Demo in Leipzig mobilisieren", nennt Anja das Hauptziel. In der sächsischen Großstadt ist für den 24. November eine landesweite Demonstration geplant.

Der vorläufige Höhepunkt war dieser Dienstag der Proteste vielleicht. Ein Ende ist jedoch noch nicht in Sicht.

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