Prozess gegen Gönül Örs in der Türkei: Vom Dampfer ins Gericht

Eine Deutsch-Kurdin soll sich an einem PKK-Protest in Köln beteiligt haben. Die Polizei gab Infos an die Türkei weiter. Nun hat der Prozess begonnen.

16.06.2020, Türkei, Istanbul: Die seit mehr als einem Jahr in der Türkei festgehaltene Kölnerin Gönül Örs (r) und ihre Anwältin Ayse Celik (l) stehen im Gericht Caglayan zusammen

Die Kölnerin Gönül Örs (r.) am Dienstag mit ihrer Anwältin im Gericht in Istanbul Foto: Linda Say/dpa

ISTANBUL taz | Mit einem kleinen Erfolg für die Deutsch-Kurdin Gönül Örs ist am Dienstag der erste Verhandlungstag in einem Prozess vor einem Istanbuler Gericht zu Ende gegangen. Örs ist wegen Terrorpropaganda angeklagt. Die 38 Jahre alte Frau, die im Mai letzten Jahres in Istanbul festgenommen wurde, darf nach einer Entscheidung des Gerichts eine Fußfessel, die sie sechs Monate lang im Hausarrest tragen musste, ablegen und sich innerhalb der Türkei wieder frei bewegen. Das Land verlassen darf sie nicht. Der Prozess wird im Oktober fortgesetzt.

Für das Verfahren trägt die deutsche Polizei eine erhebliche Mitverantwortung, denn die Anklage stützt sich im Wesentlichen auf Informationen, die das Bundeskriminalamt (BKA) an die Türkei weitergegeben hat. Demnach soll sich Örs 2012 an einer Aktion eines PKK-nahen Vereins in Köln beteiligt haben. Die Gruppe hatte auf einem Rheindampfer für Touristen Transparente enthüllt, auf denen die Freilassung des früheren PKK-Chefs Abdullah Öcalan gefordert wurde, der seit 1999 im Gefängnis sitzt.

Weil die PKK in Deutschland – wie auch in der Türkei – verboten ist, wurde gegen die Aktivisten ein Verfahren eingeleitet, das später aber eingestellt wurde. Erkenntnisse daraus gab ein Verbindungsmann des BKA an die türkische Polizei weiter. Wegen dieser Informationen wurde Örs festgenommen, nachdem sie im Mai 2019 in die Türkei eingereist war, um ihre Mutter, die kurdische Sängerin Hozan Canê, die ebenfalls in Köln lebt, im Gefängnis zu besuchen.

Canê war bereits im November 2018 als angebliches PKK-Mitglied zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Die Sängerin hatte sich im Präsidentschaftswahlkampf 2018 für Selahattin Demirtaş engagiert, den Kandidaten der kurdisch-linken Partei HDP. Demirtaş saß damals bereits im Gefängnis.

Als Örs ihre Mutter im Gefängnis besuchen wollte, wurde sie festgenommen und landete für drei Monate in Untersuchungshaft. Nachdem ein Gericht sie aus der U-Haft entlassen hatte, wurde ein Ausreiseverbot verhängt. Weil sie angeblich dennoch versuchte, die Grenze zu überqueren, wurde sie im Dezember zu Hausarrest verurteilt. Diesen verbrachte sie bei einem Onkel im westtürkischen Manisa.

Kritik aus der SPD

Örs reiste am Dienstag aus Manisa an und nahm in Istanbul Stellung zu den Vorwürfen. Die Staatsanwaltschaft hat eine abenteuerliche Anklage zusammengezimmert. Demnach soll Örs nicht nur für PKK-Propaganda, sondern auch für Freiheitsberaubung und Entführung des Fahrgastschiffes auf dem Rhein verurteilt werden. Vor Gericht bestritt ihre Anwältin Ayşe Çelik, dass Örs mit der Aktion etwas zu tun hatte. Örs selbst sagte, man wolle sie als Terroristin abstempeln. „Das bin ich aber nicht.“

Bei dem Prozess waren Konsulatsmitarbeiter aus Deutschland als Beobachter anwesend. Der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Frank Schwabe sagte, das Verfahren sei absurd. Auch Örs’ Mutter müsse möglichst bald freigelassen werden. Schwabe kritisierte auch die Rolle des BKA. „Deutsche Behörden müssen endlich lernen, dass sensible Daten an autoritär regierte Staaten nicht weitergegeben werden dürfen.“

Es ist nicht das erste Mal, dass sensible Daten von deutschen Behörden an die türkische Polizei gelangen. Im vergangenen Jahr etwa wurde ein Anwalt, der für die deutsche Botschaft Angaben von türkischen Asylbewerbern überprüfen sollte, festgenommen. Auch aus der Vergangenheit ist bekannt, dass Angaben aus Asylverfahren aus Deutschland beim türkischen Geheimdienst landeten.

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