Proteste in Peru: Die Angst der weißen Städter

In Peru sind die anhaltenden Unruhen auch ein Zeichen des Konflikts zwischen indigener Bevölkerung und weißer Elite. Ein Ende scheint fern zu sein.

Ein Frau in indigener Kleidung schwenkt steht vor einer Reihe von Polizisten die peruanische Flagge

Protest gegen Präsidentin Dina Boluarte und ihre Regierung in Lima am 21. Januar Foto: Guadalupe Pardo/ap

LIMA taz | Am 21. Januar holte das peruanische Tourismusministerium in einer Notaktion zusammen mit der Polizei 418 Touristinnen und Touristen aus Machu Picchu zurück. Demonstranten hatten die einzige Zugstrecke zur Inkazitadelle zerstört und damit den Weg nach Cusco versperrt. Ein herber Schlag für den peruanischen Tourismusverband, der im Ausland gerne mit Bildern von Zöpfe tragenden braunhäutigen Mädchen in bunter Tracht oder einem Flöte spielenden Bauernjungen neben einem Lama für seine Tourismusziele in den Anden wirbt.

Dabei wird der Tourist in der Regel die Quechua – so heißen die Nachfahren der Inka – vor allem als Träger auf dem Inka-Pfad, als Kellner oder als Straßenverkäufer kennenlernen. Oder er wird aus dem Fenster des für Einheimische unerschwinglichen Touristenzugs Frauen mit bunten Tragetüchern auf dem Rücken sehen, die mit einer Hacke wie vor 500 Jahren steile Felder bearbeiten. Die Hotels, die Reisebüros oder die schicken Tourismuszüge gehören fast immer weißen oder mestizischen Peruanern aus den großen Städten – oft aus der fernen Hauptstadt Lima.

Es ist vor allem diese indigene Bevölkerung, Quechua und Aymara, aus Südperu, die seit über einem Monat gegen die amtierende Präsidentin Dina Boluarte und das Parlament protestiert. Auslöser war die Absetzung und Gefangennahme des Präsidenten Pedro Castillo nach dessen Ankündigung, das Parlament aufzulösen.

Castillo war weder besonders beliebt noch war er ein guter Präsident: Aber er stand dafür, dass auch ein einfacher indigener Bauer vom Land an die Macht kommen kann. Dass die Abgeordneten, die seit Castillos Amtsantritt im Juli 2021 dessen Absetzung forcierten, nun ihren Triumph schamlos zur Schau stellten, brachte das Fass zum Überlaufen.

Polizeigewalt auf dem Campus

Seitdem kommt Peru nicht zur Ruhe. Die Präsidentin Dina Boluarte rief den Ausnahmezustand aus und schickte Polizei und Militär. 45 Zivilisten wurden von Polizei und Militär getötet, ein Polizist kam ums Leben. 19 Menschen starben an einem einzigen Tag, dem 9. Januar, im südperuanischen Juliaca. Dazu kommen zahlreiche Verletzte und unzählige Sachschäden vor allem an öffentlichen Gebäuden.

Abordnungen aus allen Dörfern und Städten Südperus machten sich auf den Weg nach Lima, um dort weiter zu demonstrieren. Am 19. Januar fand der erste Protesttag in der Hauptstadt statt. Die Polizei setzte Tränengas ein, es kam zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten, niemand kam zu Tode. Ein historisches Gebäude in der Altstadt brannte aus noch ungeklärten Umständen ab.

Die staatliche Universität San Marcos, die älteste Universität Südamerikas, erlaubte den Demonstranten vom Land, auf ihrem Campus zu übernachten.

Am selben Tag, an dem die Polizei die Touristen aus Machu Picchu rettete, erreichte die Menschenrechtsanwältin Cruz Silva in Lima ein Notruf: Sie solle sofort zur Sankt-Markus-Universität kommen. Die Polizei würde mit Wasserwerfern die Universität stürmen. „Ich schaffte es gerade hinter die ersten Polizeireihen, als mir ein Polizist mit seinem Knüppel auf mein Bein schlug“, erzählt Cruz Silva. Auf dem Campus nahm die Polizei fast 200 Personen fest – Bäuerinnen, die in Zelten übernachteten, ebenso wie Studierende – und ließ sie erst am nächsten Abend frei. „Die Polizei benahm sich, als ob sie gegen einen Feind vorginge, als ob sie Terroristen vor sich habe“, kommentiert Cruz Silva das Vorgehen der Polizei.

Indigene werden in die Nähe von Terrorismus gerückt

Seit Jahren werden in Peru indigene Menschen vom Land, die für ihre Rechte protestieren oder sich gegen ein Bergwerk oder eben eine Präsidentin oder den Kongress aussprechen, von Medien und Politik als Terroristen dargestellt und damit in Verbindung mit dem Leuchtenden Pfad gebracht. Die maoistisch inspirierte Terrorgruppe hatte in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Angst und Schrecken über Peru gebracht – vor allem die indigene Landbevölkerung fiel ihnen zum Opfer.

Zwar existieren heute nur noch versprengte bewaffnete Grüppchen des Leuchtenden Pfads in abgelegenen Koka-Anbaugebieten; doch die schiere Nennung des Wortes Terrorismus löst in Peru tiefsitzende Ängste und Erinnerungen aus und führt dazu, dass die städtische Bevölkerung ein hartes Vorgehen von Polizei und Militär gutheißt.

Auch Josue Mauro Marocho, 27, wurde von der Polizei mit Knüppeln geschlagen, als er in Lima protestierte. Marocho gehört zur Abordnung eines Jugendverbandes aus Cusco und ist Teil der „Volksversammlung“, die sich gebildet hat, um den Protesten ein Gesicht und einen Ansprechpartner zu geben. „Wir werden Lima erst verlassen, wenn Dina Boluarte zurücktritt“, sagt der Jugendführer.

Doch Boluarte macht bisher keine Anstalten zurückzutreten oder Neuwahlen noch dieses Jahr – und nicht wie vorgesehen im April 2024 – abzuhalten. Allerdings ist Boluarte nur ein Teil der Lösung; der andere Schlüssel liegt im Kongress. Verfassungsgemäß würde nach ihr der Parlamentspräsident, ein ehemaliger Militär mit Erfahrung im Antiterrorkampf, das Amt übernehmen. Nicht nur Boluarte müsste zurücktreten, sondern auch der Kongress einen neuen Konsenspräsidenten wählen, damit die Forderungen der Demonstranten erfüllt werden.

Dabei sind es längst nicht mehr nur die Demonstrierenden aus den ländlichen Gebieten, die einen Wechsel wollen. 60 Prozent der Peruaner, so eine Umfrage des Instituto de Estudios Peruanos vom Januar 2023, halten die Proteste für gerechtfertigt, und über 71 Prozent sprechen sich sowohl gegen Dina Boluarte wie auch gegen den jetzigen Parlamentspräsidenten aus.

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